45/366: Das 3. Geschlecht, Heft 3, 1931
Auf unserer Wanderung durch die historische trans Literatur erreichen wir die 30er Jahre. Eine Zeit bisher ungekannter Offenheit, zumindest in den Großstädten. Gleichzeitig hatte die Weltwirtschaftskrise begonnen, die Arbeitslosigkeit stieg deutlich, und die Gesellschaft radikalisierte sich. Für trans Menschen war diese Zeit vermutlich die offenste, die sie je erlebt hatten, eine kurze Blütezeit kurz vor der Katastrophe.
Von 1930 bis 1932 erschien ziemlich viel trans Literatur, die jetzt auf uns wartet. Ich beginne mit der Zeitschrift »Das 3. Geschlecht« aus dem Verlag Friedrich Radszuweit, einem damals sehr rührigen und geschäftstüchtigen Verleger. Es erschienen zwar nur 5 Hefte, aber als erste an trans Menschen gerichtete Zeitschrift ist diese Publikation ein historischer Meilenstein.
Heute ist die Zeitschrift sehr selten, und »Keine Bibliothek hat es als wertvoll erachtet, die Zeitschrift Das 3. Geschlecht zu sammeln«, wie Rainer Herrn anmerkt. Ein typisches Beispiel dafür, dass trans* Geschichte kaum sichtbar war und ist. Ich stolperte vor einigen Jahren bei einer Recherche eher zufällig über ein Exemplar von Heft 3, 1931. Eines meiner Schätzchen.
46/366: Rainer Herrn (Hrsg.): Das 3. Geschlecht, 2016
Zum Glück ist die gestern vorgestellte Zeitschrift »Das 3. Geschlecht« dem Vergessen entrissen! Dies verdanken wir Rainer Herrn, der als einer von ganz wenigen zur trans* Geschichte forscht. In seinem gleichnamigen Buch von 2016, erschienen im Männerschwarm Verlag, sind alle(!) 5 Ausgaben als Reprint enthalten, außerdem ca. 70 Seiten Text mit Hintergrundinformationen. Bitte unterstützt solche Forschung und kauft euch das Buch, wenn ihr mehr wissen wollt!
Außerdem habe ich mein Heft Nr. 3 digitalisiert und stelle es auf der Website bereit, mehr siehe https://lili-elbe.de/buch/herrn-3-geschlecht-2016/
47/366: Maryse Choisy: In den Tiefen von Paris, 1930
Im Jahr 1930 erschienen 2 Bücher, die die vorgestern vorgestellte Zeitschrift unter der Überschrift »Bücher, die jeder Transvestit lesen muß« aufführte. Das erste ist von Maryse Choisy (1903–1979) und heißt »In den Tiefen von Paris«, im Original »Un mois chez les filles«. Die französische Journalistin hatte sich für einen Monat als Stubenmädchen in verschiedenen Pariser Bordellen verdingt und eine Reportage über ihre Erlebnisse geschrieben, ohne die dort arbeitenden Frauen zu verurteilen. Damals war das Buch wohl ein ziemlicher Skandal und recht erfolgreich. Die Verbindung zu Trans* kann ich allerdings nicht benennen, ich habe das Buch noch nicht gelesen.
48/366: Alec Scouffi: Hotel zum Goldfisch, 1930
Das heutige Buch »Hotel zum Goldfisch« von Alec Scouffi erschien ebenfalls im Jahr 1930, ebenfalls beim Leipziger Elite Verlag. Auch dieses Buch wurde unter der Überschrift »Bücher, die jeder Transvestit lesen muß« in der Zeitschrift »Das 3. Geschlecht« vorgestellt. Es spielt in der homosexuellen Szene von Paris, aber zwischen männlicher Prostitution und vielerlei kleinen Liebschaften geht es für Chouchou alias Peter immer weiter abwärts. Und irgendwie sieht er sich auch als Frau – im Sinne des sog. 3. Geschlechts der letzten Jahrhundertwende. Das Buch war der erste Roman von Alec Scouffi, 1886 in Alexandria geboren. Nur 3 Jahre nach dem Erscheinen des französischen Originals wurde er im März 1932 ermordet, sein Mörder kam vermutlich aus genau der Szene, über die er mit viel Sachkenntnis schrieb. Darüber spekulierte jedenfalls die damalige Presse, das Verbrechen konnte meines Wissens nicht aufgeklärt werden.
Letztes Jahr erschien in der »Bibliothek rosa Winkel« ein Reprint des Buches!
49/366: Alexander Lernet-Holenia: Die Abenteuer eines jungen Herrn in Polen, 1931
Im Jahr 1931 erschien der Roman »Abenteuer eines jungen Herrn in Polen« des österreichischen Schriftstellers Alexander Lernet-Holenia (1897–1976). Der Autor war damals wegen der enthaltenen k.u.k.-Nostalgie seiner Werke sehr beliebt. Vordergründig geht es im Buch um das gleiche Motiv wie bei »Charley’s Tante« oder »Some Like it Hot«: Ein Mann verkleidet sich durch äußere Zwänge als Frau und gerät in einen Strudel von Verwicklungen. Hier ist es ein blutjunger österreichischer Leutnant, der sich mutterseelenallein hinter der feindlichen Front des ersten Weltkriegs wiederfindet. Allerdings ist unser Leutnant wohl tatsächlich Crossdresser, für den das Verkleiden mehr als nur Notbehelf ist.
Der Stoff wurde verfilmt, 1934(!) unter der Regie von Gustav Fröhlich. Für das in einem Forum berichtete Verbot des Films nach dem Anschluss Österreichs konnte ich allerdings keine Quelle finden.
Den Hinweis auf Buch und Film verdanke ich »Hekate«, eine seit einigen Jahren verstorbene trans Frau. Meine Freundin Jula hat ihre Texte dankenswerterweise im Internet verfügbar gemacht: www.hekatesbuehne.de. Mögen wir ihrer gedenken.
50/366: Alexander Lernet-Holenia: Die Abenteuer eines jungen Herrn in Polen, 1953
Das gestern vorgestellte Buch wurde nach dem Krieg als Taschenbuch neu aufgelegt. Die »rororo«-Bücher (Rowohlt Rotations Romane) im kleinen Oktavformat waren damals etwas ganz Neues und gab es ab 1950. »Die Abenteuer eines jungen Herrn in Polen« von 1953 gehören zu den ganz frühen Exemplaren mit farbigem Leinenrücken und sind Nr. 93 von mittlerweile ca. 18.000 rororo Taschenbüchern.
Und wer das Buch heute lesen möchte: 2017 erschien eine Neuausgabe bei Fischer, leider mit einem ausnehmend lieblosen Cover.