#366transbuecher (08) – Exkurs: Ältere englischsprachige Autobiographien

70/366: Michael Dillon: Self, 2013 (1948)

Die Nachkriegszeit möchte ich mit einem thematischen Block beginnen: Frühe englischsprachige Autobiographien. Nach Kriegsende dauerte es fast 40(!) Jahre, bis es wieder Autobiographien von deutschsprachigen trans Autorinnen gibt (soweit mir bekannt) – das verdeutlicht, was die NS-Zeit in diesem Bereich für Verwüstungen hinterlassen hat. Englischsprachige Autor*innen gab es jedoch schon viel früher.

Den Anfang macht heute ein Buch von Michael Dillon, dem ersten britischen trans Mann, der sich einer Phalloplastie unterzog. »Self« erschien 1948 und ist keine Autobiographie, aber ein Buch über Trans von einer trans Person. Michael Dillon spielte in der britischen trans Geschichte der Nachkriegszeit eine entscheidende Rolle, zusammen mit Roberta Cowell (zu ihr später mehr, siehe auch Wikipedia). Der hier gezeigte Reprint wurde 2013 veröffentlicht.

71/366: Roberta Cowell: Ich war ein Mann, 1954

Die 2. frühe britische Autobiographie hat Roberta Cowell geschrieben, die deutsche Ausgabe erschien 1954 unter dem Titel »Ich war ein Mann« (heute wäre es ein schrecklicher Titel, aber damals war die Wortwahl anders). 1952 machte die Geschichte von Christine Jorgensen weltweit Schlagzeilen, vermutlich war das eine günstige Zeit für solch ein Buch. (Auch Lili Elbes Buch erschien 1954 in Neuausgaben, siehe Nr. 52 und 53.) Das Buch ist interessant geschrieben und liest sich sehr flüssig.

Besonders spannend ist die Verbindung von Roberta Cowell und Michael Dillon (siehe gestern). Kurz nachzulesen in der engl. Wikipedia, oder höchst unterhaltsam aufbereitet im großartigen Podcast »One From The Vaults«, Folge 4: https://soundcloud.com/onefromthevaultspodcast/oftv-4-valentines-day-special

72/366: Robert Allen: But For The Grace, 1954

Ebenfalls im Jahr 1954 und ebenfalls in Großbritannien erschien »But For The Grace« von Robert Allen, eine Autobiographie eines trans Manns. Er wurde 1914 geboren und dem weiblichen Geschlecht zugeordnet, und 1944 konnte er seine offiziellen Papiere ändern. Mehr weiß ich aber nicht, das Buch habe ich noch nicht gelesen.

73/366: Georgina Turtle: Over The Sex Border, 1992 (1963)

Ursprünglich 1963 erschien die britische Studie »Over The Sex Border« über Trans* von Georgina Turtle. 1992 gab es dann einen Reprint der Studie, der eine Autobiographie der Autorin, nun verheiratet Somerset, vorangestellt war. Geboren 1923 mit uneindeutigen Geschlechtsmerkmalen, lebte sie die ersten 34 Jahre als Mann, u.a. in der Royal Navy im 2. Weltkrieg. Ab 1957 lebte sie als Frau, 1960 wurde ihre Geburtsurkunde korrigiert.

74/366: Harry Benjamin: The Transsexual Phenomenon, 1966

Heute statt einer Autobiografie chronologisch passend ein Fachbuch. Harry Benjamins »The Transsexual Phenomenon« von 1966 war das wichtigste Sachbuch zu Trans seit Hirschfelds »Transvestiten« von 1910. Benjamin, 1885 in Berlin geboren und später in die USA ausgewandert, kannte Hirschfeld bereits seit 1907 und war mit seinem Werk bestens vertraut. Die akademische Entwicklung zu Trans fand nach Kriegsende außerhalb von Deutschland statt, maßgeblich in den USA, Deutschlands Pionierrolle war vorbei.

75/366: Christine Jorgensen: A Personal Autobiography, 2000 (1967)

1967, ein Jahr nach Benjamins »The Transsexual Phenomenon« (siehe gestern) erschien die Autobiographie von Christine Jorgensen (1920–1989), der 2. trans Frau (nach Lili Elbe) mit weltweiter medialer Resonanz. 1952 war ihr Fall unter der Schlagzeile »Ex-GI becomes blonde beauty« durch die weltweite Presse gegangen und verschaffte dem Thema Trans so viel Sichtbarkeit wie seit Lili Elbe nicht mehr. Sie wurde damit zu einer trans Pionierin und löste eine Welle an Hilfegesuchen an Ärzte wie Christian Hamburger und Harry Benjamin, die den modernen medizinischen Umgang mit Trans maßgeblich prägten. Mehr zu ihr z.B. unter https://de.wikipedia.org/wiki/Christine_Jorgensen

Im Jahr 2000 erschien die hier gezeigte Neuausgabe mit einem Vorwort von Susan Stryker.

76/366: Canary Conn: Canary, 1974

Und damit springen wir schon in die 70er Jahre (mein Bestand an englischsprachiger Literatur ist lückenhaft). Unter dem Titel »Canary« veröffentliche die gleichnamige US-Amerikanerin Canary Conn 1974 ihre trans Autobiographie. Ich habe sie bislang nicht gelesen, kann daher leider nichts weiter dazu sagen. Die Texte auf der Titelseite bemühen aber sehr eindrücklich das Sensationelle und Dramatische der Geschichte – damals auch durchaus zutreffend. Das abgebildete Taschenbüchlein erschien 1977.

77/366: Jan Morris: Conundrum, 1974

Ebenfalls 1974 erschien »Conundrum«, die Autobiographie der trans Frau Jan Morris (* 1926, heute 93 Jahre alt). In ihrer männlichen Rolle begleitete sie als einziger Reporter die britische Mount-Everest-Expedition 1953 und war Autor von Reisebüchern und geschichtlichen Werken. Der Operateur der geschlechtlichen Angleichung war damals Georges Burou in Casablanca, dem Pionier der modernen Op-Technik für trans Frauen. (Gibt es eigentlich Literatur oder Biographisches über ihn?) Die deutschsprachige Ausgabe von »Conundrum« erschien 1975 und als Taschenbuch 1993.

78/366: Mario Martino: Emergence, 1977

3 Jahre nach »Canary« und »Conundrum« erschien 1977 »Emergence« von Mario Martino, einem US-amerikanischen trans Mann. (Ein-Wort-Titel waren offenbar beliebt.) Zum Inhalt kann ich erneut leider nichts sagen, da die Lektüre noch aussteht. Die reklamierte erste ftm-Story ist das Buch allerdings nicht, da bereits 1954 Robert Allens Autobiographie erschienen war (siehe #72). Auf dem hinteren Klappentext wird das Buch in eine Reihe mit den Werken von Harry Benjamin (#74), Christine Jorgensen (#75) und Jan Morris (#77) gestellt. Fun Fact: Mein Exemplar entstammt dem (ausgesonderten) Bestand einer Bibliothek der US Air Force auf deutschem Boden.

79/366: Duncan Fallowell und April Ashley: April Ashley’s Odyssey, 1982

Mit den 80ern möchte ich den Block zu älterer englischsprachiger trans* Literatur abschließen, da habe ich noch 3 Bücher im Angebot. Fangen wir an mit »April Ashley’s Odyssey«, geschrieben zusammen mit dem mir ihr befreundeten Duncan Fallowell und 1982 erschienen. April Ashley, geboren 1935, war auch eine Patientin von Georges Burou in Casablanca. Nach ihrer Transition war sie zunächst erfolgreiches Model, wurde dann aber als trans geoutet, und ihre Karriere war vorbei. Erst 2005, 45 Jahre später, konnte sie ihre Papiere korrigieren lassen.

80/366: Caroline Cossey: Tula, 1982

Eine ganz ähnliche Lebensgeschichte hat Caroline Cossey, 1954 in England geboren. Auch sie war nach ihrer Transition ein erfolgreiches Model, außerdem hatte sie eine kleine Nebenrolle im James Bond-Film »In tödlicher Mission«. Nachdem sie von einer Boulevardzeitung geoutet wurde, war ihre Karriere aber zerstört. Und auch ihr Buch »Tula« erschien 1982. Der Titel »I am a Woman« ist eine klare und programmatische Erwiderung auf den Boulevard-Artikel »James Bond Girl Was a Boy«. Mir legte es vor Jahren eine Freundin ans Herz, und ich konnte ein (ziemlich zerlesenes) Exemplar auftreiben. Dabei blieb es dann aber bis heute, auch dieses Buch harrt noch der Lektüre. Ein wichtiger Unterschied zu den letzten Büchern besteht jedoch: Caroline Cossey ist inter, nicht trans. Ich vermute aber, dass die Boulevardpresse der 80er Jahre da keinen großen Unterschied machte.

81/366: Renée Richards: Second Serve, 1983

Für 1983 habe ich noch ein Buch im Angebot, danach bin ich fertig mit den älteren englischsprachigen (Auto)biographien. 1983 erschien die (erste) Autobiographie von Renée Richards (* 1934), einer ehemaligen US-Tennisspielerin, unter dem Titel »Second Serve«. Nach einer Klage durfte sie 1977 bei den US Open als Frau teilnehmen, und erreichte 1979 Platz 20 der Damen-Weltrangliste. Später coachte sie Martina Navrátilova zu zwei Wimbledon-Siegen.

Die Geschichte wurde auch verfilmt, zumindest habe ich hier eine noch uralte VHS-Kassette herumstehen. Und 2007 veröffentlichte Renée Richards noch eine weitere Autobiographie unter dem Titel »No Way Renee«.

82/366: Renée Richards: No Way Renée, 2007

Wo ich es gestern nun schon erwähnt habe, möchte ich hier noch das 2. Buch von Renée Richards vorstellen. Es trägt den Titel »No Way Renée« und erschien 2007, 24 Jahre nach »Second Serve«.

83/366: Coccinelle, 1987

Das heutige Buch, 1987 erschienen, ist für meine Sammlung eine Ausnahme, denn es in französischer Sprache, und ich kann diese Sprache gar nicht. »Coccinelle« (1931–2006), zu deutsch »Marienkäfer« war vermutlich die berühmteste französische trans Frau. Sie gehörte 1958 zu den ersten Patientinnen von Dr. Burou in Casablanca und machte international Schlagzeilen. Schon Jahre vorher begann ihre erfolgreiche Show-Karriere im Pariser Nachtleben, später trat sie in Filmen und Revuen auf. Für Jahrzehnte war sie ein Rollenmodell für trans Frauen, in späteren Jahren engagierte sie sich auch für die trans* Community. 1987 veröffentlichte sie die hier gezeigte Autobiographie. Posthum widmete die Stadt Paris ihr eine Promenade.

Disclaimer: Ich habe alles unzulässig verkürzt aus der Wikipedia abgeschrieben 😉