Rainer Herrn: Schnittmuster des Geschlechts

Eine Spurensuche nach Transvestitismus und Transsexualität in den frühen Sexualwissenschaften. Höchst interessante und detailreiche Schilderung der Ausdifferenzierung von Transgender als eigenständige Kategorie zwischen der Jahrhundertwende und dem Beginn der NS-Diktatur.

Rainer Herrn: Schnittmuster des Geschlechts

Daten zum Buch

Autor: Rainer Herrn. Titel: Schnittmuster des Geschlechts. Untertitel: Transvestismus und Transsexualität in der frühen Sexualwissenschaft. Reihe: Beiträge zur Sexualforschung, Band 85. Verlag: Psychosozial-Verlag, Gießen. Erscheinungsjahr: 2005. ISBN: 3-89806-463-8. Bindung: Broschur, 243 Seiten. Preis: 29,90 €.

Beschreibung

Über das Buch

Anhand weitgehend unbekannter Archivquellen, Texte und Fotografien beschreibt der Autor, wie sich die wissenschaftliche und soziale Kategorie der Transvestiten im Wechselspiel von Forschern und Beforschten allmählich herausbildete. Der Prozess der Etablierung der Transvestiten, wie auch der Ausdifferenzierung ihrer Lebensstile vollzieht sich auf der Grundlage von Fremd- und Selbstzuschreibungen spezifischer Geschlechterbilder.

In der aufkommenden Sexualpathologie des späten 19. Jahrhunderts gehört Cross-Dressing neben Homosexualität und anderen Abweichungen von den Geschlechternormen zur so genannten konträren Sexualempfindung (Westphal). Im von Cross-Dressern initiierten Dialog mit Sexualwissenschaftlern kam es zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu ihrer Ablösung in eine eigenständige Kategorie, die Transvestiten, die Magnus Hirschfeld in der gleichnamigen Monografie (1910) erstmals beschrieb. Mit der Einführung dieses Konzeptes begann ihr Kampf um die juristische Legitimation ihrer Neigung (Transvestitenscheine, Vornamensänderungen), um ihre Abgrenzung gegenüber den Homosexuellen sowie ihre Selbstorganisationen, die in der Weimarer Zeit eine Blüte erreichte.

Mit zunehmendem Einfluss des Körperdiskurses – der ein Arsenal medizinischer Techniken hervorbrachte – auf das Selbstbild, begannen nach 1910 auch erste Transvestiten den Wunsch nach Geschlechtsumwandlung zu artikulieren. Einige, die heute als »Transsexuelle« oder »Transgender« gelten würden, versuchten, ihre physische Erscheinung mit der empfundenen Geschlechtszugehörigkeit in Einklang zu bringen, sowohl im Selbstversuch als auch mit ärztlicher Hilfe. Die ab 1912 aufkommenden ersten Frau-zu-Mann- und ab 1920 auch Mann-zu-Frau-Umwandlungen werden in ihren ethischen, juristischen und medizintechnischen Dimensionen bis in die 30er Jahre dokumentiert. An dieser Entwicklung waren Magnus Hirschfeld und das Institut für Sexualwissenschaft (1919–1933) maßgeblich beteiligt.

Dem Band ist ein Geleitwort des Sexualwissenschaftlers Volkmar Sigusch vorangestellt.

Über den Autor

Dr. Rainer Herrn ist als Natur- und Sozialwissenschaftler seit 1991 Mitarbeiter der Forschungsstelle zur Geschichte der Sexualwissenschaft der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft (Berlin). Zahlreiche Veröffentlichungen zur Sexualwissenschaft sowie zu sexuellen Minderheiten aus wissenschafts-, kultur- und sozialhistorischer Sicht. Aktuelle Forschungen über die theoretische und praktische Arbeit des Instituts für Sexualwissenschaft (1919–1933).

Inhaltsverzeichnis

Geleitwort von Volkmar Sigusch: Die Anfänge der Genochirurgie.

Vorwort

Danksagung

  1. Die Cross-Dresser in der Sexualpathologie
  2. Die ungleichen Schwestern: Abspaltung der Cross-Dresser
    • Die Cross-Dresser melden sich zu Wort
    • Das ambivalente Verhältnis Homosexueller zur Weiblichkeit
    • Die Wissenschaft als Forum
  3. Hirschfelds Entwurf des Transvestitismus
    • Die Protagonisten
    • Das Phänomen
    • Die Körper
    • Die Sexualität
    • Die Frauen
    • Die Gegenprobe
    • Juristische Hürden
    • Der illustrierte Begleitband »Der erotische Verkleidungstrieb«
  4. Auswirkungen I
    • Die Rezeption von Hirschfelds Entwurf · In der Sexualwissenschaft · In der Psychoanalyse
    • Eine ungewöhnliche Zusammenarbeit: Transvestiten, Ärzte und Behörden
    • Die Transvestiten im Ersten Weltkrieg
    • Homosexuelle Transvestiten
    • Der »problematische« Körper
    • Hormonwirkungen
  5. Die Transvestiten im Institut für Sexualwissenschaft
    • Entwicklungslinien des Instituts
    • Die Erforschung der Transvestitinnen. Zweiter Versuch
    • Die Transvestitenberatung
    • Liberalisierungen: Juristische und kriminalistische Regelungen der Weimarer Zeit · Die behördliche Anerkennung der Transvestiten
    • Die Welt der Transvestiten
    • Der Zusammenschluss
    • Exkurs: Transvestiten in der NS-Zeit · Widersprüchliche Praktiken
  6. Der lange Weg zum »anderen« Geschlecht – operative Geschlechtsumwandlungen
    • Der »planlose« Beginn
    • Ein gefährliches Zwischenspiel – Transvestiten als Selbst-Operateure
    • Der Wunsch nach Geschlechtsumwandlung bei »extremen« Transvestiten
    • Techniken der Geschlechtsumwandlung · Der Bart · Exkurs: Juristisches Nachspiel, ein Patient prozessiert · Die Brust · Paraffininjektionen · Hormontherapie · Das Genitale
    • Geschlechtsumwandlungen im Institut für Sexualwissenschaft · Kompetenzen, Möglichkeiten und Grenzen · Irrtümlich als Geschlechtsumwandlung bezeichnete Fälle · Die operative Geschlechtsumwandlung wird Routine · Die rechtliche Absicherung · Unklare Folgen
  7. Auswirkungen II: Die undankbaren Erben
  8. Literaturverzeichnis
  9. Abbildungsverzeichnis

Kommentar

Im Jahr 2005 erschien das Buch „Schnittmuster des Geschlechts. Transvestismus und Transsexualität in der frühen Sexualwissenschaft.“ von Rainer Herrn. Das Buch fand ich ziemlich spannend: Zum einen, weil der Autor die historischen Anfänge unseres heutigen Umgangs mit Trans* aus dem Dunkel des Vergessens gegraben hat, zum anderen gibt es interessante Parallelen zu heute (was z. B. das Verhältnis der Grüppchen untereinander angeht).

Ich interessiere mich für die Transgender-Geschichte und ihre Pioniere, das machte die Lektüre für mich doppelt spannend. Nicht nur habe ich allerhand Neues über Lili Elbe – die Namensgeberin meiner Website – erfahren, sondern auch den historischen Kontext kennengelernt, in dem ihre Autobiographie entstand und ihre Operationen stattfanden. Und ich stellte fest, dass ihre Biographie wohl nicht die allererste ist, die erschien, sondern bereits vorher (1901 oder 1906) ein Buch „Weiberbeute“ von Luz Fraumann erschien. Dieses Buch scheint aber gänzlich verschollen zu sein, es lässt sich in keinem Bibliothekskatalog oder einer antiquarischen Datenbank finden. Es gibt nur Erwähnungen in anderen Werken.

Fazit: Wer sich für die Geschichte von Transgender interessiert, findet hier ein Schlüsselwerk!

Weitere Informationen

Themen: Crossdressing und Transsexualität

Genre: Geschichte und Sexualwissenschaft

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