9/366: Richard von Krafft-Ebing: Psychopathia sexualis, 1984 (1912)
Es wird Zeit, ein bisschen in die Geschichte zu tauchen. In der frühen Sexualwissenschaft ist meine Bibliothek eher dünn sortiert, aber da gibt es inzwischen allerhand Digitalisate. Crossdressing im modernen Sinn taucht bei Karl Heinrich Ulrich bereits 1868 auf, und Carl Westphal benutzt 1870 den Begriff der „conträren Sexualempfindung“, allerdings noch nicht differenziert vom sogenannten Uranismus. Richard von Krafft-Ebing veröffentlichte dann 1886 die erste Auflage der „Psychopathia sexualismus“, die 17 Auflagen erlebte. Er benutzt dort den Begriff „Metamorphosis sexualis paranoica“ (Geschlechtsumwandlungswahn). Meine Ausgabe ist ein Reprint von 1912, im Jahr 1884 erschienen.
10/366: Reinhold Gerling: Die verkehrte Geschlechts-Empfindung, 1900
Um die letzte Jahrhundertwende kam der Begriff des „dritten Geschlechts“ als (ein) Sammelbegriff v.a. für Homosexualität, aber auch trans, inter uvm. auf. Beispielhaft hier das Heft „Die verkehrte Geschlechts-Empfindung und das dritte Geschlecht.“, von Reinhold Gerling, 1900.
11/366: Jahrbücher für sexuelle Zwischenstufen, 1900–1908
Ab dem Jahr 1899 gab Magnus Hirschfeld das „Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen“ heraus, als publizistisches Organ des Wissenschaftlich-humanitären Komitees. Dieses entstand 1897 und hatte als wesentliches Ziel die Entkriminalisierung von Homosexualität. Die Jahrbücher sind heute selten und eine Fundgrube für die frühe Sexualwissenschaft, es finden sich dort auch einige Text zu trans und inter Themen sowie viel bibliographisches Material. Für die Bibliothek konnte ich kürzlich die Jahrgänge 2–9 (1900–1908) erwerben.
Einige Bände gibt es digitalisiert u.a. bei archive.org, die Inhaltsverzeichnisse der Bände 1–9 von 1899 bis 1908 habe ich im Blog unter https://lili-elbe.de/blog/2020/01/jahrbucher-fur-sexuelle-zwischenstufen-toc/ veröffentlicht.
12/366: Jahrbücher für sexuelle Zwischenstufen, 1983/84
In den Jahren 1983+1984 erschien in 2 Bänden eine kleine Auswahl aus den Jahrbüchern für sexuelle Zwischenstufen (siehe 11/366) als Reprint.
13/366: Magnus Hirschfeld: Berlins Drittes Geschlecht, 1904
Weiter mit einem alten Schätzchen, wieder von Magnus Hirschfeld (er wird uns noch häufiger begegnen). 1904 erschien das Buch „Berlins Drittes Geschlecht“, das einen spannenden Einblick in die damalige queere Subkultur Berlins gibt. Das Buch ist Band 3 von 10 der Reihe „Großstadt-Dokumente“. In der digitalen Landesbibliothek Berlin gibt es ein Digitalisat des Originals: https://digital.zlb.de/viewer/image/15751825/2/LOG_0000/
Mein Exemplar ist eher in einem bemitleidenswerten Zustand, vielleicht suche ich mal Kontakt zu einem Buchbinder für die Restauration.
14/366: Magnus Hirschfeld: Berlins Drittes Geschlecht, 1991
Hirschfelds spannendes Buch „Berlins Drittes Geschlecht“ von 1904 (siehe gestern) wurde 1991 neu verlegt, mit einem Nachwort von Manfred Herzer. Das Buch bildete den Auftakt für die sehr verdienstvolle Bibliothek rosa Winkel (heute im Männerschwarm Verlag) und ist noch immer lieferbar.
15/366: Magnus Hirschfeld: Berlins Drittes Geschlecht, 2015
Heute sind Hirschfeld Werke gemeinfrei, d.h. auch, dass jede*r sie neu herausgeben kann. Und so gibt es auch vom Buch „Berlins Drittes Geschlecht“ einen Reprint von 2015. Der ist technisch ordentlich, aber doch recht lieblos gemacht. Außerdem fehlt jeglicher Kontext, und natürlich der Charme einer sorgfältig editierten Neuausgabe oder gar eines Originals.
16/366: Bill Forster: Anders als die Andern, 2009 (1904)
Ebenfalls 1904 erschien das Buch „Anders als die Andern“ von Bill Forster (= Hermann Breuer). Mit „anders“ sind vorrangig Homosexuelle gemeint, aber wie Paul Englisch 1927 schrieb, auch „Masochisten, Sadisten, Transvestiten und Fetischisten“. 2009 erschien das Werk in der Bibliothek rosa Winkel neu in einer schönen Ausgabe mit Nachwort.
17/366: N. O. Body: Aus eines Mannes Mädchenjahren, 1993 (1907)
So langsam betreten wir die erste Schätzchenzone. Zwischen 1907 und 1910 sind gleich mehrere Bücher erschienen, die für mich Highlights der Bibliothek sind, 3 (bzw. 4) autobiographische Texte und ein wegweisendes wissenschaftliches Werk.
Ich fange mit einem Reprint von 1993 an. 1907 erschien der Lebensbericht „Aus eines Mannes Mädchenjahren“ unter Pseudonym. „Bodys“ Geschlecht war nicht eindeutig bestimmbar, seine Eltern ließen ihn als Mädchen aufwachsen. Doch später lebte er als Mann und schrieb dieses Buch. Hermann Simon konnte das Pseudonym auflösen (Karl M. Baer steckte dahinter) und schrieb für den hier vorgestellten Reprint ein ausführliches Nachwort. Das Buch ist damit eines der ersten Selbstzeugnisse einer inter* Person!
Selbst der Reprint ist antiquarisch kaum noch beschaffbar, aber es gibt ein Digitalisat des Originals: https://archive.org/details/nobody1907
(ohne Nummer) Luz Fraumann: Weiberbeute
Das nächste Buch ist ein Phantom, darum werde ich es nicht mitzählen. 1906 erschien in Budapest ein Roman „Weiberbeute“ unter dem Pseudonym „Luz Fraumann“, es soll der allererste Roman über Crossdressing sein. Der einzige Hinweis auf dessen Existenz war eigentlich Magnus Hirschfelds Werk „Die Transvestiten“, wo Fraumann hinter einem der Fälle steckt. Ansonsten wird das Buch nie erwähnt bzw. immer nur im Bezug zu Hirschfeld. Jüngst fand ich dann doch eine Erwähnung – im Prager Tagblatt vom 29.09.1906 wirbt eine Leihbibliothek in einer Kleinanzeige damit. Das Buch scheint verschollen zu sein, ich habe es bislang in keiner Bibliothek auf der Welt oder gar antiquarisch finden können. Hinweise sind willkommen 😉
18/366: Daniel Daniela: Aus dem Tagebuch eines Kreuzträgers von ***, 1908
Heute ein Schätzchen. Das Buch „Daniel Daniela: Aus dem Tagebuch eines Kreuzträgers von **“ ist 1908 erschienen, es enthält autobiographische Aufzeichnungen (wie authentisch, lässt sich nicht prüfen). Mir ist nicht ganz klar, ob der/die Autorin eher ein homosexueller Mann mit stark weiblichem Empfinden ist, oder eher eine trans Frau. Diese Konzepte waren zu der Zeit einfach noch nicht differenziert (Hirschfelds wegweisendes Werk „Die Transvestiten“ erschien erst 2 Jahre später). Es gibt aber schon einige Indizien für eine trans* Identität. Inhalt sind die tragische Liebe zu einem jungen Leutnant und Reflexionen zum So-Sein voller Weltschmerz. Das Buch ist anonym erschienen, die dänischen Ausgabe von 1922 erschien unter dem Namen des Schriftsteller Karl Larsen. Ich habe das Buch erst vor kurzem entdeckt und werde mich sicher noch mehr damit beschäftigen.
19/366: Aus dem Tagebuche einer männlichen Gymnasiastin, 1910
Das nächste Schätzchen: „Aus dem Tagebuche einer männlichen Gymnasiastin“, 1910 anonym in Wien erschienen und wunderschön gestaltet. Dieses Buch entdeckte ich zufällig vor ein paar Jahren, und ich konnte überhaupt nichts darüber herausfinden, es scheint sehr rar zu sein. Inhaltlich sind es (literarisch eloquente) Tagebuchnotizen über die Erlebnisse in einem Mädchengymnasium, geschrieben von einer jungen Frau. Bzw. einem jungen Mann, denn es stellt sich heraus, dass das körperlich Männliche doch überwiegt. Er wechselt die Rolle und lebt von da an als Mann. Durch intensive Recherche konnte ich kürzlich den Autor herausbekommen! Es war der später bekannte Kunsthistoriker Leopold Zahn! Mehr dazu auf meiner Website: https://lili-elbe.de/blog/2020/01/diskretion-albernes-ding-leopold-zahn/
20/366: Magnus Hirschfeld: Die Transvestiten, 1925
Und noch ein Schätzchen. Magnus Hirschfelds „Die Transvestiten“ erschien 1910 und ist ein Meilenstein für die trans Geschichte. Das Buch ist die erste wissenschaftliche Monographie über Trans, den Begriff „Transvestit“ prägte Hirschfeld damals (aber noch nicht weiter ausdifferenziert). Er holte das Thema Trans aus der pathologischen Ecke, in der es spätestens seit Krafft-Ebing steckte, und war für viele Betroffene identitätsstiftend (viel nachfolgende Literatur bezieht sich darauf). Mein Exemplar ist die 2. Ausgabe von 1925, die aber gegenüber der 1. unverändert ist. Die 1. Ausgabe war schon damals vergriffen und nur noch schwer zu bekommen. Heute ist das erst recht so, das Buch taucht nur selten antiquarisch auf, und dann zu hohen Preisen. Bis heute gibt es leider auch keine Neuausgabe dieses Schlüsselwerks der trans Geschichte! Immerhin existieren seit wenigen Jahren 2 digitalisierte Fassungen, eine ist von mir: https://lili-elbe.de/transgender-buecher/digitalisierte-trans-buecher/
21/366: Magnus Hirschfeld: Die Transvestiten, 2018
Gestern schrieb ich, dass es keine Neuausgabe von Magnus Hirschfelds „Die Transvestiten“ gäbe. Ein bisschen muss ich das zurücknehmen: Denn seit ca. einem Jahr gibt es einen Reprint des britischen Verlags „Forgotten Books“, der zahllose alte Werke zum Reprint on Demand anbietet. Das Exemplar basiert auf einer Kopie der University of Toronto. Immerhin kann man das Buch so wieder auf Papier lesen, wenn auch das Faksimile recht lieblos gemacht ist.
22/366: Magnus Hirschfeld, Max Tilke: Der erotische Verkleidungstrieb, 1912
Zusätzlich zum Textband „Die Transvestiten“ von Magnus Hirschfeld erschien 1912 ein illustrierter Teil zusammen mit Max Tilke mit dem Titel „Der erotische Verkleidungstrieb“. Das Buch enthält 54 Tafeln mit zeitgenössischen und historischen Fotos und Zeichnungen von trans* Personen. Auch dieses Werk ist heute sehr rar, aber es gibt ein Digitalisat auf https://www.digi-hub.de/viewer/toc/BV042530729/0/LOG_0000/
23/366: Theodore Stanton: Rosa Bonheur, 1914
Im Jahr 1914 erschien die deutsche Übersetzung einer Biographie über Rosa Bonheur von Theodore Stanton. Rosa Bonheur (1822–1899) war eine französische Tiermalerin des Naturalismus. Außerdem — und darum taucht sie hier auf — war sie queer. Ob „nur“ emanzipierte homosexuelle Frau oder eine trans* Identität, kann ich nicht sagen. Sie trat jedenfalls in Männerkleidung auf und hatte eine offizielle Erlaubnis zum Crossdressing („Permission de travestissement“).
24/366: Zeitschrift für Sexualwissenschaft, 1914
In Bezug auf trans Geschichte gibt es ein „vor Hirschfeld“ und ein „nach Hirschfeld“. Heute zwei sexualwissenschaftliche Zeitschriften von 1914, in denen über weitere Fälle von trans Personen aus den USA berichtet wird — unter Bezug auf Hirschfelds Grundlagenwerk. Strenggenommen sind es nur Berichte von Erwähnungen in amerikanischen Fachzeitschriften. Beide Beiträge stammen von Iwan Bloch, einem frühen deutschen Sexualwissenschaftler.
25/366: Magnus Hirschfeld: Die Homosexualität des Mannes und des Weibes, 1920
Der Ziegelstein für heute geht an Magnus Hirschfeld für das Werk „Die Homosexualität des Mannes und des Weibes“. 1913 erschien die 1. Auflage, 1920 die hier gezeigte 2. unveränderte nach dem Krieg. Auf 1067(!) Seiten geht es um alle Aspekte von Homosexualität, in einem Kapitel auch um die Differenzialdiagnose u.a. zu Trans*. Hirschfeld stellt 2 Fälle vor, einer würde heute als Transsexualität verstanden werden.
26/366: Walter Homann von Birkenburg: Das Geschlecht der Lüge, 1919
Das heutige Büchlein ist von 1919, heißt »Das Geschlecht der Lüge« und stammt von Walter Homann von Birkenburg, einem Pseudonym von Walter Homann (1887–1918). Ursprünglich erschien es 1907 unter dem Namen »Tagebuch einer männlichen Braut« und verarbeitet (u.a.) das Schicksal der »Comtesse« Dina Alma de Paradeda, die als »männliche Braut« Ende 1906 durch die Presse ging. Sie galt Hirschfeld als Paradebeispiel für einen Transvestiten. Mein Exemplar des Buchs befindet sich in einem beklagenswerten Zustand und sollte vielleicht mal zum Restaurateur.
27/366: Eine männliche Braut, 1996
Die »männliche Braut« von gestern gibt es auch in neueren Ausgaben. So erschien 1996 ein Reprint der Kurzfassung des Texts (102 Seiten) im Berliner Janssen Verlag, einem ehemaligen schwulen Versandhandel, allerdings ohne jeglichen Kontext.
28/366: Walter Homann Tagebuch einer männlichen Braut, 2010
Eine richtig schöne Neuausgabe der »männlichen Braut« von 1907 erschien 2010 in der »Bibliothek rosa Winkel«, mit einem einordnenden Nachwort, und mit einer Auflistung der Unterschiede zwischen Kurz- und Langfassung. Und erhältlich.
29/366 Iwan Bloch: Das Sexualleben unserer Zeit
Noch ein »vor Hirschfeld«-Werk, wieder ein Buch aus der frühen Ära der Sexualwissenschaft. 1907 erschien Iwan Blochs »Das Sexualleben unserer Zeit«, mit mehreren Nachauflagen in rascher Folge. Das gezeigte Exemplar ist die 4.–6. Auflage von 1908. In dem Buch behandelt Bloch auf 840 Seiten alle Aspekte der Sexualität aus damaliger Sicht. Unter dem Begriff »psychische Hermaphroditen« beschreibt Bloch auch 2 Fälle von trans* Personen (die man damals eben noch nicht einordnen konnte). Beide hat später auch Hirschfeld in seinem Buch »Die Transvestiten« verwendet (Nr. 11+14). Einer davon, ein amerikanischer Journalist, schlägt den Begriff »Junoren« vor und spricht von »Kostümreiz«. Die Vielzahl der frühen Begriffe ist durchaus spannend.
Das Buch gibt es auch als Digitalisat, hier der direkte Link zu den o.g. Fallbeschreibungen: https://www.digi-hub.de/viewer/image/BV043516860/613/
Eine Frage an die (Medizin)historiker: Wie kommt es, dass die damaligen Werke immer ganz viele Kasuistiken enthalten, was sich später (ab den 60er oder 70er Jahren oder so?) änderte?
30/366: Sonntagsclub (Hrsg.): Verzaubert in Nord-Ost, 2009
So langsam endet in meinem »Material« die Kaiserzeit, aber ein Buch habe ich noch. Der Sonntagsclub in Berlin hat 2009 »Verzaubert in Nord-Ost« herausgegeben, Thema sind queere Personen und Orte in den Berlinern Stadtteilen Prenzlauer Berg, Pankow und Berlin. Eine der Personen ist Gerda von Zobeltitz (1891–1963) aus Weißensee, von der ich vorher noch nichts gehört hatte. Sie war 1912 bei Hirschfeld und machte als Crossdresser Schlagzeilen in den Berliner Postillen. Auf 23 lesenswerten Seiten erzählt Katja Koblitz die Geschichte der trans Frau Gerda. Im Buch befinden sich noch weitere Beiträge zu Trans*.
31/366: Chloé Cruchadet: Das falsche Geschlecht, 2014
Das heutige Buch hat seinen Ursprung im ersten Weltkrieg. Als Deserteur entflieht Paul Grappe dem Krieg und versteckt sich in Paris, mit Hilfe seiner Frau Louise wird er zu Suzy. Es werden 10 Jahre daraus, die aber kein gutes Ende nehmen. Basierend auf der wahren Geschichte, die französische Historiker recherchierten, erschien 2014 die wunderschön gezeichnete Graphic Novel »Das falsche Geschlecht« von Chloé Cruchadet.
32/366: Magnus Hirschfeld: Künstliche Verjüngung. Künstliche Geschlechtsumwandlung, ca. 1920
Ab etwa 1910 experimentierte der Sexualforscher Eugen Steinach mit Keimdrüsen, u.a. mit der Verpflanzung von Hoden. Zunächst hatten die umstrittenen Methoden das Ziel, Menschen zu verjüngen, dann kam auch die Idee auf, damit Homosexualität zu »therapieren«, beides aus heutiger Sicht ziemlich gruselig. Außerdem beobachtete Steinach nach Transplantationen von gegengeschlechtlichen Keimdrüsen bei Tieren körperliche Veränderungen. In dem heute gezeigten populärwissenschaftlichen Heftchen »Künstliche Verjüngung. Künstliche Geschlechtsumwandlung.« von ca. 1920 schreibt Magnus Hirschfeld darüber.
Durch diese damals sehr bekannten »Steinachexperimente« entstand die Idee, den Körper durch Operationen männlicher oder weiblicher zu machen. Um diese Zeit begannen auch entsprechende Versuche bei trans* Personen, die sich durch hormonelle und chirurgische Behandlungen Linderung ihres Leidens erhofften.
33/366: Wilhelm Stekel: Die Geschlechtskälte der Frau, 1920, Der Fetischismus, 1923
Wilhelm Stekel (1868-1940) war ein österreichischer Arzt und Sexualforscher, beteiligt an der frühen Geschichte der Psychoanalyse und Forschung zur Homosexualität. Krafft-Ebing förderte ihn, und er kannte Sigmund Freud und Magnus Hirschfeld. 1912–1928 veröffentlichte er 10 Bände der »Störungen des Trieb- und Affektlebens«, darunter 1920 den hier gezeigten Band 3 »Die Geschlechtskälte der Frau« und 1923 Band 7 »Der Fetischismus«. Beide enthalten ein Kapitel zu Trans, jeweils mit einer ausführlichen Fallbeschreibung einer trans* Person. Stekel war Psychoanalytiker, und mit dieser »Brille« setzte er sich auch mit Trans auseinander. In der NS-Zeit wurde sein Werk verboten.
34/366: Ferdinand Freiherr von Reitzenstein Geschlecht und Gesellschaft. XII., 1925
Heute ein Schätzchen, nach dem ich 5 Jahre antiquarisch gesucht habe. In der Zeitschrift »Geschlecht und Gesellschaft« erschien 1925 in Band 12 ein 60-seitiger Aufsatz »Über das Wesen des Umkleidungstriebes« von Lothar Goldmann, einem Arzt aus New York. Dort schreibt er ziemlich verständnisvoll über »Transvestitismus«, benutzt also Hirschfelds populär gewordenen Begriff für Trans* (und verweist auch auf Hirschfeld). Der Text erschien noch einmal als Sonderdruck. Über den Autor habe ich ansonsten nichts weiter herausfinden können. In der NS-Zeit war das Werk verboten.
35/366: Ein hübsch lied zu singen, 1520
Heute spontan ein Ausflug ein halbes Jahrtausend(!) in die Vergangenheit, beim Suchen bin ich da über etwas Außergewöhnliches gestolpert: Ein Druck von 1520 »Ein hübsch lied zu singen / von einem vngetrewen knecht / wie er seinem Herren das weyb bulet vñ den herren schlug in dem garten. Jm langen Mœglings thon.« Ein 500 Jahre alter Holzschnitt, auf dem ein Herr einen Knecht in Frauenkleidern mit einem Knüppel schlägt, meine Güte! Mein Frühneuhochdeutsch – oder was immer das ist (ich bin keine Germanistin) – reicht nicht aus, um den Inhalt des zugehörigen Textes gut zu erfassen, vielleicht kann es ja jemand von euch? Das ist jedenfalls spannend. Und sehr, sehr krass.
Quelle: http://www.zvdd.de/dms/load/met/?PPN=PPN778097722 & und im Digitalisat S. 9 und 13.
36/366: Alfred Holtmonts Die Hosenrolle, 1925
Zurück zur chronologischen Reihenfolge, zurück zum Jahr 1925. Alfred Holtmonts »Die Hosenrolle« beschäftigt sich mit Frauen in Männerrollen – im Theater und außerhalb, quer durch die Geschichte und enthält zahlreiche Fotos, Zeichnungen usw.
37/366: Ludwig Levy-Lenz (Hrsg.): Sexual-Katastrophen, 1926
In den 20er Jahren nahm die Menge an populärwissenschaftlicher Literatur zu Sexualität offenbar deutlich zu. »Sex sells«, das galt halt auch schon vor 100 Jahren. Zum Beispiel für das heute gezeigte Buch von 1926 mit dem Titel »Sexual-Katastrophen«, herausgegeben von Ludwig Levy-Lenz. Den ersten Abschnitt unter der Überschrift »Schuldig geboren« steuerte Magnus Hirschfeld bei, mit Fallbeschreibungen eines Transvestiten, eines Kinderschänders, von 2 Homosexuellen und eines Doppelmörders. Danach kommen von anderen Autoren Texte zu Abtreibung, Prostitution, Syphilis und zu »Eheketten«. Eine ganz tolle Nachbarschaft für Trans*.
38/366: Ludwig Levy-Lenz (Hrsg.): Mein Körper, 1931
Das gestrige Buch erschien 1931 weitgehend unverändert noch einmal als Ergänzungsband zum mehrbändigen Werk »Mein Körper«. Für das avisierte Laienpublikum waren solche Bücher rund um sexuelle »Besonderheiten« offenbar attraktiv.
Hirschfelds »Transvestit« übrigens, der mit Lebensbeschreibung und Gutachten vorgestellt wird, würde sich heutzutage wohl als trans Frau begreifen, inkl. Transition.
39/366: Herbert Lewandowski: Das Sexualproblem in der modernen Kunst und Literatur, 1927
Noch ein Werk, das sich mit sexuellem Allerlei beschäftigt: Herbert Lewandowski: Das Sexualproblem in der modernen Kunst und Literatur, 1927. Für mich ähnlich voyeuristisch wie das letzte Buch, aber mit kulturellem Anstrich, auf 361 Seiten sind etliche Romane und Werke der bildenden Kunst als Illustrationen enthalten. Trans* kommt (unter Hirschfelds Begriff »Transvestitismus« ganz kurz vor, in einem stark pathologischen Kontext.
Was aber sehr interessant ist: Im Buch ist das verschollene Werk »Weiberbeute« (oder hier »Weiberleute«) von Luz Fraumann von 1906 erwähnt.
40/366: Hans Schmidt: Verkehrte Geschlechtsrichtung, 1928
Heute wieder ein seltenes Schätzchen: Hans Schmidt: »Verkehrte Geschlechtsrichtung«, ein »transvestitischer Roman« von 1928. Inhalt des Romans ist eine wilde Crossdressing-Phantasie, die beim anonymen Erzähler beginnt. Schon als Kind trägt er Mädchenkleider, lebt dann auch dauerhaft in dieser Rolle. Er lernt eine Partnerin kennen, die das alles toll findet. Und schließlich werden auch ihre Kinder als Mädchen aufgezogen. Die Lust an den schönen Kleidungsstücken ist im Text stets gegenwärtig.
41/366: Mark Lehmstedt: Bücher für das »dritte Geschlecht, 2002
Heute ein bisschen Meta. Eine zentrale Rolle für die frühe Literatur zur Sexualaufklärung und zur Homosexualität (und damit auch zu Trans*) spielte der Leipziger Max Spohr Verlag. Über sein Wirken erschien 2002 von Mark Lehmstedt: „Bücher für das »dritte Geschlecht«. Das interessante Buch untersucht die Verlagsgeschichte im Kontext der damaligen politischen und gesellschaftlichen Situation und enthält eine Bibliographie der Verlagsproduktion.
42/366: Hanns Heinz Ewers: Fundvogel, 1928
Heute wieder ein geschichtlich spannendes Schätzchen: Hanns Heinz Ewers: »Fundvogel. Die Geschichte einer Wandlung« von 1928. Der über 500 Seiten starke Roman spielt Anfang des 20. Jahrhunderts und behandelt erstmals eine trans Geschichte (eines trans Manns) im modernen Sinn, mit medizinischen Maßnahmen! 1930 wurde der Roman auch verfilmt, darüber weiß ich aber nichts Weiterführendes.
43/366: Hanns Heinz Ewers: Fundvogel, 2016
Den »Fundvogel« von gestern gibt es seit 2016 auch in einer ungekürzten Neuausgabe beim MetaGIS-Verlag. Nicht unbedingt ein Juwel der Buchdruckerkunst, aber der alte Text wird so wieder zugänglich. Zusätzlich enthält das Buch etwas Kontext: ein einordnendes Vorwort, ein kurzes Portrait von Hanns Heinz Ewers, eine Erklärung heute nicht mehr gebräuchlicher Begriffe, ein Verzeichnis historischer Personen, die im Roman auftreten sowie Übersetzungen von fremdsprachlichen Textteilen.
44/366: Anna Fischer-Dückelmann: Die Frau als Hausärztin, 1929
Heute ein an Laien gerichtetes Medizinbuch von 1929, mit 1032 Seiten in Ziegelsteinqualität. »Die Frau als Hausärztin« erschien erstmals 1901 und war ziemlich populär, 28 Jahre später erschien diese »3. Million-Jubiläums-Ausgabe«. Themen sind auf ca. 1/3 des Umfangs der menschliche Körper, Sexualität, Alter und Tod, Mutterschaft, Säuglinge, Körperpflege sowie auf ca. 2/3 medizinische Ratschläge für alle Lebenslagen. Im Kapitel zur Sexualität wird unter »krankhaftes Geschlechtsleben« auch kurz auf Homosexualität, Trans* uvm. eingegangen. Das Bedürfnis nach Schubladen war auch damals sehr ausgeprägt, die Begriffe durchaus originell.