Herr I (Hirschfeld 9)

Wann erwähnt: 1910

Namen(n): M: Herr I / W:

Lebensdaten: 1873 geboren

Beruf: ehem. Offizier in der US-Armee

Ort(e): England

Fallbeschreibung

Originaltext Hirschfeld

Fall IX.

Herr I., 37 Jahre alt, früher Offizier in der amerikanischen Armee, schreibt: Ich habe zwei Feldzüge mitgemacht und darf wohl sagen, dass ich mich tapfer gehalten und die militärische Medaille, die ich erhielt, verdient habe.

Körperlich bin ich durchaus männlich entwickelt; Genitalien sind normal gebildet, und ich habe immer den coitus cum femina geübt. Doch habe ich mich seit meiner Kindheit innerlich immer weiblich gefühlt. Schon mit 14 Jahren reizte es mich merkwürdig, als ich einen Knaben in Mädchenkleidern sah, und seitdem interessierte ich mich stets für Männer, die wie Frauen aussahen oder gekleidet waren Von Homosexualität hatte ich bis zu meinem 20 Jahre nie etwas gehört, und auch dann begriff ich davon nichts. Mein erster coitus cum femina fand im 20. Jahre statt, und der Gedanke an einen Beischlaf mit Männern hat mir (mit einer einzigen Ausnahme) immer Ekel verursacht.

Mehr und mehr überkam mich der Drang, mich als Dame zu verkleiden, bis er unwiderstehlich wurde. Insgeheim zog ich so oft wie möglich Frauenröcke oder sonstige Stücke der Damentoilette an, und nur mein Schnurrbart hinderte mich daran, ganz im Kostüm auf die Strasse zu gehn.

Es kommt mir vor, als sei mein Körper im Laufe der Zeit etwas weiblicher geworden. Ich habe jetzt eine schmale Taille, starke Hüften, mammae wie ein 15jähriges Mädchen, weisse glatte Haut und kleine Füsse. Meine Hände sind von mittlerer Grösse und mein Gesicht ist durchaus männlich. Und doch, wenn ich Perücke und Kostüm anhabe, den Schnurrbart verdecke und gepudert und geschminkt bin, komme ich mir ganz wie ein Mädchen vor. Kokotten sagten mir öfters: Vous avez un beau corps de femme! Meine Korsettweite ist allerdings 68 cm, aber doch einigermassen im Verhältnis zu meiner ganzen Länge; in seidener Chemise, Cale§on und rosa Unterrock sehe ich ganz wie ein kräftiges wohlproportioniertes Mädchen aus. Und bin ich derart angezogen, dann fühle ich mich so wohl, so „à mon aise“, dass ich mich höchst ungern wieder umziehe. Im Korsett atme ich immer mit der Brust wie eine Frau.

In der Regel verkleide ich mich nur, wenn meine Freundin bei mir weilt; manchmal ist der Trieb aber so stark, dass ich im Kostüm masturbiere. Die Sehnsucht, mich ganz als Frau zu fühlen, verleitet mich auch dazu, den Coitus „auf mich selbst zu machen, mit Wachskerzen, Zigarren u. dgl. (Gemeint ist offenbar eine Bewegung inter femora mit diesen Gegenständen, als scheinbare äussere Erfüllung des begleitenden Phantasiebildes). Ich muss hier auf das zurückkommen, was ich oben die „einzige Ausnahme“ nannte. Ich sehne mich mit ganzem Herzen danach, einmal eine Kokotte zu sein und die Nacht mit einem „strammen Kerl“ zubringen zu dürfen. Nicht nur die paedicatio, sondern auch die irrumatio müsste er an mir vornehmen.*)

Der Hauptinhalt meiner Sehnsucht also ist, vollständig Frau zu sein. Ein ausserordentlicher Reiz wäre es für mich, dürfte ich mich ganz rasieren, schminken, als Frau kleiden; allerdings, recht elegant, „dernier cri“, doch nicht zu „criard“, Unterwäsche fein und seidig, schmale Schuhe, viel Stickerei, kunstvolle Hüte, kurz wie eine brillant unterhaltene Kokotte.

Von sonstiger Homosexualität aber ist keine Spur vorhanden. Urninge und effeminierte Männer verachte ich tief. Die Idee einer Paedicatio, ohne im Kostüm zu stecken, erscheint mir scheusslich; werde ich aber zur passiven Frau in Kleidung, Haltung und Sinnesart, so finde ich den Gedanken natürlicher, ja sogar reizvoll. Meine „grande passion“ habe ich nie verwirklichen können; will ich aber die „ejaculatio suprema“ gemessen, so stelle ich sie mir recht eindringlich im Geiste vor.

Ich bin guter sportsman, Schütze, reite gut und habe mich in Feldzügen bewährt. Dennoch fühle ich mich in Damenge sellschaft freier und wie von einem unsichtbaren Bande, gezogen. Sehe ich eine Mutter ihr Kind säugen, so seufze ich: „ Hätt’ ich doch auch solche Brüste und könnte Milch abgeben!“ Kinder allein interessieren mich wenig.

Quellen

Magnus Hirschfeld: Die Transvestiten, 1910, Fall 9, S. 70-73