Herr H (Hirschfeld 8)

Wann erwähnt: 1910

Namen(n): M: Herr H / W:

Lebensdaten: 1885 (ca.) geboren

Beruf: Mediziner

Ort(e): außerhalb Deutschlands

Fallbeschreibung

Originaltext Hirschfeld

Fall VIII.

Herr H., Mitte der zwanziger, Mediziner, korrespondierte mit uns über die Angelegenheit vom Auslande her. Seinen Ausführungen entnehmen wir folgende Einzelheiten:

„Ich interessiere mich lebhaft für die bisher zu wenig beachteten femininen Züge bei sonst heterosexuellen Männern. Der Wunsch, sich als Frau zu verkleiden, ist fast immer durch Erziehung, Sitte usw. gehemmt. Doch haben ihn sicherlich viel mehr Männer, als ihn betätigen. Ich selbst liebe es, mich als Frau zu verkleiden; indessen aus etwas ändern Gründen. Ich habe namentlich das sogen. Prinzesskleid gern, der Aesthetik wegen, und fühle mich in dieser Kleidung total Frau, bin auch in den Bewegungen etc. ganz feminin. Mit abrasiertem Schnurrbart und Perücke erkennt man mich absolut nicht als Mann. Das Kleid muss neu, die Wäsche frisch gewaschen sein; Parfüms verwende ich gern, am liebsten Heuduft. Dabei bin ich so heterosexuell wie möglich, war mit 19 Jahren verheiratet und habe mich, seitdem ich meine Frau vor 2 Jahren verlor, letzt von neuem verheiratet. Obwohl ich seit Jahren viel in homosexuellen Kreisen verkehre, als Wissenschaftler die Theorie der natürlichen Variabilität, und als Philosoph die Wiederaufnahme der hellenistischen Ansichten vertrete, so kann icn es doch über eine blosse Freundschaft mit Männern hinaus beim besten Willen nicht bringen. Der blosse Gedanke an gleichgeschlechtlichen Verkehr ekelt mich direkt an. Im Gegensatz dazu stehn einige feminine Eigenschaften an mir. Man sagt oft, ich „ginge wie eine Dame“. Meine Hände sind ziemlich klein, beweglich. mit schmalen Fingern. Obwohl es hierorts nicht üblich ist, trug ich längere Zeit hindurch ein Armband und lange Locken. Ich liebe auch weibliche Handarbeit, sticke gelegentlich besser als die Da me n meiner Bekanntschaft, und webe.“

Eigentlich hat nun der Reiz der Frauenkleidung für mich nichts Erotisches. Es ist, als wenn zeitweise das Weibliche in meinem Charakter besonders stark hervortritt; dann liebe ich die Maskerade, weil sie meinem Seelenzustand entspricht. In Augenblicken, wo ich mich mehr Mann fühle, ist mir wiederum ein straff sitzendes Sportkostüm oder eine Studentenuniform (Litewka) angenehmer.“

„Auf der psychiatrischen Klinik in X., wo ich längere Zeit arbeitete, wurde ich oft vom Assistenten der Frauenabteilung zu Hilfe geholt, weil „ein Weib immer besser mit Weibern auskommt“. Ich glaube eben, der weiblichen Psyche besser nachfühlen zu können, als die meisten meiner Freunde. Dadurch habe ich viele intime Freundschaften mit Frauen gewonnen, ohne dass diese im übrigen einen mehr als platonischen Reiz für mich gehabt hätten“

„Der Weibtypus, den ich liebe, ist einzig folgender: Mittelschlank, kräftig, blond, mit „sehr üppigem Haar, blaugrauen Augen, breitem Becken, also körperlich total Weib; aber geistig stark entwickelt, eine sogen. Intellektuelle.“

„Was meine Libido anlangt, so komme ich beim einfachen Koitus nicht oder schwer zur Befriedigung; er muss stuprumartig sein, mit gleichzeitig erzwungenem basium linguarum. Meine Frau war etwas masochistisch veranlagt, sodass sich unsere Bedürfnisse hier ausglichen. Ich habe bisher nur mit meiner Frau verkehrt; einer puella gegenüber würde ich aus purem Ekel impotent sein. Wenigstens war dies Gefühl, als ich einmal ein Bordell besuchte, so mächtig, dass ich mir von der puella nur ihre Lebensgeschichte erzählen liess und dann davonging. Uebrigens lässt mich jedes Weib kalt, das zu willig ist oder sich mir mit zu deutlichen Absichten nähert. Gehst du zum Weibe, vergiss die Peitsche nicht! dies Wort aus dem Zarathustra ist mehr nach meinem Sinn.“

Quellen

Magnus Hirschfeld: Die Transvestiten, 1910, Fall 8, S. 68-70