Herr E (Hirschfeld 5)

Wann erwähnt: 1910

Namen(n): M: B., Willi (Herr E) / W: Fräulein Willi

Lebensdaten: 1870 (ca.) geboren

Beruf: im Kunstgewerbe tätig

Ort(e): nicht genannt, zeitweise Hamburg, zeitweise Köln, Reise nach Meran, Schweiz, Züricher See, B., C.

Fallbeschreibung

Originaltext Hirschfeld

Fall V.

Herr E., im Kunstgewerbe tätig, ca. 40 Jahre alt, stammt von gesunden Eltern. Abweichende Anlagen oder Degenerationszeichen sind in der Verwandtschaft nicht nachzuweisen. Die körperliche Kindheitsentwicklung verlief normal. Mädchen gegenüber war er schon in frühester Jugend ungemein schüchtern; hatte zu Mädchenspielen oder Mädchenbeschäftigung keine bemerkbare Neigung. Im Hause fand strenge Erziehung statt; von geschlechtlicher Verführung war keine Rede. In der Schule zeigte er sich als befähigter und guter Schüler, hielt sich aber von den Kameraden zurück, weil ihm deren Gebaren wenig zusagte. Geschlechtsreife trat im 15. Jahre ein, nicht sehr bedeutender Stimmwechsel mit 17 Jahren, Bartwuchs bis zum 25. Jahre sehr spärlich, nachher etwas stärker.

Status praesens: Breite der Hüften etwas geringer, als die der Schultern. Körperlinien rundlich, leichter Panniculus adiposus. Oberarme und Oberschenkel mehr gerundet als abgeflacht. Füsse von mittlerer Grösse, Hände von der Arbeit etwas mitgenommen. Muskeln nicht besonders kräftig entwickelt, hat für Gymnastik wenig Interesse. Schritt fest, beim Gehen leichtes Drehen in den Hüften. Rumpf wird gerade gehalten. Hautfarbe weiss, Gesicht gebräunt, sonst glatt. Haupthaar kräftig entwickelt, schlicht; Brust frei von Behaarung, Unterschenkel behaart, Bartwuchs massig. Errötet und erblasst leicht. Adamsapfel tritt wenig hervor; Stimme in der Mittellage, Fistelstimme durch Uebung ausgebildet.

Bei starken Gemütseindrücken Neigung zum Weinen, die aber meist unterdrückbar ist. Gedächtnis und Aufmerksamkeit gut, Phantasie rege. Fähigkeit und Neigung für literarische und künstlerische Aufgaben. Weder Abneigung, noch Drang zu weiblicher Beschäftigung. Sport interessiert garnicht, dagegen Mode, Theater, Pferde, Hunde. Liest viel, Romane und Wissenschaftliches.

Vita sexualis: Im Alter von 4 Jahren und später versuchte er zuerst, das Kleid seiner Schwester anzuziehn, und war sehr geniert, wenn man diese Versuche bemerkte. Er setzte sie dann heimlich fort, mit dem deutlichen Wunsche, lieber ein Mädchen sein zu wollen. Dasselbe Gefühl trieb ihn dazu, sich unter Mädchen aufzuhalten und hauptsächlich nur mit ihnen zu spielen. Mit dem vierzehnten Jahre trat der Drang nach der Frauenkleidung deutlicher ins Bewusstsein. Vom 17.—19. Jahre verspürte er weniger davon, was er auf die starke Arbeitstätigkeit in dieser Periode schiebt. Dann begann es von neuem bei Gelegenheit von privaten Bühnenspielen, um sich vom 30. Jahre an zu verstärken. In der Karnevalszeit hat er regelmässig seinen Schnurrbart geopfert, um kostümrecht zu sein, und stets nur mit Bedauern die Frauenkleidung wieder abgelegt. Lange Strümpfe und Korsett trägt er fast immer unter seiner Männerkleidung. In dieser raucht er gern, was er im Frauenkostüm nie tut. Das Kostüm wirkt auf die Arbeitslaune und allgemeine Stimmung anregend, doch ist die Potenz nicht davon abhängig. Der Trieb war immer auf den coitus cum femina gerichtet; erste Betätigung Anfang der Zwanziger. In actu ist er gern succubus. Triebstärke: durchschnittlich zwei Ejakulationen in der Woche. Von Homosexualität ist keine Spur vorhanden.

Im folgenden geben wir einige biographische Aufzeichnungen des Herrn E. fast ohne stilistische Aenderung wieder, weil sie einen guten Einblick in die Irrungen und Wirrungen gewähren, die das Liebesleben bei dieser Anlage zeitigen kann. Man sieht, wie „normal“ diese Männer fühlen, trotzdem sie das weibliche Kostüm bis in die subtilsten Einzelheiten am eigenen Leibe zu tragen begehren. Gleichzeitig bilden die erzählten Vorgänge, von deren Wahrheitstreue wir uns durch Photographieen etc. überzeugt haben, einen Beitrag zur Psychologie einer Frau, die sich wie ein Proteus in alle Situationen zu finden und diese zu eigenem Nutz und Frommen geschickt auszubeuten versteht:

„In grosser Aufregung sass die ganze Familie beim Mittagstisch; meine Schwester, weil abends ihr erster Ball sein sollte, ich, ein fünfzehnjähriger Sekundaner, weil ich zu dieser Gelegenheit als Kunstschütze auftreten sollte und meine Mutter, weil alle Vorarbeiten auf ihren Schultern ruhten. Gegessen wurde kaum etwas, denn Mutter und Schwester dachten an ihre Toiletten und ich wollte meine beiden Gewehre noch nachsehen und putzen, hatte auch noch meine Schularbeiten zu machen.

Mein Schwesterlein musste aber doch zur Küche hinunter, um Kompott heraufzuholen, da — ein schriller Aufschrei, dem sekundenlanges, dumpfes Gepolter folgte, — das arme Mädchen war oben ausgerutscht und die ganze Treppe hinunter gefallen. Blutüberströmt schleppte man sie wieder herauf und bettete sie auf dem Sofa. Schlimm war zum Glück die Verletzung nicht, das Unglück war aber doch schwer zu ertragen, denn zwei Zähne fehlten im Prachtgebiss und furchtbar schwoll die verletzte Oberlippe an, — mit dem Ball war es diesmal nichts.

Nun lag sie auf dem Sofa und ächzte und schrie, teils wegen der Kieferschmerzen, teils wegen der Seelenpein, dass alle ihre Freundinnen nun abends glänzen würden, sie aber mit einer Kompresse auf dem Plappermäulchen zu Hause liegen müsse. Mütterchen allerdings, optimistisch wie alle Mütter, hoffte noch auf eine Wendung zum Bessern und kühlte und strich ohne Ermüden, es half aber nichts, die Zähne blieben fort und die Lippen schwollen mehr und mehr. Dabei lag der Ballstaat im Schlafzimmer auf den Betten ausgebreitet und jauchzte förmlich seinen Herrinnen entgegen.

Noch war der laute Jammer nicht zur stillen Ergebenheit abgeflaut, da erschien ein befreundeter Herr vom Ball-Komitee und hatte mit meiner Mutter eine lange Unterredung, deren Gegenstand ich war. Wieso, sollte ich gleich darauf erfahren; mein Mütterchen kam nämlich ungewohnt freundlich zu mir, der ich meine Rechen-Exempel machte und fragte mich kurz und bündig, ob ich Lust hätte, als Mädchen verkleidet heute Abend meine Schiesskünste zu zeigen. Das Programm sei leider insofern verdruckt worden, als an Stelle meines ehrlichen männlichen Vornamens sich ein weiblicher eingeschlichen habe, nengedruckt könne nicht mehr werden, also entweder — oder.

Im Innersten meiner Seele war nach der ersten Ueberraschung ein namenloser Jubel. Ich als Mädchen verkleidet, in Mädchen-Röcken? Solange ich zu denken vermochte, war das mein verborgener, heisser Wunsch gewesen, umso heisser,  je unerfüllbarer er mir erschien. Im Alter von fünf Jahren, noch ehe ich zur Schule kam, ehe ich eine Ahnung vom anderen Geschlecht hatte, machte ich den Gang der Mädchen nach, das Wiegen in den Hüften und hoffte, die Leute würden glauben, ich sei ein Mädchen in Knabenhosen. Auch das Kleidchen meiner Schwester hatte ich mir heimlich angezogen und mein Kinderherz pochte vor Freude, dass es sich um meine Glieder schmiegte. Als Quintaner hätte ich gern mein ganzes Leben dahingegeben, wenn ich nur drei Tage lang ein Mädchen sein dürfte, und jetzt sollte sich mein Herzenswunsch so plötzlich erfüllen?

Meine Mutter sah den Kampf in meinen Zügen, fasste es aber anders auf, legte die Hand auf meine Schulter und sagte: Lieber Junge, Du brauchst Dich nicht zu schämen oder zu ängstigen, wir ziehen Dir das Ballkleid von Deiner Schwester an, Du benimmst Dich recht manierlich und gleich nach Deinem Auftreten holt Dich Minna ab und bringt Dich nach Hause, dann bist Du wieder mein lieber Junge und kein Mensch merkt etwas! Und so redete sie auf mich ein, denn sie glaubte, auch ich würde es wie andere Jungen meines Alters als schwerste Beleidigung empfinden, in Mädchenkleider gesteckt zu werden.

Wie glücklich es in mir war, das mochte ich meiner Mutter doch nicht zeigen, ich schämte mich dessen und tat sehr geknickt, so dass mir allerlei Vergünstigungen zugesagt werden mussten, um meine Stimmung zu heben. Unter Anderem schlug ich als geriebener Geschäftsmann Apfelkuchen mit Sahne zum Kaffee heraus. Dann aber ging an die Toilette.

Erstlich wurde ich gründlich mit Wasser und Seife gesäubert, denn am Hals hatte ich einen ewigen dunklen Streifen, vom Kragen herrührend. Dann zog man mir ein Spitzenhemdchen an, dessen Berührung mir das Herrlichste auf Erden dünkte. Etwas Mühe machte das Korsett, die Spitzenhöschen sassen aber wie angegossen und, o Wonne, ein kurzes weisses Unterröckchen flog dann über meinen Kopf und wurde kunstgerecht um die Taille zugebunden. Noch ein Spitzen-Unterrock von blendendem Weiss kam darüber, dann musste ich mich setzen und mein Haar wurde als Tituskopf zu Löckchen gebrannt. Heisses Erröten lohte über mein Gesicht, als man mir einen diskreten kleinen Busen ausstopfte und bald stand ich fertig da und kam mir wie eine Märchenprinzessin vor.

Mein Mütterchen, die Schneiderin, unsere Küchenfee Minna, alle drei rutschten um mich herum, zupften hier, strichen dort und stichelten an mir herum; denn so genau wollte das leid doch nicht passen. Mich übermannte bald die Scham, meinen Angehörigen so gegenüber zu stehen, bald aber durchtobte mich ein Jubel, dass endlich einmal mein sehnlichster Wunsch erfüllt war. Zwischen diesen beiden Gefühlen schwankte ich hin und her.

Als ich versuchsweise die Röcke etwas hob und meine durchbrochenen weissen Strümpfe und die zierlichen Atlasschuhe sah, da war mir, als sei ich nie anders gegangen, als komme mir alles das zu. Knabenhosen erschienen mir greulich und ekelhaft.

Nur mit halber Aufmerksamkeit hörte ich auf mein erc en, das mir noch Verhaltungsmassregeln gab; wie aus weiter Ferne schlug die Stimme meiner Schwester an mein Ohr, die mir nachrief: Pfui, schäme Dich doch, Du bist ja gar kein Junge, Du bist blos ein Mädchen! Der Kummer, auf meinem Körper ihr geliebtes Ballkleid sehen zu müssen, veranlasste sie, ihr eigenes Geschlecht so minderwertig hinzustellen. — Dann ging Minna mit mir ab und brachte mich zu Wilkes, die mich in Obhut nehmen wollten, da meine Mutter nun ebenfalls dem Fest fernblieb.

Ich will nur kurz erwähnen, dass Wilkes, Vater, Mutter und Tochter, mich erst etwas zweifelnd aufnahmen, dann sich aber am liebsten totgelacht hätten, so aussergewöhnlich erschien ihnen der Scherz.

Als wir in den Festsaal traten, war alle meine anfängliche Angst von mir gewichen, fest und selbstbewusst schritt ich an Erna Wilkes Seite durch den Saal und trug meine Kleider, als hätte ich nie in Knabenhosen gesteckt. Wie leicht und herrlich ging es sich in den steifgebügelten Röcken, es war mir, als schwebte ich dahin! Wie im Fluge eilten die Minuten, und bald stand ich in meinem weissen Kleid auf der Bühne und zog mit fester Hand mein Gewehr an die Schulter. Schuss auf Schuss sass mit einer Sicherheit, wie ich sie noch niemals erreicht hatte, jedenfalls infolge der Aufregung, die schon von jeher meine Hand nicht zittern, sondern fester werden liess. — In meinen Bewegungen hatte ich etwas eckiges, ungraziöses; das findet man ja bei Backfischen sehr häufig; es fiel darum bei mir nicht im Entferntesten auf. Originell wirkte es aber, als ich unter grossem Beifall abtreten wollte, dass ich nicht den üblichen Knicks machte, sondern mit präsentiertem Gewehr stramm stand, bis der Vorhang endgiltig herunter war.

Minnas Versuche, mich mitzubekommen, wurden mit Entrüstung abgeschlagen, ich spielte meine Rolle als Balldame weiter und habe manche recht komische Bemerkung gehört. Ein alter Major kniff in meine Wangen und sagte: Sag mal, mein Töchterchen, Du schiessest so brillant, warum bist Du kein Junge geworden? Dich hätten wir brauchen können! Der grösste Teil der Festteilnehmer ahnte garnicht, dass ich ein Junge war; ich hörte und sah darum mancherlei, was Knaben meines Alters sonst nicht erfahren. Wenn auch mein Tanzen etwas holprig ausfiel, still gesessen habe ich nie, sondern flog von einem Arm in den ändern, mit wehenden Röcken drehte ich mich so gut es ging.

Am folgenden Tage durfte ich noch einmal mein Ballkleid anziehen, es ging zum Photographen. [Das Bild hat uns vorgelegen.]

Einige Monate später hatte ich in D. meine erste Stellung angetreten und hauste in einem hübsch möblierten Zimmer. Meine Photographie als Mädchen schmückte meinen Tisch, denn eben hatte sie meine Schwester mir in einem Briefe nachgesandt. Meine Wirtin, eine Redakteurs-Witwe von etwa \ierzig Jahren, brachte das Abendessen und fragte, ob das das Büd meiner Schwester sei. Ich hatte keine Ursache, die Wahrheit zu verschweigen und erzählte ihr von meinem Ballabend, was bei ihr grosses, etwas ungläubiges Staunen hervorrief. Dann bat sie und drängte, ich möchte doch scherzeshalber die Kleider ihrer Tochter anziehen, sie könne sich garnicht vorstellen, dass so etwas möglich sei. Ich schlüpfte mit tausend Freuden in die weichen Gewänder und was war die Folge? Sobald das Geschäft seine Pforten schloss, stürzte ich eiligst nach Hause, eins — zwei — drei! waren die Männer-Kleider abgestreift, und Korsett und weiche Unterröcke hüllten meine Glieder ein. So ging es einen Tag wie den andern. Mit keinem Kollegen verkehrte ich, kein Freund konnte sich meiner rühmen. Nach Hause, in meine geliebten Frauenkleider, das war meine einzige Sehnsucht!

Mein ganzes Gehalt ging für Kleider, Hüte, Unterröcke und Wäsche darauf. Die Zeit war aber auch herrlich. Abends ging ich als Mädchen mit meiner Wirtin spazieren, hatte bei einer ahnungslosen Schneiderin Anproben und genoss mit tiefen Atemzügen die herrliche Luft des Hofgartens. Morgens sass ich in Unterrock und spitzenbesetzter Nacht jacke am Kaffeetisch und fuhr jedesmal mit tiefem Bedauern in die Männerhosen, um zum Geschäft Zu gehen. Sonntags blieb ich überhaupt in den Kleidern, ging früh mit meiner Wirtin spazieren, oft auch zur Kirche, nachmittags machten wir Besuche bei befreundeten Familien, die mich für ein wirkliches Mädchen hielten, oder wanderten in der Umgebung der Stadt. Kurz, es war so schön, wie ich es in meinen Träumen nicht einmal mir ausgemalt hatte. Dabei war, wie ich ausdrücklich bemerken will, meine Wirtin stets diskret zu mir und hat nie die Grenzen des erlaubten Verkehrs überschritten.

Diese überaus herrliche Zeit nahm ein jähes Ende; meine Firma fallierte, und trotz aller Mühe fand ich in D. keine zweite Stellung. Mit tiefer Trauer musste ich scheiden, reich an Mädchen-Kleidern, arm an Männerkleidern, noch ärmer an Geld. H. nahm mich in seine Mauern auf, hier setzte ich die Jagd nach dem Glück fort.

Hart tobte hier der Kampf ums Dasein und dem Elend kam ich trotz allen Mühens um eine Stellung näher und näher. Eines Sonnabends, als ich wiederum meine Miete nicht bezahlen konnte, machte ich mich schweigsam aus dem Staube, meinen wohlgefüllten Koffer mit den Kleidern der gierigen Megäre, die sich meine Wirtin nannte, preisgebend. Im dunkelsten Winkel der Hafenstadt fand ich ein jammervolles Loch, das nicht im Voraus bezahlt werden brauchte, und von dieser Verborgenheit aus suchte ich weiter verzweiflungsvoll nach Beschäftigung.

Ein paar Tage später fiel mir in einem Kaffee-Keller das „Hamburger Fremdenblatt“ auf. Darin stand zu lesen, dass ich (mein voller Name war angegeben) vermisst werde, denn ich hätte mich heimlich aus meiner Wohnung entfernt, ohne irgendwelche Nachricht von mir zu geben. Nach meinem Verbleiben hätten meine Wirtsleute meinen Koffer geöffnet, um vielleicht über meine Herkunft etwas zu erfahren, zu ihrem Staunen habe sich dadurch eine Vermutung bestätigt, dass ich nämlich ein verkleidetes Mädchen sei, das aus irgend einem Grunde im Männer-Anzug bei ihnen gemietet und gewohnt habe. Aus meinem Aussehen und meinem Benehmen hätten sie das allerdings schon längst geschlossen, erst der Inhalt des Koffers habe aber die Gewissheit erbracht. Zum Schluss fand sich die tröstliche Bemerkung, die Polizei habe sich des Falles angenommen, um Licht in die Geschichte zu bringen.

Nun war kein Halten mehr, zitternd und bebend wankte ich zum Telegraphenamt und bat meine Mutter zum ersten Mal um etwas Geld zur Reise nach C.

Dort traf ich am folgenden Tage bettelarm ein. Das Glück war mir aber günstig; denn ich fand nicht allein eine gute Stellung, sondern auch recht netten Anschluss durch Kollegen in einer literarischen Vereinigung. Dort sollte eines Abends eine Pantomime aufgeführt werden, deren Damenrolle man mir übertrug, und das gab Anlass zu einem Erlebnis, dass ich hier wahrheitsgetreu schildern will.

Zu dieser Pantomime hatte ich mir ein recht elegantes Strassenkostüm von einem Damenschneider machen lassen, auch eine annehmbare Perücke war mein eigen, so dass ich eine ganz gute Figur machte. Eines Abends fand Kostümprobe statt, ich zog mich zu Hause als Dame an und ging die weite Strecke zum Treffort zu Fuss. Dadurch und durch das häufige Wiederholen des Zusammenspiels wurde es später, als man gedacht hatte, und zum Schluss stand ich vor der Haustür meiner Wohnung und konnte nicht hinein, weil — ich den Schlüssel vergessen hatte. Dem Portier mochte ich mich in meinen Frauenkleidern nicht zu erkennen geben; ich hoffte, es würde noch jemand kommen und ging auf und ab. Da kam eine Droschke gefahren und heraus stieg eine Dame, die in ihrem Handtäschchen suchte und — auch keinen Schlüssel fand. Diese Dame rief mich an und fragte, ob ich etwa aufschliessen könne. Als ich verneinte, stand sie einen Augenblick vor mir, als ob sie noch etwas sagen wollte, ging dann aber auch gleich mir nur der Kälte wegen auf und ab.

Wir hatten uns einigemale schon gekreuzt, da machte sie eine gleichgültige Bemerkung, die mich zwang, an ihrer Seite zu bleiben, obgleich mir das nicht sehr erfreulich schien; es dauerte aber nicht lange, da waren wir in der schönsten Unterhaltung. Dabei konnte ich sie beobachten und sehen, dass sie niedlich und schlank war und vorzüglich über alles zu plaudern wusste. Wie wir so nebeneinander gingen, waren wir von gleicher Grösse, sie aber trotz der Winterkleidung weit schlanker in der Taille als ich. Was wir erzählten, weiss ich nicht mehr, der Stoff ging uns aber nicht aus, denn als wir uns trafen, war es zwischen 10-11 Uhr, als wir endlich durch einen Dritten ins Haus hineinkonnten und un6 darum trennen mussten, schlug es drei Uhr und beide waren wir erschrocken; denn wir hatten geglaubt, es sei kaum Mitternacht.

Sie mochte aber Gefallen an mir gefunden haben, denn sie lud mich zum Abschied ein, am anderen Abend punkt 8 Uhr zum Abendessen bei ihr zu sein. Sie klagte, dass sie gar keinen Verkehr mit andern Damen habe, ihr Mann sei schon lange gänzlich gelähmt, und wenn wir zusammen passten und ich sie recht häufig besuchen könne, sei sie mir recht dankbar.

Noch nie war ich so unaufmerksam, wie anderen Tags im Geschäft. Vormittags sagte ich mir, dass es an Wahnsinn grenze, wenn ich wirklich hingehen würde. Zum Nachmittag meldete sich erst ganz leise, dann immer lauter die Lust an diesem kühnen Unternehmen und abends um 6 Uhr sass ich im Korsett und kurzem Unterröckchen vor dem Spiegel und rasierte mich, obgleich ich hierzu keine Ursache hatte; denn Bartwuchs war kaum vorhanden trotz meiner 21 Jahre. Um 8 Uhr klingelte ich an ihrer Wohnung, ein Dienstmädchen nahm mir Jackett, Hut und Schirm ab und sagte, die Gnädige habe schon mehrfach nach mir gefragt. Mit klopfendem Herzen stand ich einen Augenblick darauf vor ihr und sah, dass sie, eine elegante, schöne Erscheinung, auf einem Divan lag und gelesen hatte.

Sie erhob sich, reichte mir beide Hände und drückte mich in einen Sessel, dabei fühlte sie, dass ich vor Aufregung zitterte. Aber liebstes Fräulein, sagte sie und streichelte meine Hand, ich bin Ihnen für Ihr Kommen so dankbar und Sie zittern? Diese Nacht an meiner Seite so mutig und tapfer und jetzt etwa ängstlich? Dann plauderte sie so lieb und herzig, dass ich aller Angst vergass und auch auftaute und hier und da ein Wort riskierte. Meine Sorge war, sie könnte etwas merken, ich war darum äusserst vorsichtig, sie ahnte aber nichts und sprach unbefangen und nett. Dann klang ein Gong und rief zu Tisch; da legte sie den Arm um meine Taille und führte mich in den Speisesaal. Zu meinem grössten Schrecken fand ich hier ihren Mann, der hilflos in einem Stuhl hereingeschoben wurde.

Sie wollte mich ihrem Mann vorstellen, da fiel ihr ein, dass sie nicht einmal meinen Namen wusste. In meiner Fassungslosigkeit sagte ich meinen wirklichen Yor- und Familien-Namen, nämlich Willi B ..., das fiel aber nicht weiter auf und sie nannte mich einfach „Fräulein Willi“, ihr Mann ebenfalls.

Gegessen habe ich nicht viel, das möge man mir glauben; auch meine Unterhaltung war recht einsilbig, aber mit tiefer Freude im Herzen konnte ich konstatieren: Keiner von beiden merkt, dass ich kein Weib bin.

Nach dem Essen sassen wir in ihrem netten Zimmer zusammen; nun ging die Unterhaltung schon besser. Wie es unter Damen üblich ist, kam die Rede zuletzt auf Toiletten. Sie sprang auf: Wollen Sie mein Neuestes sehen? Entzückend, sage ich Ihnen, o, das müssen Sie sehen! Sie eilte hinaus und brachte ein Kostüm herein, so zart, so duftig, wie ein in Spitzen übersetztes Gedicht. Dieses Wunderwerk breitete sie vor mir aus.

In schweigendem Entzücken betrachteten wir es eine Weile; dann fragte sie mich, ob ich es anprobieren wolle, wir hätten doch beide dieselbe Figur und sie möchte zu gern sehen wie es mir stehe. Mit Entsetzen wehrte ich ab; denn mir fiel das Luftkissen ein, das meinem Busen seine üppige Rundung verlieh. Ich mag nicht in Sie dringen, aber wollen Sie mir behilflich sein, dann zieh ich es mir an — sagte sie. Dazu war ich gern erbötig, ich half der schönen Frau Rock und Taille aus ziehen und erwies mich durchaus geschickt dabei.

Noch heute, also fast 20 Jahre später, ist es für mich ein Kunstgenuss, ein hübsches Frauchen im Korsett und niedlichem Unterröckchen zu sehen. Damals kochte in meiner ganzen Phantasie alles über, es war ein Brausen und Drängen in mir, als das schöne Weib so vor mir stand. Dieser süsse weisse Busen, dieser Nacken, auf den das braunrote Haar schattierte, das war mir, dem gänzlich unverdorbenen Jüngling, eine Offenbarung, die mir meine Ueberlegung raubte. Ich stürzte auf sie zu, riss sie an mich und küsste sie auf den Mund und auf den Busen, dass jeder Kuss wie ein brennend roter Fleck sich von der weissen Haut abhob.

Halb ohnmächtig vor Schreck sank sie in die Kniee auf den Teppich; als ich dort weiterküssen wollte, mochte ihre Besinnung zurückkehren, denn nun wehrte sie sich verzweifelt und kam endlich wieder auf die Füsse. Sind Sie wahnsinnig? rief sie und stiess mich mit beiden Händen zurück, was soll ich von Ihnen denken? Instinktiv musste aber plötzlich die Ahnung der Wahrheit in ihr aufdämmern, sie flüchtete hinter einen Sessel und mit einem Gesichtsausdruck, den ich nie vergessen werde, rief sie: Sie sind kein Mädchen, Sie sind ein Mann, ein verkleideter Mann! Hochaufgerichtet, mit wogendem Busen, aus dem hellen Gesicht brannten wie Feuer die schönen, goldbraunen Augen, streckte sie den weissen Arm zur Tür aus und befahl: Hinaus! —

In der kalten Abendluft kam ich langsam zur Erkenntnis dessen, was geschehen. Ich wanderte den einsamen Ubier-Ring entlang dem Rhein zu und starrte innerlich zerrissen in die Fluten und in die treibenden Eisschollen. Erst als ich von Leuten angeredet wurde, die in mir eine selbstmordlüsterne Dame vermuteten, raffte ich mich soweit auf, dass ich nach Hause gehen konnte.

Die Nacht zu schildern, möge man mir erlassen. Gegen Morgen fasste ich einen Plan und der beruhigte mich soweit, dass ich endlich einschlief. Ich wollte meine Miete für den Monat nicht abwohnen, sondern in aller Frühe mein Zimmer verlassen, um in eine neue Wohnung fern von ihr überzusiedeln. Alles andere, nur nicht etwa sie zufällig treffen!

Morgens, als ich zum Geschäft gehen wollte, traf ich auf der Treppe den Briefträger, der mir einen Brief gab. Ich kannte die Handschrift der schönen Frau nicht, aber ich wusste genau, der Brief ist von ihr. Sehr beunruhigt ging ich zum Geschäft und hatte keinen Mut, aufzuschneiden und zu lesen. Als ich mich aber endlich dazu aufgerafft hatte, da wusste ich nicht recht, ob ich wache oder träume, ich drehte das Blättchen hin und her und las noch einmal und noch einmal. Schliesslich begriff ich aber doch und zwar am ersten das eine, dass sie mir nicht mehr böse war, sondern mich zum nochmaligen Besuch einlud. Das Schreiben lautete: Sehr geehrter Herr! Nachdem eine Stunde seit Ihrem Fortgange verflossen ist, habe ich mich soweit beruhigt, dass ich die ganze Angelegenheit mit kritischem Auge zu betrachten vermag. Leider komme ich zu dem Schluss, dass ich Ihnen sehr Unrecht getan habe, da ich unedle Motive vermutete. Ich bitte Sie darum inständigst, mein schroffes Auftreten mit meinem Schrecken entschuldigen zu wollen und würde mich sehr freuen, Sie heute Abend in derselben Verkleidung in meiner Wohnung begrüssen zu können.

Eine Unterschrift fehlte; ich wusste trotzdem Bescheid und sehnte nun mit aller Inbrunst den Abend herbei. Wie gestern, so empfing sie mich auch diesesmal, nur dass sie nicht so verführerisch auf dem Divan lag. Unsere Unterhaltung war aber einfach kläglich, denn sie vermied jede Anrede, sagte weder „Herr4' noch „Fräulein“, und ich empfand es sehr peinlich, dass sie die Wahrheit über mich wusste. Nachdem minutenlange Pausen in unserem Gespräch eintraten, erhob ich mich, um mich zu verabschieden, sie reichte mir kaum die Fingerspitzen und ich ging in dem niederdrückenden Gefühl zur Eingangstür, dass ich doch eine jammervolle Rolle gespielt habe. In diesem Empfinden übersah ich den Bärenkopf, der an dem grossen Fell auf dem Fussboden lag, ich stolperte, trat mir auf den Rock und fiel elendiglich lang hin.

Meine Zuschauerin sagte kein Wort, ich merkte aber, dass sie ihr Taschentuch in den Mund stopfte, um nicht laut zu lachen, dann platzte sie aber doch heraus, und in aller Verlegenheit erhob ich mich und lachte mit; was blieb mir auch weiter übrig? Sie beruhigte sich nur schwer, meine Haltung amüsierte sie immer wieder von Neuem. Sie rief mich zurück und sagte: Kommen Sie, liebes Fräulein, so können Sie nicht fortgehen. Vom Rock ist das ganze Futter abgetreten, das müssen wir wieder anstecken! Dann kniete sie vor mir und heftete mit Stecknadeln das abgerissene Stück an. Sie müssen den Kleiderrock richtig raffen, erklärte sie mir und machte es mir vor; da es nicht recht gelingen wollte, legte sie jeden meiner Finger einzeln in die richtige Lage und machte es mir recht plausibel. Dann zeigte sie mir, wie man treten muss, um solches Pech nicht wieder zu haben und hatte ihre helle Freude daran, dass ich mir Mühe gab, es richtig zu machen.

Es blieb nicht bei diesem Besuch, ich kam auch am folgenden Abend und wurde schliesslich ihr ständiger Gast. Unsere Exercitien setzten wir fort und mussten über manches komische Intermezzo häufig recht herzlich lachen.

Mitte Dezember hatte die schöne Frau eine Idee: Wissen Sie, Willi, Sie kommen immer in denselben Fähnchen zu mir, wenn Sie eine hübschere Robe hätten, kein Mensch könnte etwas merken. Ich werde jetzt Mass nehmen und Ihnen ein Kostüm machen lassen. Stehen Sie mal auf, und nun nahm sie voller Eifer Mass und liess bei ihrer Schneiderin richtig ein herrliches Kleid machen. Das kam zusammengeheftet zum Anprobieren und ich fand es eines Abends vor, als ich wieder zu Besuch kam. Nun musste ich ans Anprobieren und zog etwas bedenklich den Rock aus, so dass ich im Unterrock dastand. Die Taille musste aber auch aus, recht zögernd knöpfte ich auf, einen Knopf nach dem andern und nun sah die schöne Frau, woher mein Busen seine üppige Fülle hatte lind wollte platzen vor Lachen, als das Luftkissen zu Boden fiel und eine gähnende Leere in meinem Korsett sichtbar wurde. Mit geheucheltem Gleichmut tat ich es an seine Stelle zurück und streifte den Futterrock und die Taille über; voll Eifer und mit hochroten Wangen machte die schöne Frau hier und dort Kreidestriche, heftete mit Stecknadeln und und zupfte und zerrte an mir herum. Die Taille war bald so weit und Frau Trude nahm den Futterrock vor, der nun nach allen Regeln der Kunst ebenso behandelt werden sollte; aber ach, in der Taille war ich etwas zu stark und in den Hüften zu schlank. Ein seidener Unterrock der Frau Trude änderte nicht viel an der Sachlage, es blieb nichts übrig, als das Korsett noch enger zu schnüren und in den Unterrock Watteeinlage einzuheften; dann hatte ich eine leidliche Figur. Mit Frau Trude war doch ein Vergleich nicht möglich; sie so schlank, biegsam und graziös, ich etwas plump und schwerfällig, die Hände gross und rot. Sie freute sich aber doch und ihre Augen glänzten; an diesem Abend schlossen wir einen innigen Herzensbund.

A on nun an waren wir täglich zusammen; ich führte dadurch ein Doppelleben, das seines Gleichen sucht. Tags über im Geschäft eifrig und fleissig, so dass meine Vorgesetzten mit mir zufrieden waren, in männlicher Beharrlichkeit, — abends umflossen mich die weichen Frauenkleider, die mein Ich vollständig auswechselten. Frau Trudes Dienstboten, ihr Mann, keiner ahnte, dass ein völlig normaler Mann in diesem eleganten Besuchskleide steckte. Hatte mir das Dienstmädchen auf dem Korridor Mantel und Hut abgenommen, trat ich in Trudes Zimmer und wortlos sanken wir uns beide in die Arme und küssten einander wild und leidenschaftlich. Trude liebte es über alles, meine festen Glieder unter den weichen Kleidern zu wissen und ich war rasend in dies schöne Weib verliebt, weil sie sich so weich in meiner Umschlingung an mich schmiegte; es war, als wollte eins dem andern in Küssen die Seele austrinken. Wenn wir uns etwas beruhigt hatten, dann läutete der Gong und rief zu Tisch und dann sass ich an Trudes Seite als ehrbare junge Dame und vermied es, sie anzusehen, weil ihre Augen mit verzehrenden Feuer auf mir ruhten, wie wenn sie mich verschlingen möchten.

Sonntags machten wir Spaziergänge, erst in den menschenleeren Gegenden des alten Festungswalles, später, als ich mich sicherer fühlte, auch in der Altstadt und Domgegend. Von Sonnabends Nachmittag bis Sonntag spät abends hatte ich nun Frauenkleider an und fühlte mich wohl darin, als hätte ich nie Männerhosen getragen. Schon mehrfach war der Wunsch in mir aufgetaucht, dass es doch so bleiben möge; dann und wann sagte ich auch Trude davon Eines schönen Tages brachte sie das Gespräch darauf und schlug mir vor, meine Stellung aufzugeben und ganz zu ihr zu kommen, vor der Welt als ihre Gesellschaftsdame.

Besonnen habe ich mich nicht weiter, ich stimmte freudig zu. Mit meiner Wohnung hatte ich längst Schwierigkeiten, als Herr kam ich abends nach Hause, als Dame ging ich kurz darauf fort. Sonntags war ich nie zu sehen und aus all diesen Gründen wurde viel über mich geklatscht, was mich mehrfach nötigte, die Wohnung zu wechseln. Mit meiner neuesten Zimmermutter, einer alten Witwe, traf ich nun ein Uebereinkommen. Ich erklärte ihr, dass ich auf Monate verreisen müsse, sie solle mein Zimmer stets bereit für mich halten, meine Miete zahlte ich auf ein Vierteljahr im Voraus und trat, als meine Kündigungszeit im Geschäft abgelaufen war, eines Abends bei meiner Trude als Gesellschaftsdame an.

Herrliche Tage rauschten an mir vorüber, wie ein Traum zogen sie vorbei und machten mich zum Glücklichsten der Sterblichen! Meine kühnsten Wünsche wurden von den Tatsachen weit übertroffen! Hatte ich mich bisher seelig gefühlt, dass ich abends und Sonntags in meine geliebten Röcke schlüpfen konnte, so war ich jetzt überglücklich; denn Woche auf Woche verging, und alle die niedlichen Sächelchen, die Frauen an sich tragen, trug auch ich an mir und freute mich täglich aufs Neue, sie anzulegen. Meine Taille wuide zierlicher, denn ich gewöhnte mich ans Korsett; nur die offenen Damenbeinkleider vertrug ich nicht, da ich heftige Schmerzen im Scrotum davon hatte. Die geschlossenen Beinkleider, die an den Seiten zu knöpfen sind, sind etwas unbequemer; aber sie boten die gewohnte Stütze und die Schmerzen liessen nach. Mein Haar wuchs länger und länger und als ein wunderbarer, sonniger Frühlingstag über C. leuchtete und alles in Gold tauchte, wanderte Frau Trude mit mir die Ringpromenade entlang und ich trug zum ersten Mal mein eigenes Haar nach Frauenart frisiert. Wenn es zum Anfang auch verhältnismässig kurz war, eine Perücke brauchte ich nun doch nicht mehr, das machte mich sehr stolz. Gegen Mitte April gingen wir auf Reisen und blieben bis zum Herbst im Süden.

Während dieses halben Jahres fühlten wir uns sehr sicher. Mein Haar war lang, leider aber glatt und strähnig und musste allabendlich eingeflochten werden. Ohrringe trug ich auch, in meinen Kleidern fühlte ich mich sehr wohl und wollte um keinen Preis wieder einen Männer-Anzug tragen. Mein Bartwuchs war gleich Null. Die Hände freilich immer noch zu gross, aber doch zarter in der Farbe, auch das Gesicht zeugte von Pflege. Trotz aller Sorgfalt machte ich immer einen etwas ländlichen Eindruck. Das teilte ich aber mit mancher wirklichen Dame.

Hier und da kam es doch vor, dass wir Entdeckung fürchteten. Manchmal fixierten uns Herren, manchmal Damen aus irgend welchen vielleicht recht unschuldigen Gründen, immer übermannte uns die Angst. Stellte es sich nachher heraus, dass die Sorge überflüssig war, nahmen wir uns lachend vor, das nächste Mal ruhig zu bleiben; es ging uns trotzdem immer wieder so. In einem Hotel in Meran liess bei der Table de hote ein Herr kein Auge von mir. Ich wurde unter seinen Blicken unruhig und verlegen, Trude aber bekam Zittern und Herzklopfen und musste das Essen unterbrechen. Zitternd flüchteten wir auf unser Zimmer und fingen schon an, die Koffer zu packen, da brachte das Zimmermädchen ein kleines Briefchen, in welchem dieser Herr mich um eine Unterredung bat und zwar in einer Form, die deutlich zeigte, dass er nicht im Entferntesten die Wahrheit ahnte. Die Angst war wieder einmal umsonst.

Leider war Trude manchmal furchtbar eifersüchtig und das bildete eine Gefahr, grösser als alle anderen. Als Dame kann man beim besten Willen nicht umhin, anderen Damen ein freundliches Wort zu sagen, man kommt in Unterhaltung und hat plötzlich eine Freundin. Im einsamen Schweizerdorf spazierte ich durch die Wiesen und traf eine Berlinerin, ein hübsches junges Mädchen. Wir kamen ins Gespräch und gingen des holprigen Weges halber so, dass sie ihren Arm in meinen legte, unter Damen doch nichts ungewöhnliches. Das nahm Trude ungemein krumm, sie war nur schwer zu beruhigen und ich musste versprechen, das nicht wieder zu tun. Auf dem Züricher See machten wir eine Bootfahrt, ich ruderte, Trude steuerte. Die Ruder führte ich in einer durchaus sportmässigen Art und wir kamen hübsch vorwärts. Das hatte man von einer Dame noch nie gesehen und bei der Rückkehr ins Hotel drückte eine Französin mir ihr Erstaunen über meine Kraft aus. Dabei griff sie öfter an meine Armmuskeln ohne etwas Böses dabei zu denken und wir unterhielten uns ein wenig über Sport. Zufällig schaute ich nach der Richtung, in welcher Trude stand und sah ihre Augen dunkel und weitgeöffnet auf mir ruhen. Ehe ich sie beruhigen konnte, setzte ein Anfall von Schreikrämpfen bei ihr ein, der garnicht enden wollte. Am anderen Morgen reisten wir ab.

Eine nette deutsche Familie lernten wir in einem anderen schweizerischen Erholungsort kennen, dieser schlossen wir uns etwas mehr an. Besonders mit den beiden Töchtern stand ich mich sehr gut, manchmal wälzten wir uns in lauter Uebermut auf der Wiese herum, Trude, die beiden Mädchen und ich. Da es noch ganz junge Dinger waren, fünfzehn- und siebzehnjährig, mochte Trude wohl frei von Eifersucht bleiben. Nach etlichen Tagen zogen noch mehr Erholungsbedürftige zu und wir bekamen dadurch einen grossen Bekanntenkreis, Einladungen hagelten nur so, Picknicks, Ausflüge und alles Mögliche. Machten wir bunte Reihe, so dass ich neben einem Herrn sass, dann hatte Trude nichts dagegen; das war mir aber nicht besonders lieb, denn mit einer Dame unterhielt ich mich weit besser. In dieser Gesellschaft habe ich interessante Studien gemacht. Ein junger Mann, der eines organischen Fehlers halber als Mädchen erzogen wurde,*) [Gemeint ist N. O. Body: „Aus eines Mannes Mädchenjahren Berlin, 1907.] erzählt, dass sich in seiner Gegenwart Frauen geniert gefühlt hätten. Das habe ich in meiner Praxis niemals bemerkt, mir gegenüber hat sich nicht eine geniert; ob das nun die suggestive Wirkung meiner Kleidung war oder ob die Damen meines Umganges nicht so feinfühlig waren, vermag ich nicht zu entscheiden, ich glaube aber an das erstere. Viele Jahre später, wenn ich gelegentlich aus irgend welchem Grunde weibliche Kleidung trug, habe ich oft bekannte Herren gefragt: Wirke ich als Frau auf sie, oder haben sie die Empfindung, als ginge ein Mann neben ihnen? Immer erklärte man mir, dass man das absolute Gefühl habe, ich sei eine Frau. Die Kleidung muss also doch wohl die oben erwähnte suggestive Wirkung haben, wenn nebenbei nicht andere Faktoren mitwirken, die diesen Eindruck aufheben.

Die Zeit verrann, wir kehrten im Herbst nach C. zurück und verlebten einen herrlichen Winter. Konzerte, Theater und Bälle besuchten wir und gerieten so recht in den Gesellschaftstrubel dieser lebenslustigen Stadt. Bald war ein volles Jahr vergangen, dass ich Frauenkleidung trug und immer noch fühlte ich mich wohl darinnen und hatte keine Sehnsucht nach Männerhosen. Diese Erkenntnis machte mir viel zu schaffen und brachte mich oft zu Zweifeln an meiner Männlichkeit. Wenn ich ein absoluter Mann bin, so sagte ich mir, dann müsste doch mein Inneres, wenn auch nur ein wenig, nach der Kleidung streben, die meinem Geschlecht wirklich zukommt! Aber nein, nichts regte sich in mir, im Gegenteil, immer wieder durchzog mich ein wohliges Gefühl, wenn mich die seidenen Unterröcke umrauschten. Trude sagte, in Männerkleidern könne sie mich garnicht denken und möchte mich so auch nicht sehen, ich sei für den Unterrock geboren; das müsse ich schon daraus sehen, dass mir Niemand den Mann anmerke. Und abends, wenn ich in ein weiches, bequemes Hauskleid geschlüpft war, schlang sie heiss und feurig die Arme um mich und versicherte, sie würde mich nie loslassen, aus den Frauenkleidern dürfe ich nicht wieder heraus.

Auch das machte mir viel Kopfzerbrechen, denn ich hatte bemerkt, dass ein normales Weib einen Mann in Frauenkleidern nicht leiden mag, sondern Abscheu empfindet. Trude dagegen war am feurigsten, wenn ich noch Korsett und Unterröcke anhatte, dann löste sie mein Haar und wühlte darin, bis eine förmliche leidenschaftliche Raserei sie ergriff, die mit innigster Umarmung endigte.

In sexueller Hinsicht war sie sehr leidenschaftlich. Ihr Mann war krank, schwerkrank und musste im Rollstuhl fortbewegt werden, er konnte dem jungen Weib nichts bieten. Ich war ein Jahr älter als Trude und in einer Lebensperiode, die aus der Fülle heraus wirtschaften lässt. Soviel ich aber auch zu leisten vermochte, vollkommen zufrieden war Trude nie, war eine Viertelstunde verflossen, dann tauchte aufs Neue die heftigste Begierde in ihr auf. Das gab mehrfach Zank und dem Zank folgte immer eine Versöhnung, die entsprechend besiegelt werden musste. So ging es einen Tag wie den anderen.

In einer Gesellschaft hatte ich eine Dame kennen gelernt, eine Witwe, die mich auch gern als Gesellschafterin engagiert hätte. Sie lauerte mir häufig auf und sprach auf mich ein, trafen wir zu irgend einer Gelegenheit zusammen, dann sass sie gern neben mir und unterhielt sich. Das brachte Trude zur Verzweiflung! Wenn ich ihr hoch und teuer versicherte, ich hätte nicht die geringste Neigung, den Lockrufen zu folgen, sie traute mir nicht und liess mich schliesslich nicht einmal allein auf die Strasse. Diese Eifersucht trübte unser Zusammenleben sehr, dazu kam ihre eben geschilderte Leidenschaftlichkeit auf sexuellem Gebiete, genug, die schönen Tage waren bald nicht mehr schön.

Ausserdem fiel es mir schwer auf die Seele, dass ich älter und älter wurde und es doch mit keinem Schritte weiter brachte. Wohlleben und Müssiggang erzeugen trübe Gedanken und stundenlang sass ich und brütete mit finsterem Gesicht und sah vor mir eine schwarze Zukunft. Als Dame war ich gänzlich ohne Papiere, um nicht aus der Reihe der Lebenden ganz und gar gelöscht zu sein, schickte ich vierteljährlich an meine Zimmerwirtin die Miete, denn bei ihr war ich polizeilich gemeldet. Einmal brachte ich die Miete persönlich hin, ohne dass sie mich in meinen Kleidern erkannte und fand einen Brief meiner Mutter vor, die sehr verwundert ob meines Schweigens schrieb.

Wenn ich mit Trude heftig erzürnt war, dann empfand ich meine Lage als Schmach und in mir tobte und gärte es gewaltig. Das häufigere Auftreten von Zerwürfnissen liess den Gedanken an heimliche Flucht in mir reifen und als ich eines morgens einen furchtbaren Auftritt (allerdings nicht ohne meine Schuld) hinter mir hatte, der für Trude Weinkrämpfe zur Folge hatte, zog ich mich reisefertig an, machte einen Koffer mit den allernotwendigsten an Wäsche etc. zurecht und war gerade dabei ihn zuzuschliessen, als Trude dazu kam. Sie übersah sofort die Sachlage, die sie übrigens geahnt haben mochte, brachte kein Wort heraus, hob in schauerlichem Schweigen den rechten Arm und zweimal sah ich es in ihrer Hand blitzen und ein Rauchwölkchen aufsteigen: das rasende Weib hatte auf mich geschossen.

Einen Knall habe ich überhaupt nicht gehört, aber von meinem Ohr tropfte rotes Blut herab auf meine Bluse, von einem Streifschuss. Eine Kugel hatte in die Fensterscheibe ein kleines rundes Loch gemacht, die andere war an das Mauerwerk geschlagen und sprengte etwas Kalkputz heraus.

Ich habe nie in meinem Leben einen Schreck bekommen, auch bei dieser Gelegenheit nicht, ich fand ihr Vorgehen ganz natürlich. Als Trude geschossen hatte, liess sie den Revolver fallen und sank lautlos auf den Teppich. Ich brachte sie ins Bett und schickte zum Arzt, da sie nicht aus der Ohnmacht zu erwecken war. Der konstatierte ein Nervenleiden und verordnete absolute Ruhe. Der Dienerschaft und ihres Mannes halber blieb ich noch 14 Tage bei ihr, dann ging ich auf und davon, am anderen Morgen war ich in B.

Hier wohnte ich im Christlichen Hospiz einige Wochen, denn ich hatte keinerlei Papiere und konnte darum kein möbliertes Zimmer mieten. Nach allen Richtungen bemühte ich mich, um die Möglichkeit zu finden, mein Leben als Dame weiter zu fristen; denn ich hatte grosse Abneigung dagegen, wie früher wieder als junger Mann zu arbeiten. Das Glück war mir nicht besonders hold und mein Geld wurde immer weniger. Es würde zu weit führen, alle meine Versuche zu schildern, ich kann nur einiges herausgreifen. Zu einer Stellenvermittlerin kam ich, bezahlte das Einschreibegeld und wünschte Stellung als Gesellschafterin. Ihre Frage, wo ich bisher war, beantwortete ich wahrheitsgemäss, Zeugnisse konnte ich aber nicht vorlegen. Sie sah an meiner eleganten Kleidung herunter und ihr Auge blieb auf meinem Busen haften, dessen innere Leere sie ja nicht ahnen konnte, da bückte sie sich an mein Ohr und sagte: „Wollen sie nicht lieber als Amme gehen? Gute Ammen können wir immer brauchen und sie haben ja eine kräftige Figur!“

Im Hospiz wurden Einladungen verteilt zu einem Fest der Stadtmission. Um etwas auf andere Gedanken zu kommen, ging ich hin und führte auf diese Art ein niedliches Kostüm spazieren, das mir Trude in letzter Zeit geschenkt hatte. Bei Tisch sass ich zufällig neben einer jungen Dame, die mir ausnehmend gefiel durch ihr sanftes und ruhiges Wesen, mit der ich in eine nette Unterhaltung kam. Diese junge Dame wurde bestimmend für mein ferneres Schicksal, denn sie ist jetzt meine Frau. Dass ich und diese Dame, von der sie später noch öfter sprach, ein und dieselbe Person sind, weiss meine Frau heute noch nicht. Denn als ich einsah, dass es keine Möglichkeit für mich gebe, als Dame eine Existenz zu erringen, als ich sogar als Lehrmädchen einige Tage in einer Kravattenfabrik gearbeitet hatte und wegen mangelnder Invalidenkarte aufhören musste, da bot ich alles auf, um aus meiner Frauenrolle herauszukommen. Das war schwieriger als ich glaubte.

Im Tiergarten sah ich eines Sonntags nachmittags ein bekanntes Gesicht, wusste aber nicht, woher diese Bekanntschaft rühren könnte und folgte dem Herrn in einiger Entfernung. Nachdem ich ihn nochmals angesehen hatte, wusste ich endlich, wer es war, ein Landsmann von mir, ein Architekt. Entschlossen trat ich auf ihn zu und sprach ihn mit seinem Namen an. Er war sehr erstaunt, denn er erkannte mich garnicht. Mit vieler Mühe klärte ich ihn über meine peinliche Lage auf, denn er war sehr geneigt, meine Angaben für einen schlechten Scherz zu halten. Als er endlich begriffen hatte und aus seinem Staunen heraus war, erschien ihm alles ungeheuer spassig und lustig. „Weisst was? sagte er, heute bleibst noch in deinen Mädelskleidern, morgen auch. Jetzt gehn wir erstlich mal uns stärken, morgen Abend haben wir ein kleines Künstlerfest und da kommst du mit und bist meine Dame. Und übermorgen in der Frühe, da bestellen wir den Barbier, der schneidet deine langen Haare ab und du fährst wieder in deine Hosen. Erst pump ich dir einen Anzug, dass du wieder nach C. kannst und den schickst mir wieder und siehst dann selber zu, wie du weiter kommst!“

Mit vieler Wehmut und Trauer liess ich am Montag mein schönes braunes Haar zum letzten Male frisieren, betrübt zog ich mein hellgraues Seidenkleid an und gab in der Damengarderobe des Festsaales meine Sachen, Mantel, Hut und Boa ab. Dann bin ich aber krampfhaft lustig geworden und habe den jungen Künstlern als ein fesches Weib gegolten, das alle Scherze mitmacht.

Am anderen Morgen in meines Freundes Wohnung schnitt der Barbier nach etlichem Sträuben mein Haar ab und jeder Schnitt tat mir weh. Dann zog ich zum erstenmal seit zwanzig Monaten wieder Männerkleider an und fühlte mich sehr unglücklich darin. Meine weichen, rauschenden Kleider aber kamen in den dunklen Koffer und abends fuhr ich nach C. zurück zu meiner Zimmerwirtin und musste mir eine neue Existenz schaffen und sehr angestrengt arbeiten.

In meinem Herzen aber erlosch die Sehnsucht nicht, wieder Frauenkleider tragen zu dürfen und als Weib zu gelten, und wo es nur irgend möglich war, trug ich meine Röcke, auch daheim im stillen Zimmerchen.

Später kam ich wieder nach B., diesesmal als Mann und als ich eine Existenz hatte, holte ich mir das liebe junge Mädchen, von dem ich oben schon sprach, als mein Frauchen und wir beide sind sehr fleissig am Arbeiten gewesen, haben bisher Glück gehabt und sind vorwärts gekommen. Zwei liebe Kinder machten unser Glück vollkommen.

Die Sehnsucht nach den Frauenkleidern ist aber trotz alledem nicht verschwunden, sondern ist immer noch übermächtig in mir, und komme ich vom Geschäft nach Hause, dann ist es das erste, dass ich Unterröcke und ein bequemes Hauskleid anziehe. Mein Frauchen sieht es nicht gern, sie ärgert sich etwas darüber, duldet es aber, denn ich bleibe zu Hause; sie hält es wohl für eine Marotte. Dass es ein innerer Drang ist, weiss sie nicht und soll es nicht erfahren.“

Anmerkungen

Es muss ein Artikel im Hamburger Fremdenblatt erschienen sein.

Quellen

Magnus Hirschfeld: Die Transvestiten, 1910, Fall 5, S. 31-54