Herr K (Hirschfeld 10)

Wann erwähnt: 1900, 1910

Namen(n): M: Herr K / W:

Lebensdaten: 1859 geboren

Beruf: Lehrer

Ort(e): H., O., E., u.a. Heidelberg

Fallbeschreibung

Originaltext Hirschfeld

Fall X.

Herr K., 50 Jahre alt, Lehrer. Yon den Vorfahren oder der Verwandtschaft her ist nichts Degeneratives zu ermitteln. Die Kindheitsentwicklung verlief ohne Besonderheiten. War etwas schreckhaft. Zog Mädchenspiele vor (Kochen, Häkeln, Stricken). Schwärmerische Freundschaft zu zwei Mitschülern bestand, ohne geschlechtliche Handlungen. Geschlechtsreife trat im Alter von 18-20 Jahren ein.

Status praesens: Figur gross und kräftig. Konturen mehr rund und fett. Muskulatur schwach entwickelt. Für Sport besteht keinerlei Interesse. Haut weiss, glatt und rein. Haupthaar kräftig, Körperbehaarung schwach Bartwuchs mittelstark. Errötet und erblasst leicht. Kehlkopf wenig hervortretend. Ist Stimmungen leicht zugänglich, gibt Klatschhaftigkeit zu. Möchte Putzmacherin sein.

Vita sexualis: Herr N. veröffentlichte bereits im Jahrbuch für sexuelle Zwischentufen, Bd. 2, 1900, p. 324 bis 344, unter der Ueberschrift „Ein Fall von Effemination mit Fetischismus eine ausführliche Darstellung seines Falles. Er ezeichnet sich dort irrtümlicherweise als Urning, während er selbst ausdrücklich angibt, sein Geschlechtstrieb sei stets auf das Weib gerichtet gewesen. Allerdings behauptet er, Frauen gegenüber gleich- gütig zu sein, sich vor nackten Weibern zu ekeln und vor dem Koitus Widerwillen zu haben. Auch habe er einmal ge- raumt, er sei ein Weib und werde von einem Manne geschwängert; worüber er aufwachte und die ganze Nacht in grösser Erregung verblieb. Aber alle diese Umstände erklären sich zwanglos aus seinem Kostümtrieb.

Den oben erwähnten, sonst sehr präzisen Mitteilungen lügen wir hier noch folgende neuere Angaben hinzu:

„Meiner Neigung zu Frauenkleidern entsinne ich mich schon aus den erste  Schuljahren. Von äusseren Einflüssen, etwa Maskeraden oder dergl., ist mir nichts bewusst. Schon die blossen Namen einzelner Kleidungsstücke, wie Damenkleid, Schürze, Schleier, Unterrock hatten für mich etwas Zauberhaftes. Sobald es mir irgend möglich war, zog ich mir schon als Knabe fremde Damensachen auf Augenblicke an. Später schaffte ich mir alles Begehrenswerte selber an. Es wurden Schränke gekauft, die sich bald mit den schönsten Toiletten füllten. Wohl 20-25 Jahrgänge gekaufter Modejournale wurden Seite für Seite betrachtet, die schönsten „Kostüme“ herausgeschnitten und der Schneiderin eingeschickt, damit diese danach verfahre. Alle möglichen Stoffe, Samt, Seide, Wolle, fanden Verwendung. Muster zur Auswahl lieferten die ersten Spezialgeschäfte.

„Folgendermassen verfuhr ich, wenn ich die Anfertigung von Kleidern in Auftrag gab. Der Schneiderin wurde eine fertige Taille mitsamt dem neuen Stoff eingesandt und dabei mitgeteilt, man wolle ein Kostüm zum Geburtstage verschenken; Massnehmen sei daher nicht gut möglich. So machte sich die Sache. Fand sich nahher ein Mangel in der Passform, so ging das Kleidungsstück behufs Abänderung zurück, und der Fehler war bald beseitigt. Garnituren, wie Seidenspitzen, Einsätze und sonstige Kleiderbesätze (Galons, Posamentborten, Tressen mit Chiffon-Applikation, gestickte Chiffonbesätze, seidene Fransen, Grelots, Plisse usw.) wurden persönlich eingekauft und dem zu verarbeitenden Stoffe beigelegt. Mitunter garnierte ich die Kleider selber damit, nähte auch Zierknöpfe aus Glas oder Gold an. Die Beschaffung von Unterröcken unddergl. ist natürlich einfacher. Zu Gürteln kaufe ich Bänder und Schnallen und fertige sie dann selbst an. Schleier habe ich in grösser Zahl, getupfte und schlichte, in allen möglichen Farben und den Kostümen entsprechend; ebenso Hüte, Baretts, Oapuzen, Schulterkragen, Jacketts, Wolltücher; ferner Schürzen aus Wolle, Seide usw. als Reform-, Tändel- oder Wirtschaftsschürzen. Die Unterröcke haben meist die Farbe der Kleider. Armbänder, prachtvolle Halsketten, goldene Broschen und Ohrringe sind zahlreich vorhanden, auch Perücken. Kleiderstoffmuster, Garnituren, seidene und Samtbänder in aller Breiten und Farben füllen ganze Schachteln aus.“

„Sobald ich in einem Schaufenster hübsche Schürzen, Halsketten, Hüte oder auch nur zierliche Sicherheitsnadeln sehe, sofort muss ichs kaufen. Ueberhaupt betrachte ich die Auslagen von Damenkonfektionsgeschäften stets mit dem grössten Entzücken. Vor Photographenkästen interessieren mich nur Figuren in reizendem Kostüm. Ansichtskarten mit kostümierten Damenbildnissen habe ich in Menge. Besondere Vorliebe besteht bei mir für rote Kleider, jede Art seidenen und weissen Musselins und für Spitzenunterröcke. Der Genuss, welchen ich durch die Kleidungsmetamorphose hatte und noch habe, lässt sich nicht aussprechen.“

„Ich dränge mich gern an schön gekleidete Damen heran und wünsche erregt, in ihrer Kleidung zu stecken. Ich vergleiche ihre Figur mit meiner, ob mir das Kleid wohl passen würde. Ich sitze auch gern so zwischen Damen, dass ihre Kleider meine Beine zum Teil verdecken. Ich betaste gern zarte Stoffe. Habe ich innerhalb des Hauses Gelegenheit, in einem unbewachten Augenblick den schönen Hut einer fremden Dame aufzupassen, so tue ichs sicherlich vor dem Spiegel. Von hübschen Mädchen bin ich ein Freund, besonders wenn sie Kleider nach meinem Geschmack tragen. In schlaflosen Nächten, die zahlreich Vorkommen, beschäftigt meine Phantasie sich gewöhnlich mit hübschen Damentoiletten. Beim Zeitungslesen sehe ich zuerst nach vermischten Notizen, ob nicht mitgeteilt wir, dass ein Mann wi eder als Frau gekleidet ging. Männer in Damenkleidern haben einen ungemeinen Reiz für mich.“

„Geselligen Vereinigungen bin ich Feind. Ich liebe die grösste Einsamkeit und verzichte gern auf Festlichkeiten und Vergnügungen. Mein Genuss ist, für mich in der Stille angetan mit Korsett, feinen Unterröcken, entzückenden Kleidern, Hut, Schleier, Armbändern und Halsketten vor dem Spiegel zu stehn, mich zu betrachten, oder Modejournale zu durchblättern. Ueber- glücklich wäre ich, könnte ich einmal des Jahrs mit gleich- gesinnten oder verständnisvollen Personen in einem einsam gelegenen Hause für einige Zeit zusammen sein; oder wenn ich bei hellem Tage, wenn auch nur auf kürzern Wegen, als Dame gekleidet m it wirklichen Damen promenieren dürfte. Früher erlaubte ich mir diese Passion manchmal des Abends auf einsamen Spaziergängen; doch habe ich das aufgegeben, weil mir die Sache zu gefährlich war.“

Homosexuell bin ich nicht, im Gegenteil, ich kann sagen, ich bin ein echter Don Juan gewesen. Ein besonderes Vergnügen war es mir, hübsche Mädchen zu küssen, ihre weichen Kleider zu betrachten und zu befühlen; fragte auch gewöhnlich nach dem Preise, nach der Schneiderin und wie lange man wohl ein solches Kleid tragen könnte usw. Modebilder hatten für mich grossen Reiz. Gelegenheiten, ihrer habhaft zu werden, liess ich nie unbenutzt vorübergehen. Ich kaufte mir ganze Jahrgänge Modezeitungen. Im „praktischen Wegweiser“ er liess ich einst ein Inserat, laut welches ich ver schiedene Jahrgänge Modenjournale suchte; von den zahlreich eingegangenen Offerten machte ich ausgiebigen Gebrauch. Von einem Buchhändler in Heidelberg kaufte ich vor Jahren verschiedene Jahrgänge „Pariser Moden“. Auch bin ich Abonnent von der „Wiener Mode“, der „Modenwelt“ sowie der “Grossen Modenwelt“ gewesen. Schaufenster der Damenkonfektions-Geschäfte ziehen mich ungeheuer an, mögen es solche mit Kleidern, Blusen, Jacken, Schürzen oder Hüten sein, der Reiz ist immer gross.

Früher glaubte ich, meine eigentümliche Veranlagung würde mit zunehmendem Alter verblassen oder ganz aufhören, aber das Gegenteilige ist der Fall; die Neigung ist augenblicklich grösser denn je, sie ist angeboren und wird darum auch wohl nicht nachlassen. So habe ich mir z. B. in voriger Woche den Modekatalog von Wertheim und noch einer anderen Firma kommen lassen, ferner das Modealbum der Schnittmanufaktur in Dresden und „Butterichs Modenrevue“. Meine Eltern waren ganz normal, dasselbe kann ich auch von meiner kürzlich verstorbenen Schwester sagen. Ich habe nur noch einen Bruder, der ebenfalls normal ist. Wir Kinder lebten unter uns und mit den Eltern stets in bestem Einvernehmen. Für meine vor einigen Jahren verstorbenen Eltern (sie wurden 81 und 83 Jahre alt) habe ich stets die grösste Achtung und kindliche Verehrung gehabt.

Ich füge ein Verzeichnis meines Toilettenbestandes bei:

  • Nr. 1. Kleid aus carminrotem Caschmir mit Samtbesatz und glitzernden Metallknöpfen.
  • Nr. 2. Rotes Kleid (etwas andere Nuance als Carmin) mit Pelzbesatz.
  • Nr. 3. Ein Kleid aus bordeauxähnlichem Rot mit schwarzem Samteinsatz und prachtvoller Bordengarhierung.
  • Nr. 4. Kleid aus scharlachrotem Wollstoff, Kragen und Brusteinsatz aus fleischfarbenem Taffet.
  • Nr. 5. Schwarzes Wollkleid mit Perlenbesatz.
  • Nr. 6. Ein kaffeebraunes Kleid von ziemlich einfacher Machart.
  • Nr. 7. Ein blaues Kleid mit schwarzer Borde garniert, die Taille mit gelbem Brusteinsatz, dazu Gürtel mit gelber Schleife.
  • Nr. 8. Dunkelgrünes Kleid mit hellgrünem Samteinsatz.
  • Nr. 9. Hellgraues Wollkleid mit hellrotem Einsatz und Kragen.
  • Nr. 10. Rotseidene Bluse mit schwarzseidenem Rock.

Als Hauskleider:

  • 1. Ein braunmeliertes Prinzesskleid.
  • 2. Ein grün und rot karriertes Kleid mit Samtkragen, Aermel mit roten Samtaufschlagen.
  • 3. Ein helles Wollkleid mit Samtkragen.

Jacken:

  • 1. Schwarze Krimmerjacke mit Besatz.
  • 2. Braune Tuchjacke sowie einen Schulterkragen aus schwarzem Crepp.

Unterröcke:

  • Ein blau- und weissgestreifter Unterrock mit Volants.
  • Ein schwarz- und rotgestreifter Unterrock mit Spitze.
  • Ein braunmelierter Unterrock mit Volants.
  • Ein Ueberziehrock aus rotem Kaschmir mit Volants.

Schürzen:

  • Eine chamoisfarbene Trägerschürze mit rotem Besatz.
  • Eine blaukarrierte Wirtschaftsschürze mit Latz.
  • 2 schwarze, wollene Tändelschürzen.
  • Eine blaubunte Schürze mit weisser Spitze garniert.
  • Eine schwarze Alpaccaschiirze.
  • Eine weisse Battistschürze mit Stickerei (die schönste).

Sodann besitze ich noch:

  • Eine weisse Battistunterhose mit Stickerei.
  • 2 Korsetts, Strümpfe, eine braune Haube.
  • Ein blaues, gehäkeltes Schultertuch.
  • Ein schwarz- und weisskarriertes Tuch.
  • Ein gewöhnliches Wolltuch.
  • Einen Filzhut mit resedafarbenem Band garniert und mit 2 Flügeln (von Vögeln) versehen.
  • Einen olivfarbenen Hut mit Phantasiefedern.
  • Ein Samtbarett mit weissen Phantasiefedern.
  • 4 Broschen, teils echt, teils unecht.
  • 2 Paar Ohrringe.
  • 2 Armbänder.

Schleier:

  • 2 schwarze mit Tupfen, 2 weisse mit Tupfen, 2 einfache weisse.
  • Eine Kollektion Rüschen, eine Kollektion Spitzen in weiss und schwarz, teils baumwollene, teils seidene.
  • 2 Gürtel aus rotem Samt, einen schwarzen, einen Silber- und Goldgürtel mit feinem Schloss.
  • 2 Perücken, 2 Haarpfeile, 2 Haarschmucknadeln mit dicken Köpfen sowie einen Haarkamm mit 5 blanken Knöpfen.
  • Ungefähr ein Dutzend Halsschmuckketten in schwarz, weiss, grün, blau, opalfarbig usw.
  • Eine grössere Sammlung von Besatzstoffen in allen Farben und Stoffen.
  • Eine Sammlung von Seidenbändern in allen Farben und Breiten.
  • Eine grosse Sammlung von Damenkleidermustern in Wolle, Baumwolle und Seide in vielen Webarten und Farben.

Hiermit wäre mein Bestand zu Ende.

Quellen

  • Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen, Bd. 2 1900 S. 324 bis 344, „Ein Fall von Effemination mit Fetischismus“
  • Magnus Hirschfeld: Die Transvestiten, 1910, Fall 10, S. 73-79