John O. (Hirschfeld 13)
Wann erwähnt: 1910
Namen(n): M: John O. / W: Jenny
Lebensdaten: 1862 geboren
Beruf: div. Berufe, Journalist, Kolportagebuchhändler
Ort(e): in Vorarlberg geboren und Kindheit dort, Schweiz, ca. 1879 nach Lunéville, St. Quentin, Paris, Claparède, St. Denis an der Seine, 1882 nach New York, Jersey City, Milwaukee, Montana, 1885 nach San Francisco
Fallbeschreibung
Originaltext Hirschfeld
Fall XIII.
Im Jahre 1905 erhielt die Herausgeberin der Zeitschrift „Mutterschutz“ von einem gewissen John O. aus S. Francisco mit der Bitte um Veröffentlichung ein sehr merkwürdiges Schreiben. Als der von ihm erwartete Abdruck während längerer Zeit nicht erfolgte, wandte sich O. an mich: „Er sei sehr enttäuscht, dass man ihn nicht hätte zu Worte kommen lassen.“ Der seltsame mir in Abschrift beigefügte Brief, von dem ich sehr wohl verstehe, dass ihn die Redakteurin, ihrem Leserkreise nicht zumuten wollte, da sein Inhalt ihnen wohl kaum verständlich gewesen wäre, hatte in der Hauptsache folgenden Wortlaut:
„Ihre Zeitschrift Mutterschutz interessiert mich so sehr, dass ich sie halten muss: ich bin körperlich männlich, geistig weiblich, deshalb habe ich für alles was weiblich ist, sehr viel Sympathie. Da Sie für sexuelle Freiheit kämpfen, möchte ich ein Wort sprechen über die Verfolgung der Effeminierten. Denn manche Mutter versteht ihren Sohn nicht, weil er mädchenhaft ist. Ich bin der Ueberzeugung, dass wenn ein Knabe einmal 8 oder 10 Jahre ist und er zeigt Vorliebe für Mädchenkleider, Mädchenarbeit und Mädchenspiele, dass dann die Mutter zum Wohle des Kindes besser tut, ihn in seinem Wunsche freie Wahl zu lassen. Der Knabe ist dann, nämlich nur geschlechtlich männlich, aber geistig Mädchen und wenn solche Kinder nach ihrem Gefühl erzogen werden, dann sind sie viel glücklicher als wenn man ihnen durch Strafen, Spott oder gar Misshandlungen das Knabenhafte beibringen will. Wird er aber dann als Mädchen erzogen, so verliert er allen Zweifel und wird im weiblichen fester, so dass er dann niemals mehr den Wunsch hat ein Mann zu sein; wird er gezwungen sich als Knabe zu bewegen, so fühlt er sich niedergeschlagen und sehnt sich nach der Zeit wo er als Dienstmädchen oder ähnliches sein Leben machen kann. Ich bin nicht mit Dr. Moll in seiner konträren Sexualempfindung S. 448 einverstanden, wo er sagt: man solle durch Strafen die Effemination zu beseitigen suchen. Er sagt ja auf S. 157 selbst, „es ist in der Tat auffallend, wie mächtig sich bei manchen Homosexuellen das weibische Benehmen zeigt. Wenn man berücksichtigt, dass die Erziehung derartiger Knaben meistens der der anderen gleich ist, so ist es wunderbar, mit welcher Stärke trotzdem die weibliche Natur schliesslich bei ihnen durchbricht.“ Ich will zugeben, dass bis zum 5. Jahre vielleicht noch manches Kind durch Erziehung zu seinem Geschlecht erzogen werden kann, aber meistens auch dann nicht und zeigen sich die mädchenartigen Eigenschaften viel stärker als die knabenartigen, so ist es für das Kind viel besser, es nach seinem geistigen Geschlecht zu erziehen. Deshalb, liebe Mütter, erzieht doch solche Söhne als Mädchen, denn gute Ehemäner werden sie selten, sie haben sogar eine Abneigung vor dem Verkehr, ausser wenn sie später vielleicht einmal eine Frau finden, die männlich ist. Auch wäre ich dafür, dass die Polizei solche weiblichen Männer in Ruhe lässt und dass sie den Frauen gleich behandelt werden. Ich selbst habe als Kind jede Gelegenheit benutzt die Kleider meiner Schwester anzuziehen, wurde oft dafür geschlagen, verspottet und geneckt, spielte mit Mädchen und sehnte mich nach der Zeit wo ich aus der Schule war, um als Kindermädel arbeiten zu können. Schliesslich stahl ich von einem Mädchen die Kleider und einen Heimatschein und floh in Mädchentracht in die Schweiz, so dass niemand für Jahre wusste, wo ich war. Das erste Vierteljahr wünschte ich manchmal noch lieber als Junge zu arbeiten, denn die Arbeit war hart und die Frau bös, aber die zweite Frau Meisterin war besser zu mir, und so vergass ich bald meine Heimat und mein Geschlecht. Mit 19 Jahren hatte ich den ersten Liebesakt durch Angriff eines Mädchens gehabt, und während des Aktes wünschte ich auch Mädchen zu sein. Ich weinte manchmal, dass ich kein Weib war und nicht Mutter werden konnte. Als ich in die 20 kam, liefen mir die jungen Leute nach, zumal ihre Mütter mich ihnen lobten, ich würde eine gute Hausfrau werden. Aber was für Leiden hatte ich, dass ich das andere Geschlecht hatte, o wie schmerzlich war es mir, wenn ich ein Liebespaar mit einander tändeln sah, wie neidisch war ich auf jene Mädchen und bin es heute noch. Mein Liebesideal waren stets starke männliche Frauen, solchen gegenüber will ich mich als Weib fühlen. Nur der Polizeiwillkür halber trage ich ausser Hause die männliche Tracht. Die Unterröcke sind mir ein Heiligtum und würde am liebsten ganz und gar die Frauentracht behalten, wenn es auf der Strasse erlaubt wäre. Seit längerer Zeit habe ich den Vorsatz, sobald ich eine sichere Stellung als Kinderfrau oder ähnliches finde, sie anzunehmen, damit ich beständig und frei in weiblicher Toilette gehen kann. Ich bin jetzt 43 Jahre alt und ledig, seit 6 Jahren aller Liebesumarmung frei, öfters habe ich Träume als Weib, von Kindbett und Kinderstillen, und freue mich noch beim Erwachen, bis ich mich dann überzeuge, ob es wirklich wahr ist und ich dann zu meinem Bedauern das Gegenteil ausfinde. So, liebe Frauen, könnt Ihr Euch ein Bild machen, wie unglücklich Euer Kind sich fühlt, wenn ihr versucht seine Angeborenheit zu unterdrücken. Ein solcher Knabe schämt sich nicht als Mädchen aufzutreten, im Gegenteil, er ist ja geistig ein Mädchen und will es auch sein. Ich habe viele Weibmänner gesprochen, die meisten hatten wenig Geschlechtstrieb und von Männerfreundschaften hatten sie keine Ahnung, solange sie sich in Gesellschaft von Frauen und Kindern bewegen konnten. Wenn sie auch nicht in Franenkleidung waren, so hatten sie doch die Vorliebe für die weiblichen Sachen und wohnten lieber bei einer Familie, wo Kinder waren. Wenn einmal volle Kleiderfreiheit aufkommen wird, so werden sich die Effeminierten der weiblichen Gesellschaft anschliessen, grade so wie die Mannweiber sich dem sogenannten stärkeren Geschlecht zugesellen werden; wenn der Modezwang nicht mehr besteht, so wächst der Weibmann ins weibliche hinein und wird von einem Mannweib angezogen, denn beide fühlen sich von Natur für einander bestimmt, er als Weib und sie als Mann und sie werden so glücklich leben als die normalen Ehegatten von heute Das gewöhnliche Weib reizt den Weibmann nicht und der männliche Mann zieht das männische Weib nicht an. Viele Frauen haben sich über mich gewundert, wenn sie durch Zufall mein Geschlecht erfuhren, dass sie keine männlichen Eigenschaften bei mir hatten sehen können; wie oft sagten sie dann: „Johanna, dn hättest besser ein Mädchen abgegeben“. Alles, was ich hier sage, gilt umgekehrt für Mädchen mit knabenartigen Anlagen. Wie manche würde als Techniker, Erfinder oder ähnliches grosses leisten, wenn sie frei als Mann geduldet würde, so wie sie es sein will. Beide würden ihr Geschlecht vergessen und wären glücklich. Die Menschheit würde deswegen nicht aussterben, dafür sorgt schon die Natur genügend, und zudem würde es vor mancher unglücklichen Ehe schützen, denn ein Weibmann ist ein schlechter Bettgemahl für eine normale Frau und umgekehrt. Aber heiraten sich zwei, von denen eins ein Weib mann und eins ein Mannweib ist, so ist er der weibliche und sie der männliche Teil, und sie werden glücklich sein; denn wenn auch das Geschlecht anders ist, in geistiger Beziehung sind sie ja doch vom entgegengesetzten Geschlecht, so wie sie die Natur begabt hat. Deshalb, liebe Mütter, warum nicht dieses Thema in die öffentliche Diskussion bringen, handelt es sich doch um das Wohl Eurer Kinder? Wenn einmal die Menschen duldsamer und vernünftiger werden, wird mancher Effeminierter und manche Masculierte sich zu dem bekennen, wozu sie geschaffen ist. Blickt nur einmal hinein in das menschliche Leben, ihr werdet ausfinden, dass sich etwas so Hineingeborenes nicht verdrängen lässt. Ist es doch auch geschichtlich erwiesen, dass manche Weibmänner grosse Kindererzieher waren und in vielen weiblichen Fächern gutes geleistet haben. Bei so manchem ist sein wahres Geschlecht nur durch Zufall oder Unglück entdeckt worden zum Erstaunen der Umgebung, welche so etwas nicht ahnte. Ich selbst bin vom 14. bis 20. Jahr beständig als Mädchen aufgetreten und später auch noch sehr oft 6 Monate und länger und wenn ich als Mann arbeitete, so war nach Feierabend der Mann gleich wieder in ein Weib gekleidet und hatte keine Ruhe ausser in den Unterröcken. Aber weil man sich schämt vor Entdeckung und vor Polizei, so fügt man sich unter Qualen diesen Gewaltmassregeln. Ich habe schon viel gegrübelt über männliche Vorteile und weibliche Nachteile, aber am Ende wünschte ich stets ein Weib zu sein, selbst Mutter wäre ich gern gewesen, und alle meine Träume sind als Weib und Mutter. Deshalb, liebe Mütter, lasst euren Kindern doch die Freiheit und stillt ihr Verlangen, sie werden es euch danken; wenn sich beide nach ihrer Natur bewegen können, so finden sie sich als Paare zusammen und die gleichgeschlechtliche Liebe verschwindet von selbst mehr und mehr. Durch die heutige Unduldsamkeit werden in W irklichkeit sittliche Menschen in unmoralische Handlungen hineingezogen, deshalb sollten alle menschlichen Fragen und auch diese offen besprochen werden, damit jeder über seine Natur aufgeklärt wird. Ueber die Homosexuellen ist doch so viel geschrieben, über uns Effeminierte aber fast garnichts. Schenkt doch diesem Thema, werte Frauen, etwas Aufmerksamkeit, damit die nächste Generation glücklicher werde als wir es sind.
Mit Gruss
John O.“
Nachdem ich diesen Brief gelesen hatte, trat ich mit O. in schriftlichen Verkehr und fand meine Vermutung, dass es sich um einen typischen Vertreter der hier behandelten Gruppe handelt, vollauf bestätigt. Aus seinen recht ausführlichen Mitteilungen, die vielfach dasselbe in immer neuen Wendungen und Beleuchtungen wiederholen, extrahiere ich das Bemerkenswerteste.
„Ich bin - so schreibt O. - 1862 geboren. Mein Vater war 10 oder mehr Jahre Tyroler Kaiserjäger, Hornist und machte 59 und 66 mit. Drei Brüder sind kinderlos, meine einzige Schwester hat zwei. Ein Bruder ist verheiratet mit einer Norwegerin in Amerika, der andere lebt mit einer Witwe. Von Mutterseite haben wir eine sehr grosse Verwandtschaft, Grossvater zeugte 13 Kinder mit zwei Frauen, mit der ersten 3 und 10 mit der zweiten, die hochbejahrt 1886 starb. Grossvater starb 1873 an Lungenentzündung mit 63 Jahren. Alle Tanten und Onkel von Mutterseite haben viele Kinder. Mein Vater und meine Mutter waren beide in H., Vorarlberg, geboren, so auch wir. Vater starb 67 an der Auszehrung, er soll viel getrunken haben. Mutter starb 1 1/2 Jahre später, sie soll sich am kranken Vater angesteckt haben. Ich soll das Ebenbild der Mutter sein. Wie ich später erfuhr habe ich noch Mädchenkleider getragen, als mein 2 Jahre jüngerer Bruder schon Hosen hatte. Mutter erzählte, ich hätte keine Hosen haben wollen und mich so sehr dagegen gewehrt , deshalb behielt ich die Röcke; und da meine Schwester ein Jahr älter war, konnte ich ihre Kleider auftragen, bis Mutter 1868 starb. Die Tanten zwangen mich dann zu Knabenkleidern, meine Schwester kam zu einer Tante, welche mehrere Kilometer von uns entfernt wohnte. Mutter soll sich vor meiner Geburt ein Mädchen gewünscht haben. Grossvater hätte mir die Mädchenkleider gelassen, wenn die Tanten nicht so sehr dagegen gewesen wären. Der Arzt soll gesagt haben, ich werde ein fester Junge werden. Ich erinnere mich aber ganz deutlich, ich wollte immer nur Mädchen sein, und von Verwandten und Bekannten wurde ich mit Worten wie „Madli“, „Mädchengesicht“ oder „Johanna“ geneckt. Auch sollen manche gefragt haben, warum denn das Mädchen Knabenkleider trägt. Lange vorher freute ich mich schon auf Fastnacht, indem es den Tag erlaubt war, als Mädchen herumzubummeln. Stets war ich, wenn ich meine Tante sich ankleiden sah, neidisch, dass ich nicht mich auch als Mädchen kleiden konnte. Da Tante und Onkel viel frommer waren als mein Grossvater und Vater, so brachten sie mich bald in ein katholisches Waisenhaus zu den Barmherzigen Schwestern. Nach einiger Zeit wurde ich dort der Liebling der Schwester Oberin Joachima, sass oft auf ihrem Schoss. Sie küsste mich viel und mir wurde vieles erlaubt, was andere Kinder nicht durften. Auch war ich ausersehen alle Gänge zum Herrn Pfarrer in den Ort zu machen, selbst in der Nacht wurde ich geweckt, um den Priester zu einem Sterbenden zu holen. Die Oberin sagte, der Hansel führt alles am besten aus, ohne zu fragen, behält auch alles für sich oder vergisst es nachher. Meine Schwester hat mir später, als ich schon in Amerika war, oft Grüsse von der Schwester Oberin geschrieben; sie erinnere sich heute noch, dass ich ein so verständliches Kind gewesen wäre und zu allem zu gebrauchen. Auch ich habe mich im späteren Leben oft an die Oberin erinnert, mehr wie an irgend jemand anders, und oft gedacht, dass jene Oberin eine gute Mutter geworden wäre. Mädchenkleider wollte sie mir aber nicht erlauben, im Gegenteil sie redete mir diesen Gedanken stets aus und arbeitete darauf hin, dass ich nach Brixen in Tyrol ins bischöfliche Knabenseminar gehen sollte, aber ich wollte ins Lehrerseminar nach Bregenz, weil ich dachte später, wenn ich das- Lehrerseminar absolviert habe, würde ich als Gouvernante oder Kindererzieherin gehen. Ich hatte schon damals fest vor, wenn ich einmal selbständig werde, als Frau aufzutreten. Aber da ich einsah, dass mein Vormund das väterliche Vermögen nicht anders hergeben würde, als wenn ich nach Brixen ging, so sann ich auf Mittel, dies zu vereiteln. Die Oberin erzählte mir immer, wie schön ich es als Priester haben würde, wenn die Eltern aus dem Feg- feuer erlöst werden, sobald ich einmal die erste heilige Messe gelesen hätte und vieles mehr. Aber ich betete schon damals nur deshalb, weil es die Oberin wünschte. Auch nahm mich die Oberin oft mit, wenn sie in die anderen Orte ging, um die dortigen Schwestern zu besuchen, ich war dort mit ihr immer unter den barmherzigen Schwestern, die mich gut behandelten und als Beispiel den Kindern vorstellten. Sonst war es Sitte, dass das beste Mädchen als Begleiterin mitkam, aber die Oberin zog mich vor. Einmal nahm sie mich sogar mit ins Mutter haus bei Feldkirch, und ich hörte, als die dortige Oberin, welche ihre Vorgesetzte war, sie fragte, warum sie denn einen Knaben als Begleiter habe, sagte sie: „Hochwürdige Schwester Oberin, der Hansel ist das artigste, aufrichtigste und schweigsamste Kind in meiner Obhut und ersetzt in vieler Beziehung manches Mädchen.“ Da ich nun sah, dass man mir das Lehrerstudium nicht gestattete, so ging mir trotz der frommen Erziehung immer wieder der Gedanke durch den Kopf, wie ich heimlich einen Mädchenanzug beiseite schaffen konnte, um in ihm fortzulaufen. Und als ich nun bei einem reichen Gutsbesitzer, der viel Land, Kühe und Alphütten besass, als allgemeiner Bursche eingetreten war, stahl ich bei Gelegenheit einem Mädchen, deren Beschreibung auf mich passte, den Heimatschein, zog ihre Sachen an und verbrannte in der Nacht meine Knabenkleider. Alles Knabenartige liess ich in Yoralberg und ging nach der Schweiz, so dass die Verwandten von mir nichts wussten. Ich hatte Angst zu schreiben und fürchtete auch, man könnte mich wieder zwingen, als Knabe zu gehen. Ich arbeitete nun zuerst als Kindermädchen und in der allgemeinen Hausarbeit, nebenbei lernte ich in einer Stickerei. Die erste Meisterin gefiel mir nicht, aber später bekam ich eine bessere und auch mehr Lohn. Sie fand aber leider heraus, dass ich kein richtiges Mädchen war, doch machte sie nicht viel davon, weil sie meinte, sie hätte noch nie eine so gute Arbeiterin gehabt. Inzwischen wurde ich stark und nicht übel, so dass mir die Jungen nachstellten. Die Meisterin gab mir manchen guten Rat, ich folgte ihr und ging auch nicht mehr tanzen und abends in Knabengesellschaften. Ich fühlte mich damals ganz als Mädchen, nur wenn die Buben zu frech wurden, da fiel mir ein, dass ich leider keines war. Am meisten freute ich mich auf Sonntag, wo ich mit den Kindern spazieren konnte im gestärkten Unterrock, weisser Schürze und Häubchen, dann fühlte ich mich wie im Himmelreich; nur wenn mir ein schöner Mann freundlich nachblickte, ärgerte ich mich, dass ich keine besseren Brüste und Hüften hatte. Wie manchmal, wenn ich ein Mädchen baden sah, wünschte ich ihren Körperbau zu besitzen, hätte ihnen gerne meinen dafür gelassen. Als ich noch religiös war, betete ich, „Lieber Gott mache mich doch zum Mädchen“. Mit 16 1/2 Jahren überwältigte mich ein Mann, jedoch ich wehrte mich, er aber verschrie mich als Zwitter, so hatte ich keine Ruhe mehr, ich musste in eine andere Gegend und zog nach Frankreich, wo ich in Luneville als Stickerin anfing. Ich hielt dort Freundschaft mit einem Mädchen, die entgegengesetzt wie ich war, nämlich männisch, und als sie in die Stickerei nach St. Quentin ging, folgte ich ihr. Nicht lange darauf lockte mich ein Sticker nach Paris, wo ich mehr verdienen würde. Dort hatte ich Gelegenheit zuerst mit Frauen zusammen zu kommen, die mit anderen Frauen zusammen lebten in eheartigem Bund, wie es eine in Frankreich ziemlich verbreitete Sitte ist.
Da ich nun eine gute Arbeiterin auf Seide war, so ersuchten manchmal Sticker meinem Arbeitgeber, mich ihnen für einige Zeit abzutreten, da ihre Stickerinnen nicht so geschickt waren als ich. So kam es einmal, dass ich gezwungen war mit einem gleich alten Mädchen zusammen zu schlafen. Ich hatte stets die Gewohnheit das Hemd so zwischen die Beine zu legen, dass niemand meine Organe sehen konnte. Mitten in der Nacht aber weckte mich meine Bettgenossin auf und sagte mir, dass ich nicht richtig geschaffen sei. Ich schämte mich zuerst und frug, wie sie das behaupten könne, sie sagte: „ich berühre stets meine Schlafgenossinnen und fand so, dass du anders bist“. Ich bat sie nichts zu verraten, sonst müsste ich sogleich verschwinden. Sie sagte, du brauchst dich nicht zu schämen, es gibt noch andere Mädchen, die sind wie du, und bat mich ich solle nichts sagen, dass sie mich berührt hätte. Jedoch am Morgen liess sie mir keine Ruhe, ich sollte mich ihr zeigen, sie könne mir vielleicht einen Rat geben; und durch ihr vertrauliches Reden erlaubte ich ihr schliesslich, mich zu untersuchen. Dieses Mädchen war die erste mit der ich in geschlechtliche Beziehungen trat, wobei ich succubus war. Ich hatte den sehnlichen Wunsch von ihr Mutter zu werden. Sie heiratete aber bald wegen Geld, wollte jedoch haben, ich sollte zu ihr ziehen. Aber ich merkte, dass auch ihr Mann mir nicht abhold war, und so traute ich dem Frieden nicht. Doch besuchte ich sie öfter; einmal war der Mann allein zu Hause, er lud mich ein zu warten bis die Frau käme, liess mich viel trinken und plötzlich umfasste er mich, wollte mich küssen und gewaltsam gebrauchen, wobei er herausfand, dass ich kein Mädchen war. Da bedrohte er mich mit der Polizei, wenn ich nicht die Gegend verlasse. Da entschloss ich mich wieder als Mann zu gehen, und fand als solcher Arbeit bei Claparede, St. Denis an der Seine, trug aber die Mannestracht nur während der Arbeit, zu Hause legte ich sofort die Frauengewänder an und hielt mich von allem so fern wie möglich. Es gefiel mir aber garnicht unter den Männern zu arbeiten, noch weniger behagte mir die Kleidung und immer befürchtete ich noch, dass der Mann meiner Freundin mich anzeigen würde. Der Zufall gab es, dass ich dieser eines Abends begegnete, sie drang in mich, doch wieder mit ihr zu leben, sie sei ihres Mannes über, er wäre zu leidenschaftlich, auch hätte sie sich die Ehe besser vorgestellt. Ihr Mann hätte ihr alles viel schöner versprochen, sie sagte, ich solle doch ihre Freundin werden, sie würde nie wieder mit einem anderen Mann zusammengehen. Ich wollte nicht, indem ich damals selbst an mir zweifelte; wenn ich damals die Erfahrungen und Kenntnisse gehabt hätte, die ich heute habe, ich hätte ihr die Frau ersetzt. Damals aber betrachtete ich es als Schlechtigkeit, litt sehr viel unter Selbstmordgedanken, und hatte keine Freude mehr an einem Leben wie ich es führte. So verliess ich 1882 Frankreich und ging nach New York. Fand auch hier bald Arbeit als Stickerin, wurde aber entdeckt und nahm dann eine Stellung als Magd auf einem Bauerngut im Staate New York an, denn ich dachte, ich würde dort unbehelligt leben können. Die Bauern hatten damals grosse Not Mägde zu bekommen. Eine Weile ging es auch ganz gut, aber eines Tages wurde der Bauer in Abwesenheit seiner Frau zudringlich, ich fürchtete Entdeckung und als ich las, dass in Jersey City Stickerinnen gesucht wurden, verliess ich den Platz und bekam in Jersey C. gute Arbeit. Damals kaufte ich mir die modernste Damentoilette, so dass ich reizend aussah, gab meine ganzen Ersparnisse dafür aus, denn ich dachte, hier lange zu arbeiten und viel Geld zu verdienen; jedoch die anderen Mädchen machten mir die Arbeit sauer, deshalb gab ich sie auf. Einige Wochen konnte ich noch gut leben. Inzwischen lernte ich einen Sticker kennen, der mich nicht aus den Augen liess und mir überall nachging. In einer Saufnacht fand er heraus, dass ich kein Mädchen war, ich wollte nichts mit ihm zu tun haben, aber er liess nicht locker und der Trunk lieferte mich ihm aus; unter seiner Drohung er würde der Polizei anzeigen, dass ich Maskerade treibe, ergab ich mich seinem Willen. Er trieb mit mir paedicatio und fellatio und behandelte mich vollkommen als Frau, kaufte mir sogar schöne Toiletten, so dass ich damals ganz kokett war. Es ging einige Monate in denen ich mich jedoch von Tag zu Tag elender und unglücklicher fühlte und eines Morgens packte ich alles zusammen, verkaufte als er fort war alles, was Wert hatte, schickte meine Frauenkleider fort, zog mich als Mann an und fuhr nach Milwaukee. Hier arbeitete ich als Mann auf einem Holzplatz, dann im Winter als Koch; da ich nun aber doch viel lieber Frauensachen trug, ging ich im Frühjahr als Köchin nach Montana. Dort aber wieder verraten machte ich mich nach S. Francisco auf, wo ich im Februar 1885 eintraf und heute noch wohne. Bald nachdem ich dort angekommen war, wurde der Frau, bei der ich wohnte und boardete, ein Mädchen geboren. Jetzt begannen für mich glückliche Stunden, indem ich das liebe kleine Wesen pflegen und ab warten durfte. Wer war froher als ich, wenn die Frau sagte: „Jenny — die weibliche Anrede war mir, wenn wir allein waren, lieber — Rieh, und ich wollen ausgehen oder gar verreisen, versehen sie das Kind“. Mit welcher Freude und Sorgfalt nahm ich es aus seinem Bettchen, machte es sauber* warf das nasse Zeug in die Wasch, zog es wieder an, herzte und koste es und ging spielend mit ihm auf und ab. Ich wusste genau, wie es eine Mutter zu besorgen hatte und war glücklich wenn die Frau mich lobte und meinte, ich wäre eine gute Mutter geworden. In den vier Jahren, wo ich das Kind hatte und ihm alle freie Zeit widmete, habe ich nur ein einziges Mal geschlechtlichen Verkehr gehabt. Ich dachte überhaupt nicht daran, denn das Kind war mir viel zu lieb. Lizzie hing sehr an mir und wollte bald nur von mir bedient sein. So wie sie aufwachte, rief sie meinen Namen. Der Vater war sogar ärgerlich, weil sie mich viel lieber hatte, als ihn, und dies auch aussprach. Das Kind wuchs mir ans Herz, als wäre es mein eigen, und nie wieder habe ich ein Kind so lieb haben können wie dieses. Und das war auch gut, denn als Lizzie mit ihren Eltern fortzog, war ich ganz verzweifelt, so gerne hatte ich es. Um den älteren Knaben gab ich nicht so viel, tat allerdings auch für ihn alles, wenn die Mutter fort war, küsste ihn aber viel seltener. Noch heute überlege ich mir oft, ob ich nicht meinen Buchhandel aufgeben und lieber als Kindsmagd gehen soll. Die Erziehung und Pflege der Kleinen ist mein höchstes, sie im Sinne von Fröbel, Pestalozzi und anderen grossen Kinderlehrern heranzubilden meine ganze Freude. Ich lese alles was ich über Kindererziehung bekommen kann und glaube bestimmt, wenn ich mich der Kinderpflege ganz hätte hingeben können, mein Geschlechtssinn überhaupt abgestorben wäre. Allerdings habe ich bemerkt, dass mir fremde Kinder nicht so lieb sind wie die, welche zum Haus gehören. Inzwischen hatte ich in S. Francisco angefangen als Kolporteur zu handeln, ich suchte mit Schundliteratur die Tanzkeller auf, nebenbei mit sozialistischen Schriften und nahm auch selbst an der Arbeiterbewegung teil, da ich mich jetzt wieder ausserhalb der Wohnung als Mann bewegte. Durch die Tanzmädchen bekam ich später auch am Tage Arbeit, wie Reinigung ihrer Zimmer, musste ihnen auch manchmal kochen und wurde mit ihnen sehr vertraut. Sie gaben mir oft die Kleider, welche sie nicht mehr trugen, so dass mich viele Besucher auch für eine Prostituierte hielten. Damals trank ich auch viel, es war mir jetzt alles gleich, durch die Gesellschaft gewöhnte ich mich an viel Schlechtes, wovor ich allerdings im nüchternen Zustand Abscheu hatte. Ich musste aber doch das Leben machen, und entsprach es mir damals so noch am besten, denn die Tänzerinnen, unter denen manche Gebildete waren, die einst in ihrer Heimat bessere Tage gesehen hatten, nahmen mich so, wie ich nun einmal von der Natur war. Schliesslich richtete ich mir mit Hülfe von einigen dieser Mädchen eine Wohnung ein und wurde ihre Logierfrau, kochte wenn sie ihre Freundinnen einluden und machte nebenbei auch noch mein Geschäft als Kolporteur. Nur als solcher brauchte ich den Mann zu spielen. Leicht hätte ich damals der Liebhaber von einem dieser Mädchen werden können, aber ich hatte keine Lust dazu und arbeitete lieber als dass ich mich von solchen Mädchen ernähren liess. So bald ich nun Geld erspart hatte, kaufte ich mir ein kleines Grundstück, baute mir ein Haus und gab die Tanzmädchenarbeit ganz auf. In jener Zeit hatte ich mich in ein Mädchen von männlichem Wesen sehr stark verliebt, jedoch sie verstand mich nicht und ich konnte sie wohl nicht richtig nehmen, kurz sie heiratete einen ändern und soll nie glücklich gewesen sein. In den 90er Jahren fing ich dann an für deutsche Zeitungen zu reisen, bereiste Kalifornien, Oregon und Washington, alle drei Staaten abwechselnd und betrieb noch dabei in S. Francisco den Kolportagebuchhandel. Ich hoffte, ich würde bei den Reisen meine weibische Natur vergessen, aber vergebens, sie kam erst recht zum Vorschein. Eigentlich glücklich fühlte ich mich nur im Traum. Da träumte ich, „ich wäre ein Mädchen und ein junger Mann stellte mir nach, den ich auch liebte, ich dachte, wenn er sich doch an meine Seite legen würde, aber als Mädchen hatte ich ein zurückhaltendes Benehmen, doch mein Wehren war nur Schein“ und dann träumte ich wieder, „ich sei guter Hoffnung und schämte mich nicht eine uneheliche Mutter zu werden, nur der Gedanke beschäftigte mich, wird der Liebhaber mir auch helfen das Kind zu ernähren? Die Mutter wehen setzten ein und kaum war das Kind geboren und gewaschen, so verküsste ich es und liess meinem Schatz von der Geburt wissen und als er an das Bett kam, streckte ich ihm das Kind entgegen, worauf er mich küsste und ich vor Freude weinend fragte. ob wir beide nun nicht auch das Kind erziehen könnten, ich legte das Kleine dann an meine Brust und spielte mit ihm“; noch wenn ich erwachte suchte ich es neben mir, da immer noch das Muttergefühl da war. Aber dann begriff ich zu meinem Leid, dass es nur ein Traum war und beim Fühlen meines Leibes merkte ich, dass ich eine Pollution gehabt hatte. Ich aber fühlte mich sehr befriedigt und habe manchmal schon jahrelang keinen Verkehr gehabt, da mich diese und ähnliche Träume, wie ich sie seit ungefähr 1881 oft hatte, glücklich und zufrieden machten. Heute träume ich schon, ich sei eine ältere Frau, die zehn und mehr Kinder um sich hat, manchmal sind es auch Grosskinder und wir sprechen über Handarbeiten, neue Moden, Schleier, Kindererziehung und vieles andere, so dass ich mich im Traum ganz als Weib betätige. 1904 habe ich in einigen Heiratszeitungen angezeigt, dass ein effeminierter Mann eine männische Frau sucht, ich könnte kochen, nähen, waschen, bügeln etc. Ich bekam viele Antworten, aber meistens waren es raffinierte Weiber, denen es nur um das Geld zu tun war. Im März 1906 kam eine entfernte Verwandte von mir zu Besuch aus Dakota, sie verleitete mich zum Verkehr, aber es gelang nicht, so dass sie mich nachher neckte ich wäre nichts wert. Sie war recht weiblich, aber im Juni desselben Jahres wohnte in meiner Nähe eine Amerikanerin mit starkem männlichem Charakter, gut geschult, wir wurden befreundet und sprachen viel mit einander. Ich liebte sie sehr und wäre gern ihr Weib geworden, aber sie bot es mir nicht an und mich selbst anzutragen bringe ich nicht fertig. Vom Weibe erwarte ich den Angriff und die Reizung, doch muss es ein energisches, starkes Weib sein, die mir imponiert geistig und körperlich, auch ein ganz klein wenig Schnurrbart habe ich bei ihr gern, ich würde sie auch die Männertracht tragen lassen, so lange sie bei mir die Unterröcke duldet und will ganz und gar die Frauenrolle durchführen, wenn sie sich als Mann bewähren würde. In der weiblichen Garderobe bin ich ganz wie die Frauen; was andere tragen, muss ich auch haben, nur darf die weibliche Kleidung keinen männlichen Schnitt haben oder sonst männlichen Anzügen ähnlich sein, mein Geschmack ist ganz weiblich. Ich selbst glaube, ich hätte der Menschheit als Weib mehr genützt als ich es so konnte. Meine früheste Neigung war die Kindererziehung und so lange ich unter Kindern war kamen mir nie sinnliche Gedanken. Wie kann man denn behaupten, alles das sei nur eine launische Einbildung, wenn man doch die Neigung stets wieder vor sich hat, so sehr man sie auch mit bester Absicht zurückzudrängen sucht. Ich bin jetzt 47 Jahre alt, in Oesterreich geboren, habe in der Schweiz und in Frankreich gearbeitet, seit 25 Jahren in Amerika, seit 1885 in Kalifornien, bin für eine der grössten deutschen Zeitungen Milwaukees gereist und war stets überall ein willkommener Gast und kann in jedes Haus wieder eintreten, wo ich einmal gewesen bin, bin noch nie eines Vergehens angeklagt gewesen und heute noch ist es meine höchste Glückseligkeit ein neues Prinzesskleid, einen neuen Blumenhut und Spitzenunterröcke zu tragen, auch Handarbeiten würde ich noch gerne machen, habe aber keine Zeit mehr dazu und wenn ich eine energische Männin als Frau fände, dann würde ich ihr zu Liebe mich allen Arbeiten unterziehen wie sie nach heutiger Ordnung der Frau zustehen, ohne mich zu scheuen, im Gegenteil würde ich die höchste Wonne geniessen als Weib zu leben wenn ich nur die verhassten Mannskleider nicht mehr tragen brauchte. Heute trage ich auf meinem Grundstück schon seit Jahren nur die Frauentracht, schreibe auch dieses darin mit weissem Häubchen und weisser Schürze, schmücke mein Schlafzimmer nach Frauenart und betritt selten ein Mann mein Zimmer, denn ein Männerfreund bin ich nicht. Frauengespräche befriedigen mich mehr und gebildeten Frauen neige ich mich stets, in dem ich solche als höherstehend betrachte.
Deshalb agitiere ich stets für Gleichberechtigung und ich glaube, wenn einmal ganz und gar Freiheit wäre, manche Frau besser die Waffen führte als der Effeminierte, der jedoch anders seine Pflicht tun würde. Wenn sich die Effeminierten mehr offen bekennen würden, wäre es um ihre Sache besser bestellt, warum sollen wir uns denn schämen! Ziemt uns denn das Weibliche nicht besser als manchem gelehrten Weibe? Ludwig Büchner „Am Sterbelager des Jahrhunderts“ S. 327 sagt: „Umgekehrt hat es zu keiner Zeit an Männern gefehlt und fehlt es auch heute nicht, welche mehr Weib als Mann sind und besser verdient hätten hinter dem Strickstrumpf oder an den Spinnrocken zu sitzen.“ Ich kann es nicht begreifen, dass sich die Wissenschaft nicht mit den Effeminierten abgibt, wo es doch etwas alltägliches und natürliches ist; und leider werden wir fälschlich auch noch oft für Päderasten gehalten.“
Anmerkungen
1904 in Heiratszeitungen angezeigt, dass eine effeminierter Mann eine männische Frau sucht
Quellen
Magnus Hirschfeld: Die Transvestiten, 1910, Fall 13, S. 100-115