Inhalt

Einführung

Ende 2019 hatte ich die Idee, die vielfältige trans* Literatur sichtbarer zu machen. Wenn trans* Bücher empfohlen werden, fallen meist nur wenige Titel, fast immer aus den jeweils letzten paar Jahren. Dabei gibt es seit über 100 Jahren trans* Bücher, in ganz vielen Facetten. Zu Beginn war mein Plan, jeden Tag ein Buch ganz kurz vorzustellen, beginnend am 1. Januar 2020, aber das hielt ich nicht lange durch. Jetzt, nach knapp 3 Jahren, sind es ca. 200 Bücher.

Das war die ursprüngliche Einleitung:

Für das Jahr 2020 habe ich eine Idee für eine kleine Challenge. An jedem einzelnen Tag werde ich ein Buch aus meiner Bibliothek zeigen. 366 Tage lang. Mein Ziel ist es, dir die große Vielfalt an trans* Literatur zu zeigen!

Zu Beginn die Randbedingungen meiner kleinen Challenge:

  • Jeden Tag des Jahres 2020 ein trans* Buch aus dem Bestand meiner Sammlung.
  • Die Sammlung ist natürlich nicht vollständig, Hinweise auf fehlende Titel nehme ich gern!
  • Ich habe längst nicht alle Bücher auch gelesen, freue mich daher auf euer Feedback!
  • Ich fasse den Begriff "Trans*" nicht zu eng.
  • Ich werde die Bücher grob chronologisch ordnen.

Viel Spaß auf der gemeinsamen "Wanderung" durch die Welt der Trans*-Literatur!

1/366: Emile Mario Vacano: Bilderbuch für Hagestolze, 1880

Den Anfang macht das älteste Buch meiner Sammlung, das "Bilderbuch für Hagestolze" von Emile Mario Vacano von 1880. Viel kann ich nicht dazu sagen, außer: der Herausgeber war Crossdresser (siehe Wikipedia). Ich habe Band 4, es gibt aber noch 1-3.

Chevalier(e) d’Eon

2/366: Chevalier(e) d’Eon: Der Diplomat in Frauenkleidern, 1972

Tag 2. Gehen wir ein bisschen weiter zurück in die Geschichte, zu einer historischen trans Person. Chevalier(e) d'Eon (1728-1810) war vieles, u.a. Diplomat(in), und lebte viele Jahre als Frau (mehr siehe Wikipedia). Das Büchlein von 1972 ist eine Neuausgabe der deutschen Übersetzung eines Werkes von Frédéric Gaillardet von 1837. Eon war so bekannt, dass der Sexualforscher Havelock Ellis Anfang des 20. Jahrhunderts den Begriff "Eonismus" für Trans vorschlug.

3/366: Gary Kates: Monsieur d’Eon ist eine Frau, 1996

Über Chevalier d'Eon (siehe gestern) gibt es auch ein neueres Buch, 1996 erschien "Monsieur d'Eon ist eine Frau" von Gary Kates, einem amerikanischen Professor für Geschichte.

Exkurs: Ethnologie

4/366: Hermann Baumann: Das doppelte Geschlecht, 1986 (1955)

Bevor wir uns weiter historische trans* Bücher anschauen, ein kleiner Exkurs in die Ethnologie. Phänomene wie Geschlechtswandel, Kleidertausch uvm. hat es in vielen Kulturen der Welt gegeben, allerdings hat das mit dem modernen Verständnis von Trans* meistens wenig zu tun. Es gibt einige ethnologische Bücher dazu, u.a. "Das doppelte Geschlecht" von Hermann Baumann, ursprünglich 1955 erschienen, 1986 dann noch einmal.

5/366: Gisela Bleibtreu-Ehrenberg: Der Weibmann, 1984

Wir setzen den kleinen Exkurs in die Ethnologie fort. Heute mit Gisela Bleibtreu-Ehrenberg: Der Weibmann. Kultischer Geschlechtswechsel im Schamanismus, 1984 erschienen + Neuausgabe 2015.

6/366: Sabine Lang: Männer als Frauen -- Frauen als Männer, 1990

Kleiner ethnologischer Exkurs Teil 3. 1990 erschien die Dissertation von Sabine Lang mit dem Titel "Männer als Frauen - Frauen als Männer. Geschlechtsrollenwechsel bei den Indianern Nordamerikas."

7/366: Milan Stanek: Geschichten der Kopfjäger, 1982

Kleiner ethnologischer Exkurs Teil 4. Einen ethnologischen Bericht aus Papua-Neuguinea hat 1982 Milan Stanek unter dem Titel "Geschichten der Kopfjäger" veröffentlicht, auch trans*-ähnliche Phänomene wie rituelles Crossdressing kommen vor.

8/366: Eva Fels: Auf der Suche nach dem 3. Geschlecht, 2005

Wir schließen den ethnologischen Exkurs in Teil 5 mit einem Ausflug nach Indien ab. Eva Fels hat 2005 das Buch "Auf der Suche nach dem 3. Geschlecht" veröffentlicht, basierend auf einer Reise zu den Hijras.

Frühe trans* Geschichte

9/366: Richard von Krafft-Ebing: Psychopathia sexualis, 1984 (1912)

Es wird Zeit, ein bisschen in die Geschichte zu tauchen. In der frühen Sexualwissenschaft ist meine Bibliothek eher dünn sortiert, aber da gibt es inzwischen allerhand Digitalisate. Crossdressing im modernen Sinn taucht bei Karl Heinrich Ulrich bereits 1868 auf, und Carl Westphal benutzt 1870 den Begriff der "conträren Sexualempfindung", allerdings noch nicht differenziert vom sogenannten Uranismus. Richard von Krafft-Ebing veröffentlichte dann 1886 die erste Auflage der "Psychopathia sexualismus", die 17 Auflagen erlebte. Er benutzt dort den Begriff "Metamorphosis sexualis paranoica" (Geschlechtsumwandlungswahn). Meine Ausgabe ist ein Reprint von 1912, im Jahr 1884 erschienen.

10/366: Reinhold Gerling: Die verkehrte Geschlechts-Empfindung, 1900

Um die letzte Jahrhundertwende kam der Begriff des "dritten Geschlechts" als (ein) Sammelbegriff v.a. für Homosexualität, aber auch trans*, inter* uvm. auf. Beispielhaft hier das Heft "Die verkehrte Geschlechts-Empfindung und das dritte Geschlecht.", von Reinhold Gerling, 1900.

11/366: Jahrbücher für sexuelle Zwischenstufen, 1900--1908

Ab dem Jahr 1899 gab Magnus Hirschfeld das "Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen" heraus, als publizistisches Organ des Wissenschaftlich-humanitären Komitees. Dieses entstand 1897 und hatte als wesentliches Ziel die Entkriminalisierung von Homosexualität. Die Jahrbücher sind heute selten und eine Fundgrube für die frühe Sexualwissenschaft, es finden sich dort auch einige Text zu trans und inter Themen sowie viel bibliographisches Material. Für die Bibliothek konnte ich kürzlich die Jahrgänge 2--9 (1900--1908) erwerben.

Einige Bände gibt es digitalisiert u.a. bei archive.org, die Inhaltsverzeichnisse der Bände 1--9 von 1899 bis 1908 habe ich im Blog unter http://lili-elbe.de/blog/2020/01/jahrbucher-fur-sexuelle-zwischenstufen-toc/ veröffentlicht.

12/366: Jahrbücher für sexuelle Zwischenstufen, 1983/84

In den Jahren 1983+1984 erschien in 2 Bänden eine kleine Auswahl aus den Jahrbüchern für sexuelle Zwischenstufen (siehe 11/366) als Reprint.

13/366: Magnus Hirschfeld: Berlins Drittes Geschlecht, 1904

Weiter mit einem alten Schätzchen, wieder von Magnus Hirschfeld (er wird uns noch häufiger begegnen). 1904 erschien das Buch "Berlins Drittes Geschlecht", das einen spannenden Einblick in die damalige queere Subkultur Berlins gibt. Das Buch ist Band 3 von 10 der Reihe "Großstadt-Dokumente". In der digitalen Landesbibliothek Berlin gibt es ein Digitalisat des Originals: https://digital.zlb.de/viewer/image/15751825/2/LOG_0000/

Mein Exemplar ist eher in einem bemitleidenswerten Zustand, vielleicht suche ich mal Kontakt zu einem Buchbinder für die Restauration.

14/366: Magnus Hirschfeld: Berlins Drittes Geschlecht, 1991

Hirschfelds spannendes Buch "Berlins Drittes Geschlecht" von 1904 (siehe gestern) wurde 1991 neu verlegt, mit einem Nachwort von Manfred Herzer. Das Buch bildete den Auftakt für die sehr verdienstvolle Bibliothek rosa Winkel (heute im Männerschwarm Verlag) und ist noch immer lieferbar.

15/366: Magnus Hirschfeld: Berlins Drittes Geschlecht, 2015

Heute sind Hirschfeld Werke gemeinfrei, d.h. auch, dass jede*r sie neu herausgeben kann. Und so gibt es auch vom Buch "Berlins Drittes Geschlecht" einen Reprint von 2015. Der ist technisch ordentlich, aber doch recht lieblos gemacht. Außerdem fehlt jeglicher Kontext, und natürlich der Charme einer sorgfältig editierten Neuausgabe oder gar eines Originals.

16/366: Bill Forster: Anders als die Andern, 2009 (1904)

Ebenfalls 1904 erschien das Buch "Anders als die Andern" von Bill Forster (= Hermann Breuer). Mit "anders" sind vorrangig Homosexuelle gemeint, aber wie Paul Englisch 1927 schrieb, auch "Masochisten, Sadisten, Transvestiten und Fetischisten". 2009 erschien das Werk in der Bibliothek rosa Winkel neu in einer schönen Ausgabe mit Nachwort.

17/366: N. O. Body: Aus eines Mannes Mädchenjahren, 1993 (1907)

So langsam betreten wir die erste Schätzchenzone. Zwischen 1907 und 1910 sind gleich mehrere Bücher erschienen, die für mich Highlights der Bibliothek sind, 3 (bzw. 4) autobiographische Texte und ein wegweisendes wissenschaftliches Werk.

Ich fange mit einem Reprint von 1993 an. 1907 erschien der Lebensbericht "Aus eines Mannes Mädchenjahren" unter Pseudonym. "Bodys" Geschlecht war nicht eindeutig bestimmbar, seine Eltern ließen ihn als Mädchen aufwachsen. Doch später lebte er als Mann und schrieb dieses Buch. Hermann Simon konnte das Pseudonym auflösen (Karl M. Baer steckte dahinter) und schrieb für den hier vorgestellten Reprint ein ausführliches Nachwort. Das Buch ist damit eines der ersten Selbstzeugnisse einer inter* Person!

Selbst der Reprint ist antiquarisch kaum noch beschaffbar, aber es gibt ein Digitalisat des Originals: https://archive.org/details/nobody1907

(ohne Nummer) Luz Fraumann: Weiberbeute

Das nächste Buch ist ein Phantom, darum werde ich es nicht mitzählen. 1906 erschien in Budapest ein Roman "Weiberbeute" unter dem Pseudonym "Luz Fraumann", es soll der allererste Roman über Crossdressing sein. Der einzige Hinweis auf dessen Existenz war eigentlich Magnus Hirschfelds Werk "Die Transvestiten", wo Fraumann hinter einem der Fälle steckt. Ansonsten wird das Buch nie erwähnt bzw. immer nur im Bezug zu Hirschfeld. Jüngst fand ich dann doch eine Erwähnung - im Prager Tagblatt vom 29.09.1906 wirbt eine Leihbibliothek in einer Kleinanzeige damit. Das Buch scheint verschollen zu sein, ich habe es bislang in keiner Bibliothek auf der Welt oder gar antiquarisch finden können. Hinweise sind willkommen 😉

18/366: Daniel Daniela: Aus dem Tagebuch eines Kreuzträgers von ***, 1908

Heute ein Schätzchen. Das Buch "Daniel Daniela: Aus dem Tagebuch eines Kreuzträgers von ***" ist 1908 erschienen, es enthält autobiographische Aufzeichnungen (wie authentisch, lässt sich nicht prüfen). Mir ist nicht ganz klar, ob der/die Autor*in eher ein homosexueller Mann mit stark weiblichem Empfinden ist, oder eher eine trans Frau. Diese Konzepte waren zu der Zeit einfach noch nicht differenziert (Hirschfelds wegweisendes Werk "Die Transvestiten" erschien erst 2 Jahre später). Es gibt aber schon einige Indizien für eine trans* Identität. Inhalt sind die tragische Liebe zu einem jungen Leutnant und Reflexionen zum So-Sein voller Weltschmerz. Das Buch ist anonym erschienen, die dänischen Ausgabe von 1922 erschien unter dem Namen des Schriftsteller Karl Larsen. Ich habe das Buch erst vor kurzem entdeckt und werde mich sicher noch mehr damit beschäftigen.

19/366: Aus dem Tagebuche einer männlichen Gymnasiastin, 1910

Das nächste Schätzchen: "Aus dem Tagebuche einer männlichen Gymnasiastin", 1910 anonym in Wien erschienen und wunderschön gestaltet. Dieses Buch entdeckte ich zufällig vor ein paar Jahren, und ich konnte überhaupt nichts darüber herausfinden, es scheint sehr rar zu sein. Inhaltlich sind es (literarisch eloquente) Tagebuchnotizen über die Erlebnisse in einem Mädchengymnasium, geschrieben von einer jungen Frau. Bzw. einem jungen Mann, denn es stellt sich heraus, dass das körperlich Männliche doch überwiegt. Er wechselt die Rolle und lebt von da an als Mann. Durch intensive Recherche konnte ich kürzlich den Autor herausbekommen! Es war der später bekannte Kunsthistoriker Leopold Zahn! Mehr dazu auf meiner Website: http://lili-elbe.de/blog/2020/01/diskretion-albernes-ding-leopold-zahn/

20/366: Magnus Hirschfeld: Die Transvestiten, 1925

Und noch ein Schätzchen. Magnus Hirschfelds "Die Transvestiten" erschien 1910 und ist ein Meilenstein für die trans* Geschichte. Das Buch ist die erste wissenschaftliche Monographie über Trans*, den Begriff "Transvestit" prägte Hirschfeld damals (aber noch nicht weiter ausdifferenziert). Er holte das Thema Trans* aus der pathologischen Ecke, in der es spätestens seit Krafft-Ebing steckte, und war für viele Betroffene identitätsstiftend (viel nachfolgende Literatur bezieht sich darauf). Mein Exemplar ist die 2. Ausgabe von 1925, die aber gegenüber der 1. unverändert ist. Die 1. Ausgabe war schon damals vergriffen und nur noch schwer zu bekommen. Heute ist das erst recht so, das Buch taucht nur selten antiquarisch auf, und dann zu hohen Preisen. Bis heute gibt es leider auch keine Neuausgabe dieses Schlüsselwerks der trans* Geschichte! Immerhin existieren seit wenigen Jahren 2 digitalisierte Fassungen, eine ist von mir: http://lili-elbe.de/transgender-buecher/digitalisierte-trans-buecher/

21/366: Magnus Hirschfeld: Die Transvestiten, 2018

Gestern schrieb ich, dass es keine Neuausgabe von Magnus Hirschfelds "Die Transvestiten" gäbe. Ein bisschen muss ich das zurücknehmen: Denn seit ca. einem Jahr gibt es einen Reprint des britischen Verlags "Forgotten Books", der zahllose alte Werke zum Reprint on Demand anbietet. Das Exemplar basiert auf einer Kopie der University of Toronto. Immerhin kann man das Buch so wieder auf Papier lesen, wenn auch das Faksimile recht lieblos gemacht ist.

22/366: Magnus Hirschfeld, Max Tilke: Der erotische Verkleidungstrieb, 1912

Zusätzlich zum Textband "Die Transvestiten" von Magnus Hirschfeld erschien 1912 ein illustrierter Teil zusammen mit Max Tilke mit dem Titel "Der erotische Verkleidungstrieb". Das Buch enthält 54 Tafeln mit zeitgenössischen und historischen Fotos und Zeichnungen von trans* Personen. Auch dieses Werk ist heute sehr rar, aber es gibt ein Digitalisat auf https://www.digi-hub.de/viewer/toc/BV042530729/0/LOG_0000/

23/366: Theodore Stanton: Rosa Bonheur, 1914

Im Jahr 1914 erschien die deutsche Übersetzung einer Biographie über Rosa Bonheur von Theodore Stanton. Rosa Bonheur (1822--1899) war eine französische Tiermalerin des Naturalismus. Außerdem -- und darum taucht sie hier auf -- war sie queer. Ob "nur" emanzipierte homosexuelle Frau oder eine trans* Identität, kann ich nicht sagen. Sie trat jedenfalls in Männerkleidung auf und hatte eine offizielle Erlaubnis zum Crossdressing ("Permission de travestissement").

24/366: Zeitschrift für Sexualwissenschaft, 1914

In Bezug auf trans* Geschichte gibt es ein "vor Hirschfeld" und ein "nach Hirschfeld". Heute zwei sexualwissenschaftliche Zeitschriften von 1914, in denen über weitere Fälle von trans* Personen aus den USA berichtet wird -- unter Bezug auf Hirschfelds Grundlagenwerk. Strenggenommen sind es nur Berichte von Erwähnungen in amerikanischen Fachzeitschriften. Beide Beiträge stammen von Iwan Bloch, einem frühen deutschen Sexualwissenschaftler.

25/366: Magnus Hirschfeld: Die Homosexualität des Mannes und des Weibes, 1920

Der Ziegelstein für heute geht an Magnus Hirschfeld für das Werk „Die Homosexualität des Mannes und des Weibes“. 1913 erschien die 1. Auflage, 1920 die hier gezeigte 2. unveränderte nach dem Krieg. Auf 1067(!) Seiten geht es um alle Aspekte von Homosexualität, in einem Kapitel auch um die Differenzialdiagnose u.a. zu Trans*. Hirschfeld stellt 2 Fälle vor, einer würde heute als Transsexualität verstanden werden.

26/366: Walter Homann von Birkenburg: Das Geschlecht der Lüge, 1919

Das heutige Büchlein ist von 1919, heißt »Das Geschlecht der Lüge« und stammt von Walter Homann von Birkenburg, einem Pseudonym von Walter Homann (1887--1918). Ursprünglich erschien es 1907 unter dem Namen »Tagebuch einer männlichen Braut« und verarbeitet (u.a.) das Schicksal der »Comtesse« Dina Alma de Paradeda, die als »männliche Braut« Ende 1906 durch die Presse ging. Sie galt Hirschfeld als Paradebeispiel für einen Transvestiten. Mein Exemplar des Buchs befindet sich in einem beklagenswerten Zustand und sollte vielleicht mal zum Restaurateur.

27/366: Eine männliche Braut, 1996

Die »männliche Braut« von gestern gibt es auch in neueren Ausgaben. So erschien 1996 ein Reprint der Kurzfassung des Texts (102 Seiten) im Berliner Janssen Verlag, einem ehemaligen schwulen Versandhandel, allerdings ohne jeglichen Kontext.

28/366: Walter Homann Tagebuch einer männlichen Braut, 2010

Eine richtig schöne Neuausgabe der »männlichen Braut« von 1907 erschien 2010 in der »Bibliothek rosa Winkel«, mit einem einordnenden Nachwort, und mit einer Auflistung der Unterschiede zwischen Kurz- und Langfassung. Und erhältlich.

29/366 Iwan Bloch: Das Sexualleben unserer Zeit

Noch ein »vor Hirschfeld«-Werk, wieder ein Buch aus der frühen Ära der Sexualwissenschaft. 1907 erschien Iwan Blochs »Das Sexualleben unserer Zeit«, mit mehreren Nachauflagen in rascher Folge. Das gezeigte Exemplar ist die 4.--6. Auflage von 1908. In dem Buch behandelt Bloch auf 840 Seiten alle Aspekte der Sexualität aus damaliger Sicht. Unter dem Begriff »psychische Hermaphroditen« beschreibt Bloch auch 2 Fälle von trans* Personen (die man damals eben noch nicht einordnen konnte). Beide hat später auch Hirschfeld in seinem Buch »Die Transvestiten« verwendet (Nr. 11+14). Einer davon, ein amerikanischer Journalist, schlägt den Begriff »Junoren« vor und spricht von »Kostümreiz«. Die Vielzahl der frühen Begriffe ist durchaus spannend.

Das Buch gibt es auch als Digitalisat, hier der direkte Link zu den o.g. Fallbeschreibungen: https://www.digi-hub.de/viewer/image/BV043516860/613/

Eine Frage an die (Medizin)historiker: Wie kommt es, dass die damaligen Werke immer ganz viele Kasuistiken enthalten, was sich später (ab den 60er oder 70er Jahren oder so?) änderte?

30/366: Sonntagsclub (Hrsg.): Verzaubert in Nord-Ost, 2009

So langsam endet in meinem »Material« die Kaiserzeit, aber ein Buch habe ich noch. Der Sonntagsclub in Berlin hat 2009 »Verzaubert in Nord-Ost« herausgegeben, Thema sind queere Personen und Orte in den Berlinern Stadtteilen Prenzlauer Berg, Pankow und Berlin. Eine der Personen ist Gerda von Zobeltitz (1891--1963) aus Weißensee, von der ich vorher noch nichts gehört hatte. Sie war 1912 bei Hirschfeld und machte als Crossdresser Schlagzeilen in den Berliner Postillen. Auf 23 lesenswerten Seiten erzählt Katja Koblitz die Geschichte der trans Frau Gerda. Im Buch befinden sich noch weitere Beiträge zu Trans*.

31/366: Chloé Cruchadet: Das falsche Geschlecht, 2014

Das heutige Buch hat seinen Ursprung im ersten Weltkrieg. Als Deserteur entflieht Paul Grappe dem Krieg und versteckt sich in Paris, mit Hilfe seiner Frau Louise wird er zu Suzy. Es werden 10 Jahre daraus, die aber kein gutes Ende nehmen. Basierend auf der wahren Geschichte, die französische Historiker recherchierten, erschien 2014 die wunderschön gezeichnete Graphic Novel »Das falsche Geschlecht« von Chloé Cruchadet.

32/366: Magnus Hirschfeld: Künstliche Verjüngung. Künstliche Geschlechtsumwandlung, ca. 1920

Ab etwa 1910 experimentierte der Sexualforscher Eugen Steinach mit Keimdrüsen, u.a. mit der Verpflanzung von Hoden. Zunächst hatten die umstrittenen Methoden das Ziel, Menschen zu verjüngen, dann kam auch die Idee auf, damit Homosexualität zu »therapieren«, beides aus heutiger Sicht ziemlich gruselig. Außerdem beobachtete Steinach nach Transplantationen von gegengeschlechtlichen Keimdrüsen bei Tieren körperliche Veränderungen. In dem heute gezeigten populärwissenschaftlichen Heftchen »Künstliche Verjüngung. Künstliche Geschlechtsumwandlung.« von ca. 1920 schreibt Magnus Hirschfeld darüber.

Durch diese damals sehr bekannten »Steinachexperimente« entstand die Idee, den Körper durch Operationen männlicher oder weiblicher zu machen. Um diese Zeit begannen auch entsprechende Versuche bei trans* Personen, die sich durch hormonelle und chirurgische Behandlungen Linderung ihres Leidens erhofften.

33/366: Wilhelm Stekel: Die Geschlechtskälte der Frau, 1920, Der Fetischismus, 1923

Wilhelm Stekel (1868-1940) war ein österreichischer Arzt und Sexualforscher, beteiligt an der frühen Geschichte der Psychoanalyse und Forschung zur Homosexualität. Krafft-Ebing förderte ihn, und er kannte Sigmund Freud und Magnus Hirschfeld. 1912--1928 veröffentlichte er 10 Bände der »Störungen des Trieb- und Affektlebens«, darunter 1920 den hier gezeigten Band 3 »Die Geschlechtskälte der Frau« und 1923 Band 7 »Der Fetischismus«. Beide enthalten ein Kapitel zu Trans, jeweils mit einer ausführlichen Fallbeschreibung einer trans* Person. Stekel war Psychoanalytiker, und mit dieser »Brille« setzte er sich auch mit Trans auseinander. In der NS-Zeit wurde sein Werk verboten.

34/366: Ferdinand Freiherr von Reitzenstein Geschlecht und Gesellschaft. XII., 1925

Heute ein Schätzchen, nach dem ich 5 Jahre antiquarisch gesucht habe. In der Zeitschrift »Geschlecht und Gesellschaft« erschien 1925 in Band 12 ein 60-seitiger Aufsatz »Über das Wesen des Umkleidungstriebes« von Lothar Goldmann, einem Arzt aus New York. Dort schreibt er ziemlich verständnisvoll über »Transvestitismus«, benutzt also Hirschfelds populär gewordenen Begriff für Trans* (und verweist auch auf Hirschfeld). Der Text erschien noch einmal als Sonderdruck. Über den Autor habe ich ansonsten nichts weiter herausfinden können. In der NS-Zeit war das Werk verboten.

35/366: Ein hübsch lied zu singen, 1520

Heute spontan ein Ausflug ein halbes Jahrtausend(!) in die Vergangenheit, beim Suchen bin ich da über etwas Außergewöhnliches gestolpert: Ein Druck von 1520 »Ein hübsch lied zu singen / von einem vngetrewen knecht / wie er seinem Herren das weyb bulet vñ den herren schlug in dem garten. Jm langen Mœglings thon.« Ein 500 Jahre alter Holzschnitt, auf dem ein Herr einen Knecht in Frauenkleidern mit einem Knüppel schlägt, meine Güte! Mein Frühneuhochdeutsch – oder was immer das ist (ich bin keine Germanistin) – reicht nicht aus, um den Inhalt des zugehörigen Textes gut zu erfassen, vielleicht kann es ja jemand von euch? Das ist jedenfalls spannend. Und sehr, sehr krass.

Quelle: http://www.zvdd.de/dms/load/met/?PPN=PPN778097722 & und im Digitalisat S. 9 und 13.

36/366: Alfred Holtmonts Die Hosenrolle, 1925

Zurück zur chronologischen Reihenfolge, zurück zum Jahr 1925. Alfred Holtmonts »Die Hosenrolle« beschäftigt sich mit Frauen in Männerrollen – im Theater und außerhalb, quer durch die Geschichte und enthält zahlreiche Fotos, Zeichnungen usw.

37/366: Ludwig Levy-Lenz (Hrsg.): Sexual-Katastrophen, 1926

In den 20er Jahren nahm die Menge an populärwissenschaftlicher Literatur zu Sexualität offenbar deutlich zu. »Sex sells«, das galt halt auch schon vor 100 Jahren. Zum Beispiel für das heute gezeigte Buch von 1926 mit dem Titel »Sexual-Katastrophen«, herausgegeben von Ludwig Levy-Lenz. Den ersten Abschnitt unter der Überschrift »Schuldig geboren« steuerte Magnus Hirschfeld bei, mit Fallbeschreibungen eines Transvestiten, eines Kinderschänders, von 2 Homosexuellen und eines Doppelmörders. Danach kommen von anderen Autoren Texte zu Abtreibung, Prostitution, Syphilis und zu »Eheketten«. Eine ganz tolle Nachbarschaft für Trans*.

38/366: Ludwig Levy-Lenz (Hrsg.): Mein Körper, 1931

Das gestrige Buch erschien 1931 weitgehend unverändert noch einmal als Ergänzungsband zum mehrbändigen Werk »Mein Körper«. Für das avisierte Laienpublikum waren solche Bücher rund um sexuelle »Besonderheiten« offenbar attraktiv.

Hirschfelds »Transvestit« übrigens, der mit Lebensbeschreibung und Gutachten vorgestellt wird, würde sich heutzutage wohl als trans Frau begreifen, inkl. Transition.

39/366: Herbert Lewandowski: Das Sexualproblem in der modernen Kunst und Literatur, 1927

Noch ein Werk, das sich mit sexuellem Allerlei beschäftigt: Herbert Lewandowski: Das Sexualproblem in der modernen Kunst und Literatur, 1927. Für mich ähnlich voyeuristisch wie das letzte Buch, aber mit kulturellem Anstrich, auf 361 Seiten sind etliche Romane und Werke der bildenden Kunst als Illustrationen enthalten. Trans* kommt (unter Hirschfelds Begriff »Transvestitismus« ganz kurz vor, in einem stark pathologischen Kontext.

Was aber sehr interessant ist: Im Buch ist das verschollene Werk »Weiberbeute« (oder hier »Weiberleute«) von Luz Fraumann von 1906 erwähnt.

40/366: Hans Schmidt: Verkehrte Geschlechtsrichtung, 1928

Heute wieder ein seltenes Schätzchen: Hans Schmidt: »Verkehrte Geschlechtsrichtung«, ein »transvestitischer Roman« von 1928. Inhalt des Romans ist eine wilde Crossdressing-Phantasie, die beim anonymen Erzähler beginnt. Schon als Kind trägt er Mädchenkleider, lebt dann auch dauerhaft in dieser Rolle. Er lernt eine Partnerin kennen, die das alles toll findet. Und schließlich werden auch ihre Kinder als Mädchen aufgezogen. Die Lust an den schönen Kleidungsstücken ist im Text stets gegenwärtig.

41/366: Mark Lehmstedt: Bücher für das »dritte Geschlecht, 2002

Heute ein bisschen Meta. Eine zentrale Rolle für die frühe Literatur zur Sexualaufklärung und zur Homosexualität (und damit auch zu Trans*) spielte der Leipziger Max Spohr Verlag. Über sein Wirken erschien 2002 von Mark Lehmstedt: „Bücher für das »dritte Geschlecht«. Das interessante Buch untersucht die Verlagsgeschichte im Kontext der damaligen politischen und gesellschaftlichen Situation und enthält eine Bibliographie der Verlagsproduktion.

42/366: Hanns Heinz Ewers: Fundvogel, 1928

Heute wieder ein geschichtlich spannendes Schätzchen: Hanns Heinz Ewers: »Fundvogel. Die Geschichte einer Wandlung« von 1928. Der über 500 Seiten starke Roman spielt Anfang des 20. Jahrhunderts und behandelt erstmals eine trans Geschichte (eines trans Manns) im modernen Sinn, mit medizinischen Maßnahmen! 1930 wurde der Roman auch verfilmt, darüber weiß ich aber nichts Weiterführendes.

43/366: Hanns Heinz Ewers: Fundvogel, 2016

Den »Fundvogel« von gestern gibt es seit 2016 auch in einer ungekürzten Neuausgabe beim MetaGIS-Verlag. Nicht unbedingt ein Juwel der Buchdruckerkunst, aber der alte Text wird so wieder zugänglich. Zusätzlich enthält das Buch etwas Kontext: ein einordnendes Vorwort, ein kurzes Portrait von Hanns Heinz Ewers, eine Erklärung heute nicht mehr gebräuchlicher Begriffe, ein Verzeichnis historischer Personen, die im Roman auftreten sowie Übersetzungen von fremdsprachlichen Textteilen.

44/366: Anna Fischer-Dückelmann: Die Frau als Hausärztin, 1929

Heute ein an Laien gerichtetes Medizinbuch von 1929, mit 1032 Seiten in Ziegelsteinqualität. »Die Frau als Hausärztin« erschien erstmals 1901 und war ziemlich populär, 28 Jahre später erschien diese »3. Million-Jubiläums-Ausgabe«. Themen sind auf ca. 1/3 des Umfangs der menschliche Körper, Sexualität, Alter und Tod, Mutterschaft, Säuglinge, Körperpflege sowie auf ca. 2/3 medizinische Ratschläge für alle Lebenslagen. Im Kapitel zur Sexualität wird unter »krankhaftes Geschlechtsleben« auch kurz auf Homosexualität, Trans* uvm. eingegangen. Das Bedürfnis nach Schubladen war auch damals sehr ausgeprägt, die Begriffe durchaus originell.

30er Jahre

45/366: Das 3. Geschlecht, Heft 3, 1931

Auf unserer Wanderung durch die historische trans* Literatur erreichen wir die 30er Jahre. Eine Zeit bisher ungekannter Offenheit, zumindest in den Großstädten. Gleichzeitig hatte die Weltwirtschaftskrise begonnen, die Arbeitslosigkeit stieg deutlich, und die Gesellschaft radikalisierte sich. Für trans* Menschen war diese Zeit vermutlich die offenste, die sie je erlebt hatten, eine kurze Blütezeit kurz vor der Katastrophe.

Von 1930 bis 1932 erschien ziemlich viel trans* Literatur, die jetzt auf uns wartet. Ich beginne mit der Zeitschrift »Das 3. Geschlecht« aus dem Verlag Friedrich Radszuweit, einem damals sehr rührigen und geschäftstüchtigen Verleger. Es erschienen zwar nur 5 Hefte, aber als erste an trans* Menschen gerichtete Zeitschrift ist diese Publikation ein historischer Meilenstein.

Heute ist die Zeitschrift sehr selten, und »Keine Bibliothek hat es als wertvoll erachtet, die Zeitschrift Das 3. Geschlecht zu sammeln«, wie Rainer Herrn anmerkt. Ein typisches Beispiel dafür, dass trans* Geschichte kaum sichtbar war und ist. Ich stolperte vor einigen Jahren bei einer Recherche eher zufällig über ein Exemplar von Heft 3, 1931. Eines meiner Schätzchen.

46/366: Rainer Herrn (Hrsg.): Das 3. Geschlecht, 2016

Zum Glück ist die gestern vorgestellte Zeitschrift »Das 3. Geschlecht« dem Vergessen entrissen! Dies verdanken wir Rainer Herrn, der als einer von ganz wenigen zur trans* Geschichte forscht. In seinem gleichnamigen Buch von 2016, erschienen im Männerschwarm Verlag, sind alle(!) 5 Ausgaben als Reprint enthalten, außerdem ca. 70 Seiten Text mit Hintergrundinformationen. Bitte unterstützt solche Forschung und kauft euch das Buch, wenn ihr mehr wissen wollt!

Außerdem habe ich mein Heft Nr. 3 digitalisiert und stelle es auf der Website bereit, mehr siehe http://lili-elbe.de/buch/herrn-3-geschlecht-2016/

47/366: Maryse Choisy: In den Tiefen von Paris, 1930

Im Jahr 1930 erschienen 2 Bücher, die die vorgestern vorgestellte Zeitschrift unter der Überschrift »Bücher, die jeder Transvestit lesen muß« aufführte. Das erste ist von Maryse Choisy (1903–1979) und heißt »In den Tiefen von Paris«, im Original »Un mois chez les filles«. Die französische Journalistin hatte sich für einen Monat als Stubenmädchen in verschiedenen Pariser Bordellen verdingt und eine Reportage über ihre Erlebnisse geschrieben, ohne die dort arbeitenden Frauen zu verurteilen. Damals war das Buch wohl ein ziemlicher Skandal und recht erfolgreich. Die Verbindung zu Trans* kann ich allerdings nicht benennen, ich habe das Buch noch nicht gelesen.

48/366: Alec Scouffi: Hotel zum Goldfisch, 1930

Das heutige Buch »Hotel zum Goldfisch« von Alec Scouffi erschien ebenfalls im Jahr 1930, ebenfalls beim Leipziger Elite Verlag. Auch dieses Buch wurde unter der Überschrift »Bücher, die jeder Transvestit lesen muß« in der Zeitschrift »Das 3. Geschlecht« vorgestellt. Es spielt in der homosexuellen Szene von Paris, aber zwischen männlicher Prostitution und vielerlei kleinen Liebschaften geht es für Chouchou alias Peter immer weiter abwärts. Und irgendwie sieht er sich auch als Frau – im Sinne des sog. 3. Geschlechts der letzten Jahrhundertwende. Das Buch war der erste Roman von Alec Scouffi, 1886 in Alexandria geboren. Nur 3 Jahre nach dem Erscheinen des französischen Originals wurde er im März 1932 ermordet, sein Mörder kam vermutlich aus genau der Szene, über die er mit viel Sachkenntnis schrieb. Darüber spekulierte jedenfalls die damalige Presse, das Verbrechen konnte meines Wissens nicht aufgeklärt werden.

Letztes Jahr erschien in der »Bibliothek rosa Winkel« ein Reprint des Buches!

49/366: Alexander Lernet-Holenia: Die Abenteuer eines jungen Herrn in Polen, 1931

Im Jahr 1931 erschien der Roman »Abenteuer eines jungen Herrn in Polen« des österreichischen Schriftstellers Alexander Lernet-Holenia (1897–1976). Der Autor war damals wegen der enthaltenen k.u.k.-Nostalgie seiner Werke sehr beliebt. Vordergründig geht es im Buch um das gleiche Motiv wie bei »Charley’s Tante« oder »Some Like it Hot«: Ein Mann verkleidet sich durch äußere Zwänge als Frau und gerät in einen Strudel von Verwicklungen. Hier ist es ein blutjunger österreichischer Leutnant, der sich mutterseelenallein hinter der feindlichen Front des ersten Weltkriegs wiederfindet. Allerdings ist unser Leutnant wohl tatsächlich Crossdresser, für den das Verkleiden mehr als nur Notbehelf ist.

Der Stoff wurde verfilmt, 1934(!) unter der Regie von Gustav Fröhlich. Für das in einem Forum berichtete Verbot des Films nach dem Anschluss Österreichs konnte ich allerdings keine Quelle finden.

Den Hinweis auf Buch und Film verdanke ich »Hekate«, eine seit einigen Jahren verstorbene trans Frau. Meine Freundin Jula hat ihre Texte dankenswerterweise im Internet verfügbar gemacht: www.hekatesbuehne.de. Mögen wir ihrer gedenken.

50/366: Alexander Lernet-Holenia: Die Abenteuer eines jungen Herrn in Polen, 1953

Das gestern vorgestellte Buch wurde nach dem Krieg als Taschenbuch neu aufgelegt. Die »rororo«-Bücher (Rowohlt Rotations Romane) im kleinen Oktavformat waren damals etwas ganz Neues und gab es ab 1950. »Die Abenteuer eines jungen Herrn in Polen« von 1953 gehören zu den ganz frühen Exemplaren mit farbigem Leinenrücken und sind Nr. 93 von mittlerweile ca. 18.000 rororo Taschenbüchern.

Und wer das Buch heute lesen möchte: 2017 erschien eine Neuausgabe bei Fischer, leider mit einem ausnehmend lieblosen Cover.

Lili Elbe

51/366: Lili Elbe: Ein Mensch wechselt sein Geschlecht, 1932

Schätzchenalarm!!

Warum heißt die Lili-Elbe-Bibliothek, wie sie heißt? Wegen dieses Buches »Ein Mensch wechselt sein Geschlecht«, einer der frühesten trans* Biographien! Das Buch von Lili Elbe gilt als Ursprung aller autobiographischen Berichte von trans* Personen, die in den 90 Jahren seitdem erschienen sind. Ca. im Jahr 2000 entdeckte ich es in der Dresdner Unibibliothek, mit viel Glück konnte ich vor Jahren 2 Exemplare erwerben.

Lili Elbe (eigentlich Elevenes, 1882–1931, geboren als Einar Wegener) war nicht die erste trans* Frau mit Operationen, und ihr Buch war nicht das allererste dazu (schaut einfach in die letzten 50 Bücher). Aber ihr »Fall« ging damals durch die internationale Presse und machte Lili Elbe weithin bekannt.

Zusammen mit ihrer Partnerin, der Malerin Gerda Wegener, war sie von Kopenhagen nach Paris gezogen, wo das Paar in der Kunstszene sehr bekannt wurde. Hier begann ihr Leben als Frau. Für die damals riskante Operation kam sie nach Dresden. Dort verstarb sie nach der 2. Operation nach Komplikationen einige Zeit später. Der Schriftsteller Niels Hoyer (Pseudonym von Ernst Harthern) gab ihre gesammelten biographischen Aufzeichnungen als Buch heraus. 1932 erschien posthum die deutsche Übersetzung (Original: Dänisch als »Fra mand til kvinde«, 1931). Wir werden einige Tage hier verweilen.

Mehr zum Buch z.B. bei Wikipedia.

Meta 1: Am 1. Exemplar sieht man die damals im Buchhandel erhältliche Version ohne richtigen Einband (quasi OEM). Ein Buchbinder kümmerte sich dann um den sauberen Beschnitt und einen Einband. Das ist hier offenbar nie passiert.

Meta 2: Das 2. Exemplar hat einen Bleistifteintrag »Prof. Warnekros (Werner Kreutz)«, er war Lilis Operateur (in Klammern sein Pseudonym im Buch). Es ist aber wohl nicht seine Handschrift.

52/366: Niels Hoyer: Wandlung, 1954

Im Zuge des medialen Hypes um Christine Jorgensen wurde auch Lili Elbes Buch als Taschenbuch (leicht gekürzt) neu herausgegeben. Mit einem hübschen Einband erschien es 1954 im Tauchnitz Verlag unter dem Titel »Wandlung. Eine Lebensbeichte« von Niels Hoyer, Lili Elbes Name war vom Titel verschwunden Auch diese Ausgabe ist heute ziemlich selten.

53/366: Niels Hoyer (ed.): Man Into Woman, 1953

Auch die englische Ausgabe von Lili Elbes Buch wurde als Taschenbuch noch einmal herausgegeben, 1953 für 25 Cent unter dem Titel »Man Into Woman« in der »Popular Library«, mit einer kurzen Einführung von Norman Haire.

54/366: Die Geschichte von Lili Elbe, 2019

Seit letztem Jahr gibt es ENDLICH eine Neuausgabe von Lili Elbes Buch! Im Oktober 2019 erschien »Die Geschichte von Lili Elbe« im @bebraverlag. Wie lange mussten wir darauf warten? Das Buch enthält den vollständigen Text, dabei sind alle Pseudonyme aufgelöst, außerdem ein kleines Vorwort, ein ausführliches Nachwort von Rainer Herrn uvm. Wenn du dich für Lilis Geschichte interessierst: Lesen!

55/366: Ernst Harthern, 2008

Heimsuchungen.

Niels Hoyer, der Herausgeber von Lili Elbes »hinterlassenen Papieren«, hieß eigentlich Ernst Harthern bzw. Ernst Ludwig Jacobson und stammte aus Stade. Als Jude musste er Deutschland verlassen und war in Stade lange vergessen. Über einen kleinen berührenden Blogtext erfuhr ich vor vielen Jahren mehr über ihn, damals gab es keinen Wikipedia-Eintrag zu ihm oder zu Lili Elbe: https://ruprecht.art.blog/2018/06/15/die-kugel-im-ruecken/. Der Text basiert auf einem Vortrag von 1995.

2008 gab das Stader Stadtarchiv dann aber ein Buch über Ernst Harthern heraus, in dem auf einigen Seiten auch auf Lili Elbe eingegangen wird.

56/366: Sabine Meyer: Wie Lili zu einem richtigen Mädchen wurde, 2015

Und nochmal Meta. Wenn du mehr über den historischen Kontext, die Authentizität und andere Hintergründe zu Lili Elbe und ihrem Werk wissen möchte, dann sei dir das heutige wissenschaftliche Buch »Wie Lili zu einem richtigen Mädchen wurde« von Sabine Meyer (@lilielbe) ans Herz gelegt. Es erschien 2015 im @transcript_verlag

57/366: David Ebershoff: Das dänische Mädchen, 2000

Im Jahr 2000 erschien das Buch »Das dänische Mädchen« des US-amerikanischen Schriftstellers David Ebershoff (@davidebershoff). Er war über die Geschichte von Lili Elbe gestolpert und fand sie so interessant, dass er sie zu einem Roman verarbeitete – es war sein Durchbruch als Schriftsteller. »Wir« als trans* Community haben ihm viel zu verdanken: Ohne seinen Roman hätte die Geschichte niemals die breite Öffentlichkeit erreicht, Lili Elbe wäre vermutlich außerhalb von Fachkreisen heute genau so vergessen wie vor 30 Jahren.

58/366: David Ebershoff: Das dänische Mädchen, 2016

Eine Verfilmung von David Ebershoffs (@davidebershoff) Roman »Das dänische Mädchen« war schon länger geplant. Es dauerte dann aber 15 Jahre, bis der Film 2015 in die Kinos kam. Natürlich hat die Liebesgeschichte im Film nur noch in Anlehnung etwas mit Lilis »wahrer« Geschichte zu tun, aber als Beitrag zu trans* Visibility war »The Danish Girl« ein wichtiges Werk. Damals habe ich auch ein paar Worte dazu geschrieben: http://lili-elbe.de/leseecke/geschichte/the-danish-girl-trans-visibility/

Im Rahmen der medialen Aufmerksamkeit für den Film wurde dann auch das Buch »Das dänische Mädchen« unverändert neu aufgelegt. Diese Ausgabe des Romans ist sicher die heute am einfachsten erhältliche, z.B. bei Amazon: https://amzn.to/32wUFWG

59/366: Lili Elbe: Ein Mensch wechselt sein Geschlecht, 1932 (Digitalisat)

Ausnahmsweise stelle ich heute ein digitalisiertes Buch vor, denn es schließt den Kreis aller Veröffentlichungen zu Lili Elbe. War bis vor kurzer Zeit der Text des Originals nicht mehr zugänglich, gibt es ihn jetzt gleich 2x: Zum einen in der empfehlenswerte Neuausgabe (siehe 54/366), zum anderen hat aber auch die Sächsische Landes- und Universitätsbibliothek ein Original digitalisiert und stellt es der Allgemeinheit zur Verfügung. Großartig! Ich habe es hier verlinkt (unten): http://lili-elbe.de/transgender-buecher/digitalisierte-trans-buecher/

Dieses Exemplar ist übrigens auch jenes, was ich im Jahr 2000(?) selbst in der Hand hatte, und mit dem »meine« Lili-Elbe-Geschichte begann. Genau dieses Buch ist der ideelle Grundstein meiner Bibliothek.

Magnus Hirschfeld

60/366: Magnus Hirschfeld: Weltreise eines Sexualforschers, 2006 (1933)

Pionierwechsel. Nachdem wir ziemlich lange bei Lili Elbe verweilt sind, möchte ich jetzt Magnus Hirschfeld einige Tage widmen. Mehrere Bücher seines sehr produktiven Schaffens habe ich bereits vorgestellt (Nr. 11-15, 20-22, 25, 32). Als schwuler und jüdischer Sexualwissenschaftler war er ein Feindbild für die Nazis und fühlte sich immer mehr bedroht. So nahm er 1931 eine Einladung in die USA an, reiste von da weiter nach Asien und hielt 176 Vorträge.

1933 erschien in Zürich der Bericht seiner Reise, unter dem Titel »Weltreise eines Sexualforschers« gab der Eichborn-Verlag 2006 das Buch in einer wunderbar gestalteten Ausgabe neu heraus.

61/366: Hans Bergemann, Ralf Dose, Marita Keilson-Lauritz: Magnus Hirschfelds Exil-Gästebuch, 2019

Nach seiner Weltreise kehrte Magnus Hirschfeld nicht nach Deutschland zurück. Am 5. Mai 1933 plünderten nationalsozialistische Sportstudenten das Institut für Sexualwissenschaft in Berlin, viele der Bücher wurden verbrannt. Wir kennen das in unser kulturelles Gedächtnis eingebrannte Foto der Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 auf dem Berliner Opernplatz – dort verbrannten auch die Bestände von Hirschfelds Institut. Nicht ohne dass man vorher aussortiert hatte, was man noch verkaufen könnte. Dabei hatte das deutsche Jahrhundertverbrechen gerade erst begonnen.

Die damalige recht liberale Sexualwissenschaft erlitt einen Rückschlag, von der sie sich für mindestens 2 Jahrzehnte nicht mehr erholte, in Deutschland dauerte es noch viel länger. Hirschfeld ging nach Frankreich ins Exil und verbrachte seine letzten 2 Lebensjahre in Nizza, er starb 1935.

Sein Exil-Gästebuch ist das heutige Thema. Im Jahr 2019 erschien im jüdischen Verlag @hentrichhentrich eine wunderbare, großformatige Ausgabe mit einem Reprint des Gästebuchs inkl. Transkriptionen und Hintergrundinformationen. Ein echtes Coffee Table Book!

62/366: Magnus Hirschfeld: Geschlechtsanomalien und Perversionen, ca. 1950

Nach Hirschfelds Tod erschien 1937 eine französische und 1938 eine englische Ausgabe eines Buchs, das nach dem Verlust des Originalmanuskripts wohl rückübersetzt wurde und ab ca. 1950 erst unter dem Titel »Geschlechtsanomalien und Perversionen« und später als »Geschlechtsverirrungen« in deutscher Sprache herausgegeben wurde (laut Vorwort). Ob es tatsächlich Hirschfelds Lebenswerk zusammenfasst, wie der Untertitel »Aus dem Nachlaß ergänzt und geordnet von seinen Schülern«, vermag ich nicht zu beurteilen. Die deutschsprachigen Ausgaben ab ca. 1950 bis in die 80er Jahre erschienen jedenfalls eher als Erotica und bedienten wohl einen voyeuristischen Blick auf alles, was in der Nachkriegs-BRD in sexueller Hinsicht als »nicht normal« galt. Heute dürfte das Werk das am meisten verbreitete von Magnus Hirschfeld sein.

Das Buch enthält auch ein umfängliches Kapitel zu »Transvestitismus«, ebenso »Hermaphroditismus« und »Androgynie«. Aber eben auf dem Stand der 30er Jahre.

63/366: Manfred Herzer: Magnus Hirschfeld, 2001

Magnus Hirschfeld war einer der entscheidenden Pioniere für die trans* Geschichte, niemand in der frühen Sexualwissenschaft wirkte so prägend für trans* Menschen. Vor allem war er aber auch Kämpfer für homosexuelle Menschen und für deren Entkriminalisierung. Seine Rolle in der Eugenik muss man heute kritisch sehen, dazu kann ich aber ansonsten nicht viel sagen (siehe dazu z.B. den Abschnitt in seinem Wikipedia-Artikel). Über ihn gibt es mehrere Biographien, 2 möchte ich vorstellen. Zunächst heute von Manfred Herzer, erst 1992 und dann 2001 noch einmal in einer überarbeiteten Ausgabe erschienen in der »Bibliothek rosa Winkel« im MännerschwarmSkript Verlag.

64/366: Ralf Dose: Magnus Hirschfeld, 2005

Ein weitere Biographie über Magnus Hirschfeld schrieb Ralf Dose, einer der Mitbegründer der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft. Sie erschien 2005 im Verlag @hentrichhentrich in der Reihe »Jüdische Miniaturen«. Mit gerade mal 128 kleinformatigen Seiten eine schöne Lektüre, wenn nicht so viel Zeit ist.

Frühe trans* Geschichte

65/366: Robert Beachy: Das andere Berlin, 2015

Zum Abschluss der Epoche der frühen trans* Geschichte – 1933 jäh und gewaltsam gestoppt – möchte ich 2 geschichtliche Betrachtungen vorstellen. Den Anfang macht Robert Beachy mit seinem Werk »Gay Berlin« (englisch) bzw. »Das andere Berlin« (deutsch). Er erzählt die spannende Geschichte, warum gerade in Berlin und nirgendwo anders zwischen 1867 und 1933 die Homosexualität im modernen Sinn »erfunden« wurde. Dabei widmet er auch ein ganzes Kapitel dem Institut für Sexualwissenschaft und der dort kulminierenden frühen trans* Geschichte. Das Buch ist nicht nur voller historischer Quellen, sondern auch höchst lesenswert geschrieben.

66/366: Rainer Herrn: Schnittmuster des Geschlechts, 2005

Das 2. Buch zur Geschichte ist »Schnittmuster des Geschlechts« von Rainer Herrn, 2005 im Psychosozial-Verlag erschienen. Niemand hat so gründlich die frühe trans* Geschichte von ca. 1870 bis 1933 erforscht und ein vergleichbares Grundlagenwerk vorgelegt. Unbedingt lesenswert!

NS-Zeit

67/366: Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums, 1938

Bevor es mit der Nachkriegszeit weitergeht, möchte ich für einen Tag verharren und daran erinnern, wie viele Autor*innen und Bücher ab 1933 verboten waren. Heute liste ich die Autor*innen bisher vorgestellter Bücher auf, die in der »Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums« von 1938 standen. Neben jüdischen und vielen politischen Autoren waren eben auch viele Werke im Fokus, die sich mit Sexualwissenschaft, Homosexualität usw. beschäftigten. Die Auflistung ist nicht vollständig. Mehr siehe z.B. https://www.berlin.de/berlin-im-ueberblick/geschichte/berlin-im-nationalsozialismus/verbannte-buecher/

68/366: Michael Schwartz (Hrsg.): Homosexuelle im Nationalsozialismus, 2015

Zum Thema Trans* in der NS-Zeit gibt es fast keine Literatur. Eine der wenigen Arbeiten dazu stammt (wieder) von Rainer Herrn, das Buch »Homosexuelle im Nationalsozialismus« enthält einen Aufsatz von ihm mit dem Titel »In der heutigen Staatsführung kann es nicht angehen, daß sich Männer in Frauenkleidung frei auf der Straße bewegen«. Weitere Quellen sind hier zusammengetragen: https://sexualityandholocaust.com/blog/bibliography/

69/366: Bruno Stephan: German Girl Bruno, 2004

Ein autobiographischer Text ist mir noch eingefallen, der in die NS-Zeit weist. Und zwar »German Girl Bruno« von Bruno Stephan, 2004 im BellaVista-Verlag erschienen. Zur Qualität kann ich leider nichts sagen, ich erinnere mich nicht an die Lektüre. Der Klappentext (siehe 2. Foto) macht aber keinen guten Eindruck auf mich.

Exkurs: Ältere englischsprachige Autobiographien

70/366: Michael Dillon: Self, 2013 (1948)

Die Nachkriegszeit möchte ich mit einem thematischen Block beginnen: Frühe englischsprachige Autobiographien. Nach Kriegsende dauerte es fast 40(!) Jahre, bis es wieder Autobiographien von deutschsprachigen trans* Autor*innen gibt (soweit mir bekannt) – das verdeutlicht, was die NS-Zeit in diesem Bereich für Verwüstungen hinterlassen hat. Englischsprachige Autor*innen gab es jedoch schon viel früher.

Den Anfang macht heute ein Buch von Michael Dillon, dem ersten britischen trans Mann, der sich einer Phalloplastie unterzog. »Self« erschien 1948 und ist keine Autobiographie, aber ein Buch über Trans* von einer trans Person. Michael Dillon spielte in der britischen trans* Geschichte der Nachkriegszeit eine entscheidende Rolle, zusammen mit Roberta Cowell (zu ihr später mehr, siehe auch Wikipedia). Der hier gezeigte Reprint wurde 2013 veröffentlicht.

71/366: Roberta Cowell: Ich war ein Mann, 1954

Die 2. frühe britische Autobiographie hat Roberta Cowell geschrieben, die deutsche Ausgabe erschien 1954 unter dem Titel »Ich war ein Mann« (heute wäre es ein schrecklicher Titel, aber damals war die Wortwahl anders). 1952 machte die Geschichte von Christine Jorgensen weltweit Schlagzeilen, vermutlich war das eine günstige Zeit für solch ein Buch. (Auch Lili Elbes Buch erschien 1954 in Neuausgaben, siehe Nr. 52 und 53.) Das Buch ist interessant geschrieben und liest sich sehr flüssig.

Besonders spannend ist die Verbindung von Roberta Cowell und Michael Dillon (siehe gestern). Kurz nachzulesen in der engl. Wikipedia, oder höchst unterhaltsam aufbereitet im großartigen Podcast »One From The Vaults«, Folge 4: https://soundcloud.com/onefromthevaultspodcast/oftv-4-valentines-day-special

72/366: Robert Allen: But For The Grace, 1954

Ebenfalls im Jahr 1954 und ebenfalls in Großbritannien erschien »But For The Grace« von Robert Allen, eine Autobiographie eines trans Manns. Er wurde 1914 geboren und dem weiblichen Geschlecht zugeordnet, und 1944 konnte er seine offiziellen Papiere ändern. Mehr weiß ich aber nicht, das Buch habe ich noch nicht gelesen.

73/366: Georgina Turtle: Over The Sex Border, 1992 (1963)

Ursprünglich 1963 erschien die britische Studie »Over The Sex Border« über Trans* von Georgina Turtle. 1992 gab es dann einen Reprint der Studie, der eine Autobiographie der Autorin, nun verheiratet Somerset, vorangestellt war. Geboren 1923 mit uneindeutigen Geschlechtsmerkmalen, lebte sie die ersten 34 Jahre als Mann, u.a. in der Royal Navy im 2. Weltkrieg. Ab 1957 lebte sie als Frau, 1960 wurde ihre Geburtsurkunde korrigiert.

74/366: Harry Benjamin: The Transsexual Phenomenon, 1966

Heute statt einer Autobiografie chronologisch passend ein Fachbuch. Harry Benjamins »The Transsexual Phenomenon« von 1966 war das wichtigste Sachbuch zu Trans* seit Hirschfelds »Transvestiten« von 1910. Benjamin, 1885 in Berlin geboren und später in die USA ausgewandert, kannte Hirschfeld bereits seit 1907 und war mit seinem Werk bestens vertraut. Die akademische Entwicklung zu Trans* fand nach Kriegsende außerhalb von Deutschland statt, maßgeblich in den USA, Deutschlands Pionierrolle war vorbei.

75/366: Christine Jorgensen: A Personal Autobiography, 2000 (1967)

1967, ein Jahr nach Benjamins »The Transsexual Phenomenon« (siehe gestern) erschien die Autobiographie von Christine Jorgensen (1920–1989), der 2. trans Frau (nach Lili Elbe) mit weltweiter medialer Resonanz. 1952 war ihr Fall unter der Schlagzeile »Ex-GI becomes blonde beauty« durch die weltweite Presse gegangen und verschaffte dem Thema Trans* so viel Sichtbarkeit wie seit Lili Elbe nicht mehr. Sie wurde damit zu einer trans Pionierin und löste eine Welle an Hilfegesuchen an Ärzte wie Christian Hamburger und Harry Benjamin, die den modernen medizinischen Umgang mit Trans* maßgeblich prägten. Mehr zu ihr z.B. unter https://de.wikipedia.org/wiki/Christine_Jorgensen

Im Jahr 2000 erschien die hier gezeigte Neuausgabe mit einem Vorwort von Susan Stryker.

76/366: Canary Conn: Canary, 1974

Und damit springen wir schon in die 70er Jahre (mein Bestand an englischsprachiger Literatur ist lückenhaft). Unter dem Titel »Canary« veröffentliche die gleichnamige US-Amerikanerin Canary Conn 1974 ihre trans Autobiographie. Ich habe sie bislang nicht gelesen, kann daher leider nichts weiter dazu sagen. Die Texte auf der Titelseite bemühen aber sehr eindrücklich das Sensationelle und Dramatische der Geschichte – damals auch durchaus zutreffend. Das abgebildete Taschenbüchlein erschien 1977.

77/366: Jan Morris: Conundrum, 1974

Ebenfalls 1974 erschien »Conundrum«, die Autobiographie der trans Frau Jan Morris (* 1926, heute 93 Jahre alt). In ihrer männlichen Rolle begleitete sie als einziger Reporter die britische Mount-Everest-Expedition 1953 und war Autor von Reisebüchern und geschichtlichen Werken. Der Operateur der geschlechtlichen Angleichung war damals Georges Burou in Casablanca, dem Pionier der modernen Op-Technik für trans Frauen. (Gibt es eigentlich Literatur oder Biographisches über ihn?) Die deutschsprachige Ausgabe von »Conundrum« erschien 1975 und als Taschenbuch 1993.

78/366: Mario Martino: Emergence, 1977

3 Jahre nach »Canary« und »Conundrum« erschien 1977 »Emergence« von Mario Martino, einem US-amerikanischen trans Mann. (Ein-Wort-Titel waren offenbar beliebt.) Zum Inhalt kann ich erneut leider nichts sagen, da die Lektüre noch aussteht. Die reklamierte erste ftm-Story ist das Buch allerdings nicht, da bereits 1954 Robert Allens Autobiographie erschienen war (siehe #72). Auf dem hinteren Klappentext wird das Buch in eine Reihe mit den Werken von Harry Benjamin (#74), Christine Jorgensen (#75) und Jan Morris (#77) gestellt. Fun Fact: Mein Exemplar entstammt dem (ausgesonderten) Bestand einer Bibliothek der US Air Force auf deutschem Boden.

79/366: Duncan Fallowell und April Ashley: April Ashley’s Odyssey, 1982

Mit den 80ern möchte ich den Block zu älterer englischsprachiger trans* Literatur abschließen, da habe ich noch 3 Bücher im Angebot. Fangen wir an mit »April Ashley’s Odyssey«, geschrieben zusammen mit dem mir ihr befreundeten Duncan Fallowell und 1982 erschienen. April Ashley, geboren 1935, war auch eine Patientin von Georges Burou in Casablanca. Nach ihrer Transition war sie zunächst erfolgreiches Model, wurde dann aber als trans geoutet, und ihre Karriere war vorbei. Erst 2005, 45 Jahre später, konnte sie ihre Papiere korrigieren lassen.

80/366: Caroline Cossey: Tula, 1982

Eine ganz ähnliche Lebensgeschichte hat Caroline Cossey, 1954 in England geboren. Auch sie war nach ihrer Transition ein erfolgreiches Model, außerdem hatte sie eine kleine Nebenrolle im James Bond-Film »In tödlicher Mission«. Nachdem sie von einer Boulevardzeitung geoutet wurde, war ihre Karriere aber zerstört. Und auch ihr Buch »Tula« erschien 1982. Der Titel »I am a Woman« ist eine klare und programmatische Erwiderung auf den Boulevard-Artikel »James Bond Girl Was a Boy«. Mir legte es vor Jahren eine Freundin ans Herz, und ich konnte ein (ziemlich zerlesenes) Exemplar auftreiben. Dabei blieb es dann aber bis heute, auch dieses Buch harrt noch der Lektüre. Ein wichtiger Unterschied zu den letzten Büchern besteht jedoch: Caroline Cossey ist inter, nicht trans. Ich vermute aber, dass die Boulevardpresse der 80er Jahre da keinen großen Unterschied machte.

81/366: Renée Richards: Second Serve, 1983

Für 1983 habe ich noch ein Buch im Angebot, danach bin ich fertig mit den älteren englischsprachigen (Auto)biographien. 1983 erschien die (erste) Autobiographie von Renée Richards (* 1934), einer ehemaligen US-Tennisspielerin, unter dem Titel »Second Serve«. Nach einer Klage durfte sie 1977 bei den US Open als Frau teilnehmen, und erreichte 1979 Platz 20 der Damen-Weltrangliste. Später coachte sie Martina Navrátilova zu zwei Wimbledon-Siegen.

Die Geschichte wurde auch verfilmt, zumindest habe ich hier eine noch uralte VHS-Kassette herumstehen. Und 2007 veröffentlichte Renée Richards noch eine weitere Autobiographie unter dem Titel »No Way Renee«.

82/366: Renée Richards: No Way Renée, 2007

Wo ich es gestern nun schon erwähnt habe, möchte ich hier noch das 2. Buch von Renée Richards vorstellen. Es trägt den Titel »No Way Renée« und erschien 2007, 24 Jahre nach »Second Serve«.

83/366: Coccinelle, 1987

Das heutige Buch, 1987 erschienen, ist für meine Sammlung eine Ausnahme, denn es in französischer Sprache, und ich kann diese Sprache gar nicht. »Coccinelle« (1931–2006), zu deutsch »Marienkäfer« war vermutlich die berühmteste französische trans Frau. Sie gehörte 1958 zu den ersten Patientinnen von Dr. Burou in Casablanca und machte international Schlagzeilen. Schon Jahre vorher begann ihre erfolgreiche Show-Karriere im Pariser Nachtleben, später trat sie in Filmen und Revuen auf. Für Jahrzehnte war sie ein Rollenmodell für trans Frauen, in späteren Jahren engagierte sie sich auch für die trans* Community. 1987 veröffentlichte sie die hier gezeigte Autobiographie. Posthum widmete die Stadt Paris ihr eine Promenade.

Disclaimer: Ich habe alles unzulässig verkürzt aus der Wikipedia abgeschrieben 😉

Nachkriegszeit in Deutschland

84/366: Psyche, 1950, Frank Töpfer: Verstümmelung oder Selbstverwirklichung, 2012

Kehren wir nach unserem internationalen Ausflug wieder zurück nach Deutschland. Was war hier nach dem Krieg? Zu Trans* gab es vereinzelte Aufsätze in der Fachliteratur, dazu fehlt mir aber, so außerhalb der akademischen Welt lebend, der Zugang. Ein paar Zeitschriften sind mir aber mal zufällig über den Weg gelaufen.
Heute zunächst zum Blatt »Psyche« im Jahr 1950, in meinem laienhaften Verständnis möchte ich berichten (muss aber etwas ausholen). In jenem Jahr hatte es eine Fachtagung von Psychiater*innen und Neurolog*innen in Südwestdeutschland gegeben, auf der der Schweizer Psychiater Medard Boss einen Vortrag über Daseinsanalyse bei einer trans* Frau (ich verwende bewusst die heutige Terminologie) hielt, bei der er schließlich eine geschlechtsanpassende Operation befürwortet hatte. Darüber berichtete der in Heidelberg lehrende Alexander Mitscherlich in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift »Psyche« und nannte das Vorgehen »Verstümmelung«. Boss wiederum empfand sich als inakzeptabel dargestellt und veröffentlichte eine Erwiderung. Mitscherlich fragte nun 28 damalige Vertreter*innen der Zunft nach ihrem Standpunkt, mit 24 veröffentlichten Rückmeldungen.

Von dieser als Boss-Mitscherlich-Kontroverse hatte ich bis dato nie gehört, aber eine solche Auseinandersetzung aus dem Jahre 1950 ist natürlich allemal interessant. Wenn auch die Ansichten aus heutiger Sicht überwiegend schrecklich sind. Es waren keine guten Zeiten für trans* Menschen (aber wann waren sie das je …). Aber Hirschfeld war da jedenfalls schon mal weiter gewesen.

Unter dem Titel »Verstümmelung oder Selbstverwirklichung« veröffentlichte Frank Töpfer 2012 ein Buch, in dem im Wesentlichen alle noch existierenden Beiträge der Kontroverse abgedruckt sind. Transhistorisch also ein interessantes Werk, und auf die Ansicht, dass trans* Operationen eine Verstümmelung seien, trifft man bei manchen Menschen ja immer noch (wären sie nur nie hinter ihrem Stein hervor gekrochen).

85/366: Bürger-Prinz, Albrecht und Giese: Zur Phänomenologie des Transvestismus bei Männern, 1953

1953 erschien in den »Beiträgen zur Sexualforschung« Heft 3 mit dem Titel »Zur Phänomenologie des Transvestismus bei Männern«, die Autoren waren Bürger-Prinz, Albrecht und Giese. Wie in der Vorkriegszeit werden Kasuistiken von trans Frauen aneinandergereiht, inkl. dem ganzen Bündel an pathologischen Sichtweisen und Unverständnis der damaligen Zeit.

Das Heft endet wie folgt: »Überblickt man das ganze noch einmal, so ist doch bei allen Fällen, die wir darstellten, höchst eindrücklich, wie gleichförmig die Weisen der Ausfaltung, die Arten des Sichverhaltens bei den einzelnen Männern sind, und wie entscheidend die Rolle der Selbsttäuschungen in einem solchen Leben wird, bis zu welcher Einengung kritischen Vermögens diese Lebensgestalten gelangen und wie grotesk für den Betrachter die Diskrepanz zwischen glaubenshaftem, schwärmerischen Selbstbetrug und tatsächlicher körperlicher Verfassung werden kann.« Als so eine »groteske Lebensgestalt« möchte ich da nur ein gepflegtes »Ihr mich auch!« erwidern.

86/366: Johann M. Burchard: Struktur und Soziologie des Transvestitismus und Transsexualismus, 1961

Die gleiche Zeitschrift wie gestern noch einmal: 1961 erschien in den »Beiträgen zur Sexualforschung« erneut eine Ausgabe zu Trans*. Diesmal »Struktur und Soziologie des Transvestitismus und Transsexualismus« von Johann M. Burchard.

Ich erinnere mich nicht, ob bzw. wann ich es gelesen habe. Und jetzt haben mir der verschwurbelte Anfang und der ganze pathologische Mist in der Zusammenfassung das Interesse an einer erneuten Lektüre auf Anhieb vergällt. Der letzte Absatz (2. Foto) ist jedenfalls kein Deut besser als gestern, in den fast 10 Jahren seit dem gestrigen Buch hatte sich offenbar herzlich wenig verändert.

87/366: Claus Overzier: Die Intersexualität, 1961

Ein ganz anderes Fachbuch aus dem Jahr 1961 ist »Die Intersexualität«, herausgegeben von Claus Overzier. Da ich mich beim Thema Literatur zu Inter* nicht so auskenne, kann ich es nicht weiter einordnen. Das Buch, das sich an medizinisches Fachpersonal richtet, ist aber ein wuchtiger Brocken, 560 Seiten stark, mehr als 1,5 kg schwer. Und 119 DM waren 1961 ziemlich viel Geld für ein Buch. In den Beiträgen, für medizinisches Fachpersonal werden alle möglichen Varianten von Inter* vorgestellt und diskutiert.

Nachkriegszeit: Romane und Biographien

88/366: Warwick Deeping: Heute Adam, morgen Eva, 1954

Schauen wir nach dem eher unangenehmen Blick in die Fachliteratur der Nachkriegsjahre lieber ins schöne Fach. Das heutige Buch, der Roman »Heute Adam, morgen Eva« von Warwick Deeping, liegt mir in einer Bertelsmann-Ausgabe von 1954 vor, wie ich aber gelernt habe, erschien es im englischsprachigen Original bereits 1907, unter dem Titel »The Return Of The Petticoat«. Der englische Schriftsteller Warwick Deeping (1877–1950) schrieb über 60 Unterhaltungsromane, und bereits 1907 diese Novelle, in der die Hauptfigur eine Frau ist, die als Mann lebt (es klingt also nach einem trans* Mann, aber dieses Konzept in unserem heutigen Verständnis existierte zu diesem Zeitpunkt noch nicht). Ich mag das Cover im Stil der 50er-Jahre-Moderne.

88/366: Harald Budde: Zwischen Bett und Sofa, 1994

Es gibt auch biographisch gefärbte Romane oder Autobiographien, in denen man etwas über Trans* in der Nachkriegszeit erfährt. So auch im heutigen schmalen Band »Zwischen Bett und Sofa oder Vom Mythos der Nachkriegsjahre« von Harald Budde, erschienen 1994. Mehr zum Inhalt siehe Klappentext (2. Foto).

(Wer merkt es?)

89/366: Helga F. und Sabine Weigand: Helga, 2016

Eine Autobiographie, die ebenfalls etwas weiter in die Vergangenheit reicht, ist »Helga«, 2016 erschienen, geschrieben von Helga F. (sie ist trans Frau) und Sabine Weigand. Helgas Leben beginnt 1931 in Nürnberg. Das Buch ist 2017 auch in einer Sonderausgabe der Bundeszentrale für politische Bildung erschienen – endlich habe ich hier mal ein Buch, das nicht seit Jahrzehnten vergriffen ist 😉. Aber wie man im Prolog sehen kann: Selbst 2016 wird Geschlecht über Genitalien und Op definiert, das Narrativ vom »falschen Körper« ist quicklebendig, und es muss auch gleich der alte Name fallen. Warum?

90/366: Vera Freyberg: Manns genug, Frau zu sein, 2003

Eine weitere Autobiographie einer älteren trans Frau ist »Manns genug, Frau zu sein« von Vera Freyberg, die 2003 erschien. Vera wurde 1926 geboren und gehörte 1981 zu den ersten, die das TSG in Anspruch nahmen (das damals eine deutliche Verbesserung der rechtlichen Situation für trans* Menschen war).

Damit wäre das erste Quartal meines Projektes für 2020 geschafft, 90 Bücher habe ich bislang vorgestellt. Und immer noch sind wir nicht wesentlich über die Nachkriegszeit hinausgekommen: So viel trans* Literatur existiert!

91/366: Daniel Paul Schreber: Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken, 1973

Heute ein Klassiker zur Psychiatriegeschichte. Daniel Paul Schreber (1842–1911), Sohn von Moritz Schreber (dem wir die Schrebergärten verdanken), schaffte es beruflich bis zum Gerichtspräsidenten im sächsischen Freiberg. Heute ist er vor allem für die »Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken« bekannt, die 1903 erschienen, eine von ihm selbst verfasste Fallstudie einer psychotischen Erkrankung. Insgesamt verbrachte er 14 Jahre in Heilanstalten. Mit der Deutung seines Aufzeichnungen befassten sich Größen wie C. G. Jung, Freud und Canetti. Meine Taschenbuchausgabe stammt von 1973, daher stelle ich sie jetzt vor,

Was hat dieses Buch hier zu suchen? Nun, in seinen psychotischen Schüben hatte Schreber auch wiederholt Phasen, wo er sich als weiblich empfand. Und in der Differenzialdiagnostik wurde (wird?) bei Trans* immer auch genannt, dass psychotische Erkrankungen ein Ausschlusskriterium seien. Mehr als einmal habe ich mich gefragt, welche Rolle die bekannten Aufzeichnungen von Schreber dabei spielten, dass das Bild von trans* Menschen ein so furchtbar pathologisches war und z.T. noch immer ist.

80er Jahre: Autobiographien

92/366: Erich Amborn: Und dennoch Ja zum Leben, 1981

Von den 70ern in die 80er Jahre. Heute die 1. deutschsprachige Autobiographie, 1981 erschienen. Der Schweizer Erich Amborn (pseud.) schrieb im Buch »Und dennoch Ja zum Leben« Lebenserinnerungen als inter* Person in den Jahren 1914 bis 1933 halb biographisch, halb literarisch, auf. Damals waren »Korrekturen« des Geschlechts immer mal wieder Thema in der Presse. Die Identität von Amborn konnte bis heute nicht geklärt werden.

93/366: Christa Geibel: Im falschen Körper gefangen, 1983

Das nächste Buch aus den 80ern: »Im falschen Körper gefangen« von Christa Geibel, erschienen 1983 bei Heyne. Seit der letzten deutschen trans* Autobiographie – der von Lili Elbe – waren 51(!!) Jahre vergangen. Leider ist die Lebensgeschichte eines der schlimmsten, die ich je gelesen habe (jedenfalls in meiner Erinnerung, die Lektüre ist vielleicht 15 Jahre her). Wie der total reißerische Einband und erst recht die Rückseite zeigen, wird kein Klischee ausgelassen. Soviel zum öffentlichen Bild von trans* Menschen in Deutschland in den 80ern.

94/366: Renate Anders: Grenzübertritt, 1984

Sehr viel behutsamer in der Sprache und reflektierter (wenn ich mich richtig erinnern kann) ist die nächste trans Autobiographie »Grenzübertritt« von Renate Anders, 1984 erschienen bei @sfischerverlage. Wenn ihr etwas aus den 80ern lesen wollt, dann nehmt dieses Buch.

95/366: Erik/Erika Schinegger: Mein Sieg über mich, 1988

Aus den späten 80ern habe ich noch eine Autobiographie gefunden. Erik Schinegger war als Erika eine bekannte und erfolgreiche Skifahrerin aus Österreich. Sie errang 1966 und 1967 internationale Titel in der Alpinen Skiweltmeisterschaft und im Weltcup. Mit der Einführung von Geschlechtstests vor den Olympischen Spielen von Grenoble wurde festgestellt, dass sie über männliche Chromosomen verfügt. Danach änderte seinen Vornamen in Erik und ließ sich operieren.

1988 erschien die Lebensgeschichte unter dem Namen »Mein Sieg über mich«. Sowohl 2005 als auch 2018 gab es eine filmische Aufarbeitung, ebenso gibt es aus dem Jahr 2018 eine erneute Autobiographie.

96/366: Kirsten Nilsson: Vom Hitlerjungen zu Domina, 2017

Ich möchte eine Nachkriegsbiographie nachreichen, die mich erst jetzt erreicht hat. »Vom Hitlerjungen zu Domina« von Kirsten Nilsson klingt eher furchteinflößend, andererseits waren die gesellschaftlichen Räume damals sehr eng, allzu viele berufliche Alternativen neben dem Rotlicht gab es wohl nicht. Kirsten wurde 1931 geboren, fand ab den späten 50ern ihren Platz als »Damenimitator« (so hieß das damals, liebe Kinder!) und ließ sich 1964 in Casablanca operieren.

Das Buch ist 2017 erschienen, herausgegeben vom @forummuenchenev, vielen Dank an euch! Es liegt auf dem Lesestapel, denn interessant klingt die Geschichte auf jeden Fall!

Bildbände

97/366: Anno Wilms: Transvestiten, 1978

Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre erschienen erstaunlich viele Bildbände mit trans* Menschen, das Thema muss damals eine mediale Aufmerksamkeit gehabt haben. In dieser Zeit entstand ja auch das TSG, mit entsprechendem Druck von Betroffenen, inkl. einiger Medienberichte (mir liegen einige Fachaufsätze und Publikumszeitschriften aus der Zeit vor). Die Bildbände von damals möchte ich in den nächsten Tagen vorstellen.

Den Anfang macht das mit Abstand größte Buch meiner Bibliothek, es hat gewaltige Ausmaße. »Transvestiten« von Anno Wilms erschien 1978. Auf vielen großformatigen Seiten werden trans* Menschen in ästhetischen Schwarzweiß-Fotografien gezeigt. Das Buch beginnt mit einer kleinen Einführung von Werner Düggelin mit uralten Zitaten aus Bürger-Prinz’ Aufsatz von 1953 (siehe #85). Im aufgeklappten Zustand ist das Buch fast einen Meter breit, damit sprengt es auch die üblichen Maße großformatiger Coffee Table Books 😮 – zum Größenvergleich ein zeitgenössischer Spiegel (Bild 5).

98/366: Susann Hillebrand und Irmgard Johannson: Charlotte. Salome. Veronika. Transvestiten, 1978

Ein weiterer Bildband, ebenfalls aus dem Jahr 1978, ist »Charlotte. Salome. Veronika. Transvestiten« von Susann Hillebrand und Irmgard Johannson. Im Buch werden 3 trans* Personen in Fotos und Interviews porträtiert. Charlotte war Jahrgang 1900(!) und bei Erscheinen des Buches 78 Jahre alt, Salome 22 und Veronika 26. In ihren Fragen zeigen die beiden Autorinnen wirkliches Interesse an ihren Gesprächspartnern, das Buch kommt ohne platten Voyeurismus aus – bei diesem Thema gerade damals alles andere als üblich. Dementsprechend sind auch die Fotos nicht besonders »geglättet« (keine Ahnung, wie man das am besten ausdrückt).

99/366: Andrej Reiser: Wen interessiert denn schon mein Elend, 1979

1979 erschien der Bildband »Wen interessiert denn schon mein Elend« von Andrej Reiser. Der Ansatz ist sehr ähnlich zum gestrigen Buch, aber ich finde die Fragen und Fotos deutlich voyeuristischer (so jetzt vom Reinschauen). Im Buch werden trans Frauen aus St. Pauli in zahlreichen, überwiegend schwarzweißen Fotos porträtiert, mit einer Frau gibt es ein Interview. Am Ende folgt ein (pathologisch übel verschwurbelter) Essay über Trans*. (Leider hab ich keine besseren Fotos vom Buch mit dem schlechten Licht am Abend hinbekommen, sorry.)

100/366: Die bizarre Welt der Transsexuellen in Wort und Bild, 1980

Für Buch Nummer 100 machen wir mal die unterste Schublade auf. Als Sieger im Preis um das mieseste trans Buch meiner Sammlung haben wir heute einen heißen Anwärter: »Die bizarre Welt der Transsexuellen in Wort und Bild« von 1980 aus dem Stephenson-Verlag (vom damaligen Versandhaus Beate Uhse) ist so etwa das Kondensat des schlechtestmöglichen Klischees, was 1 sich von Trans* machen kann. Das Thema wird hier auf pornographische Bilder von trans Frauen reduziert, die ihren Penis ins Bild halten. Das ist schon sehr einseitig. Bäh. Doch die Gleichsetzung von trans Frauen mit dem abwertenden und v.a. im pornographischen Umfeld verwendeten Begriff »Shemale« ist garantiert heute noch in vielen Köpfen zu finden.

101/366: Barry Kay: Die anderen Frauen, 1976

Der nächste Bildband! Barry Kay (1932–1985) war ein australischer Bühnen- und Kostümbildner, der in seinen späteren Jahren auch als Fotograf arbeitete. Im Bildband »Die anderen Frauen« von 1976 porträtierte er australische trans* Frauen v.a. aus Sydney. Die Schwarzweiß-Fotos wirken unaufdringlich und respektvoll, und der einführende Test ist differenziert. Geht doch!

102/366: Hans Falk: Transvestie, 1985

Im Jahr 1985 erschien der Bildband »Transvestie« von Hans Falk, ein opulentes und schön gestaltetes Buch. Es enthält zum einen Texte über Trans*: Die über die Menschen mag ich auf die Schnelle nicht einschätzen, die über Trans an sich sind 80er-Jahre-wir-werfen-alles-zusammen-Schwurbel – was gern geschieht, wenn man Trans* eher als perfomative Kunstform betrachtet. Viel interessanter ist der Bildteil: Zeichnungen von Hans Falk aus der trans\ Community von New York.

Frühzeit: Ergänzungen

103/366: Fedor: Die Zofe, ca. 1920

Mit den Bildbänden aus den 70er und 80er Jahren sind wir erstmal durch. Als Kontrapunkt zum größten Buch vor einigen Tagen heute ein kräftiger Sprung in die Vergangenheit zum kleinsten Buch, es ist kleiner als A6. Schätzungsweise ca. 1920 und unter dem Pseudonym »Fedor« erschien ein obskures Büchlein mit dem Titel »Die Zofe«. Und ja, es geht um einen Mann, der in die Frauenrolle schlüpft. Der Rest ist eher pornographisch und explizit, sowohl sprachlich als auch in den Illustrationen, aber so richtig aus dem Klischeebaukasten. Die Themen: Ein zurückgewiesener junger Mann, der Crossdressing nur betreibt, um einer Frau näher zu kommen, Spannen aka. Verletzung von Intimsphäre, die Ansicht, dass eine lesbische Frau nur mal richtigen Sex mit einem Mann braucht, Vergewaltigung uvm. Das sind also ziemlich alte Narrative.

104/366: Memoiren der Ritterin d’Eon, ca. 1900

Heute ein weiterer Nachtrag bei den ganz alten Werken, ein Neuzugang aus dem Februar. Die »Memoiren der Ritterin d’Eon« erschienen ungefähr 1900 im Memoiren-Verlag Bern und sind eine Neuausgabe eines Werks von 1867. Ich glaube, damals hatten sie es noch nicht so mit dem Urheberrecht. Erzählt wird die Geschichte – wie der Titel schon verrät – von Chevalier(e) d’Eon (1728–1810), einer der frühesten bekannten trans* Personen (siehe auch #2/366). Historisch korrekt wird das Buch kaum sein, aber allemal interessant. Ganz wunderbar ist der Jugendstil-Einband, er allein rechtfertigte für mich eigentlich schon den Kauf des Buches.

105/366: Gregor Samarow: Ritter oder Dame, 1878

Und noch ein kleines Stück gen Vergangenheit, wieder geht es um Chevalier(e) d’Eon. Diese Person muss damals eine Faszination ausgeübt haben, so dass eine ganze Reihe von biographischen Texten entstanden sind. Auch in deutscher Sprache gab es einige, so eine Biographie von Frédéric Gaillardet, 1837 in deutscher Übersetzung erschienen (siehe #2), dann 1867 das gestern vorgestellte Buch, und außerdem noch eine Novelle »Ritter oder Dame« von Gregor Samarow, 1878 erschienen. Das ist das heutige Buch – und damit das älteste Werk in meiner Sammlung. Mit einem wunderbaren Exlibris.

60er--80er Jahre. Wissenschaft

106/366: Paul J. Gillette: Abartiges Sexualverhalten, 1967, R. E. L. Masters: Abnorme Triebhaftigkeit, 1969

Es waren einmal 2 ältere populärwissenschaftliche Bücher von 1966 in meiner Sammlung, die mehr oder weniger ausführlich Trans* thematisieren (eines auf ca. 100, eines auf ca. 10 Seiten), aber eher weniger sympathisch. Die Titel sind »Abartiges Sexualverhalten« von Paul J. Gillette und »Abnorme Triebhaftigkeit« von R. E. L. Masters. Kommen euch die Titel auch so richtig unsympathisch vor?
»Populärwissenschaftlich« sind die Bücher offenbar in dem Sinn, dass man die Pathologisierungen der Wissenschaft, die Vorurteile der Gesellschaft und den Voyeurismus des allgemeinen Publikums verwob.

Und dann entdeckte ich, dass das eine ganze Serie dieser Werke ist (siehe 2. Foto), zu einem ganzen Reigen von sexuellen Themen. Inwieweit sie der Aufklärung dienten und inwieweit eher dem Voyeurismus, vermag ich nicht zu beurteilen. Betrachten wir sie wohlwollend als Dokumente ihrer Zeit.

107/366: Gunter Schmidt, Volkmar Sigusch, Eberhard Schorsch (Hrsg.): Tendenzen der Sexualforschung, 1970

Hier warten jetzt ein paar unerquickliche ältere Bücher aus der Sexualwissenschaft, und ich möchte meiner Chronistinnenpflicht nachkommen und sie vorstellen. Heute ein Buch von 1970, es heißt »Tendenzen der Sexualforschung« und enthält auch mehrere Aufsätze zu Trans*, außerdem sind viele der Autoren im trans* Kontext bekannt bzw. wurden es später. Eine besonders unrühmliche Rolle sollte John Money noch bei der Behandlung von inter* Personen spielen (der »Fall« David Reimer, kommt hier noch dran).

108/366: Alfred Springer: Pathologie der geschlechtlichen Identität, 1981

Beim heutigen Buch findet sich die Pathologisierung schon im Titel. »Pathologie der geschlechtlichen Identität« von Alfred Springer, einem österreichischen Psychoanalytiker, erschien 1981. Homosexualität und Trans* werden munter in einen Topf geworfen, ersteres aber nur am Rand explizit thematisiert. Das Buch ist meines Wissens die erste deutschsprachige Monographie zu Trans* seit Hirschfeld, erschien also ca. 70(!) Jahre später. Schwerpunkt sind psychotherapeutische Überlegungen. Welche Relevanz das Buch dadurch in der Wissenschaft spielte, weiß ich nicht, kann mir aber vorstellen, dass es eine große Lücke füllte und die pathologische Sicht auf Trans* verfestigte. Springer hält beharrlich daran fest, trans* Personen psychotherapeutisch zu behandeln, hormonelle und chirurgische Maßnahmen (etc.) hält er nicht für sinnvoll. Ächz. Im Erscheinungsjahr des Buches trat übrigens in Deutschland das TSG in Kraft, dass für die Änderung des Personenstands eine Operation forderte, in Österreich war die Rechtslage ab 1983 ähnlich. Erstaunlich, wie weit entfernt davon Springers Position war.

109/366: Martin Wollschläger: Fetischismus, Transvestismus, Transsexualität, Homosexualität, 1983

Es wird nicht besser. 1983 erschien die Dissertation von Martin Wollschläger mit dem Titel »Fetischismus, Transvestismus, Transsexualität, Homosexualität«. Die Zusammenstellung der 4 Begriffe lässt schon ahnen, unter welchem Gesichtspunkt Trans* hier betrachtet wird, nämlich als »sexuelle Perversion«. Ich habe keine Lust, mich diesem Unsinn weiter zu widmen.

110/366: Karin Désirat: Die transsexuelle Frau, 1985

So, da müsst ihr heute nochmal durch. Ich habe noch so ein Prachtstück aus den 80ern, nämlich »Die transsexuelle Frau« von Karin Désirat, erschienen 1985. So lobenswert der Ansatz der Autorin ist, Trans* in der bis dato in der Wissenschaft kaum sichtbaren Richtung Frau-zu-Mann zu betrachten ... der Buchtitel disqualifiziert augenblicklich. Wie kann Désirat denn den Wesenskern von trans* Menschen so komplett ignorieren? Und zu allem Überfluss ist sie in ihrem Fazit operativen Maßnahmen gegenüber skeptisch. Stattdessen sucht sie die Gründe bei den Eltern, schwierigen Familienkonstellationen und mangelnden Identifizierungsmöglichkeiten.

Die Musik der 80er war toll, aber für trans* Menschen sah es ziemlich düster aus.

Exkurs: Trans* in der DDR

111/366: Siegfried Schnabl: Mann und Frau intim, 1980, 1982

Zeitlich passend zu den 70er und 80er Jahren möchte ich mich in den nächsten Tagen einem Thema widmen, zu dem bislang wenig geforscht wurde und nur spärliche Quellen vorliegen: Trans* in der DDR. Es gibt aktuell eine Wissenschaftlerin, die sich damit beschäftigt, aber schauen wir mal, welche Bücher ich hier habe. Allen gemeinsam ist, dass Trans* nur am Rand erwähnt wird, es existiert keine Monographie dazu.

Zunächst ein in der DDR populärer Ratgeber zu Sexualität und Ehe, »Mann und Frau intim« von Siegfried Schnabl. Das Buch erschien erstmalig 1969 und dann in 18 Auflagen bis 1990. Mir liegen die 13. und 15. Auflage von 1980 bzw. 1982 vor, beide unverändert seit 1969. In einem kleinen Abschnitt bei den »Deviationen« wird auch Trans* behandelt, nicht ohne die Klischees wie damals auf der anderen Seite der Mauer. Bemerkenswert finde ich aber das Schlusszitat des Moskauer Endokrinologen Aron Belkin, dem wohl profiliertesten Trans*-Forscher der Sowjetunion: »Die Änderung des Geschlechts ist in solchen Fällen ein humaner, sozial gerechtfertigter Akt.« (siehe 3. Bild).

112/366: Lykke Aresin und Erwin Günther: Sexualmedizin, 1985

Kommen wir zu einem DDR-Fachbuch der 80er Jahre, nämlich »Sexualmedizin« von Lykke Aresin und Erwin Günther von 1985. Es richtete sich an Medizinstudenten. Dort gibt es ca. 10 Seiten zu Intersexualität und 4 zu Trans*. Für die Therapie werden ganz pragmatisch die (damals) funktionierenden Ansätze vorgestellt. Natürlich stecken in den Seiten auch die typischen Vorurteile der Zeit, aber mir erscheint die Pathologisierung nicht so extrem wie bei Springer & Co.

113/366: Reiner Werner: Homosexualität, 1987

Im Jahr 1987 erschien das Buch »Homosexualität« von Reiner Werner, das erste populärwissenschaftliche Werk in der DDR zu diesem Thema. Darin finden sich auch kleine Abschnitte zu Trans*. Und auch hier fällt mir wieder eine – bei allen Klischees – grundsätzlich menschenfreundliche Haltung auf: »Wir warnen dringend davor, ignorant, spöttisch oder arrogant mit der Transsexualität umzugehen. Die psychosozialen Leiden der Betroffenen übertreffen Schmerzen körperlich Erkrankter oft erheblich.«

114/366: Justin Time und Jannik Franzen (Hrsg.): trans*_homo, 2012

Und nun zur angesprochenen Wissenschaftlerin, die bisher weitgehend als einzige zu Trans* in der DDR publiziert hat. Ich spreche von Ulrike Klöppel, die sich auch mit inter* Geschichte beschäftigt (hat?). Im Sammelband »trans*_homo« von 2012, herausgegeben von Justin Time und Jannik Franzen, gibt es einen Aufsatz von Ulrike Klöppel über die rechtliche Verfügung der DDR zu Trans* von 1976 (4 Jahre vor dem TSG!). Leicht gekürzte Fassungen des Textes erschienen mehrfach, u.a. in der Broschüre »Auf nach Casablanca« von 2019 des Landes Berlin.

Charlotte von Mahlsdorf

115/366: Jürgen Lemke: Ganz normal anders, 1989

Es gibt noch einige sehr marginale Erwähnungen von Trans* in der DDR, aber das würde zu weit führen. Stattdessen möchte ich euch in den nächsten Tagen einige Literatur zur bekanntesten trans Frau der DDR vorstellen: Charlotte von Mahlsdorf (1928–2002). Ob nun Lothar, Lottchen oder Charlotte … ich glaube, sie wollte sich eindeutigen Zuschreibungen nicht unterwerfen. Hier möchte ich sie Charlotte von Mahlsdorf nennen.

Es gibt bereits ein DDR-Buch, in dem sie auftaucht. 1989, also kurz vor der Wende, erschien »Ganz normal anders« von Jürgen Lemke. Darin sind auf jeweils ca. 20 Seiten autobiographische Texte von schwulen Männern in der DDR versammelt. Ein Kapitel ist von Charlotte von Mahlsdorf: »Ich bin meine eigene Frau. Lothar, geboren 1927, Konservator«, in dem sie den Buchtitel ihrer späteren Autobiographie bereits vorwegnimmt.

116/366: Charlotte von Mahlsdorf: Ich bin meine eigene Frau, 1992

Charlotte von Mahlsdorfs Autobiographie habe ich gestern bereits angedeutet, sie erschien 1992 unter dem Titel »Ich bin meine eigene Frau«. Charlotte von Mahlsdorf erzählt aus ihrem Leben über mehrere geschichtliche Epochen hinweg, und auch über ihre Passion, das Gründerzeitmuseum. Dass ich das Buch gelesen habe, ist schon eine halbe Ewigkeit her, daher vermag ich nicht mehr zu sagen.

117/366: Charlotte von Mahlsdorf: Ab durch die Mitte, 1994

Von Charlotte von Mahlsdorf erschien 1994 noch ein weiteres Buch – ein kleiner Streifzug durch ihr Berlin von damals. Es ist voller Erinnerungen und Anekdoten an eine Hauptstadt, die so nicht mehr existiert. Irgendwann möchte ich »Ab durch die Mitte« mal nachspazieren, als einstiges Mitte-Kind. Mir liegen 2 Ausgaben des Buches vor, deutlich schöner illustriert ist die der Edition diá.

118/366: Das Gründerzeitmuseum Mahlsdorf, 1993

Heute ein Buch, das nur am Rande etwas mit Charlotte von Mahlsdorf zu tun hat – und andererseits wiederum viel, da es das Museum ohne sie nicht gäbe. 2006 war ich zu Besuch, die alten Musikgeräte waren spannend. Irgendwann fiel mir der hier gezeigte Museumskatalog des Gründerzeitmuseums von 1993 in die Hände. Auch diesen Ort möchte ich gern einmal wieder besuchen.

119/366: Gabriele Brang: Charlotte von Mahlsdorf, 2004

Ich kenne 3 biographische Bücher zu Charlotte von Mahlsdorf, als erstes möchte ich das von Gabriele Brang vorstellen. Es erschien 2004 in der Reihe »Berliner Köpfe« im Jaron-Verlag. Das Buch versammelt Erinnerungen von Zeit- und Weggenossen an Charlotte.

120/366: Peter Süß: Nichts darf sinnlos enden!, 2006

Dann wollen wir mal weitermachen, wir waren bei Charlotte von Mahlsdorf stehengeblieben. 2006 erschien von Peter Süß ein weiterer biographischer Text über sie – und über das Theaterstück mit dem Titel ihrer Autobiographie.

121/366: Ilse Kuppelmayer: Das ungewöhnliche Leben der Charlotte von Mahsldorf, 2011

Aus dem Jahr 2011 stammt das Buch »Das ungewöhnliche Leben der Charlotte von Mahsldorf« von Ilse Kuppelmayer mit einem Schwerpunkt auf dem Gründerzeitmuseum in Berlin.

122/366: Doug Wright: I Am My Own Wife, 2004

Ein anderes Theaterstück, über das Leben von Charlotte von Mahsldorf, »I Am My Own Wife« von Doug Wright, wurde 2004 in den USA aufgeführt und später mit Preisen bedacht, in Deutschland durfte es aus Titelschutzgründen aber nicht unter diesem Titel aufgeführt werden. Davon liegen mir 2 Textfassungen vor.

Waltraud Schiffels

123/366: Waltraud Schiffels: Im Rock, 1990

In den frühen 90er Jahren war Waltraud Schiffels wohl die bekannteste transsexuelle Frau Deutschlands, sie war in den Massenmedien präsent und engagierte sich für die Community. Von ihr erschienen mehrere Bücher. Die Erzählung »Im Rock« war 1990 ihr erstes Buch. Es handelt von trans* Erlebnissen in einem Club an einem Abend …

124/366: Waltraud Schiffels: Frau werden, 1992

Von der literarischen Erzählung zum authentischen Selbstzeugnis: Waltraud Schiffels Autobiographie »Frau werden« erschien 1992, 2 Jahre später. In den 90er Jahren steigt die Zahl der trans* Autobiographien stark an, Schiffels’ ist einer der ersten davon. So genau kann ich mich an den Inhalt allerdings nicht mehr erinnern – nur an die deutliche Verknüpfung von Trans* und BDSM im Buch.

125/366: Waltraud Schiffels: Ich bin zwei, 1993

Das dritte Buch von Waltraud Schiffels heißt »Ich bin zwei«, erschien 1993, und ist die Aufzeichnung eines Gesprächs mit ihr über Literatur und Trans*.

90er Jahre: Autobiographien

126/366: Sandra Mara Herzer: Ich, Anderson Bigode, 1990

Fangen wir mit den trans* Autobiographien an, davon gab es in den 90ern eine ganze Reihe. 1990 erschien »Ich, Anderson Bigode« von Sandra Mara Herzer, in Brasilien wurde ihre/seine Lebensgeschichte sehr populär.

127/366: Janye-Ann Igel: Fahrwasser, 1991

Aus dem Jahr 1991 stammt der schmale Band »Fahrwasser. Eine innere Biographie in Ansätzen« von Janye-Ann Igel. Da ich es noch nicht gelesen habe, kann ich aber nichts weiter dazu sagen.

128/366: Petra Dorén: Vom Fresko zum Straps, 1994

Im Jahr 1994 erschien die Autobiographie »Vom Fresko zum Straps« von Petra Dorén, aufgezeichnet von Michael Meissner. Zur Abwechslung mal etwas aus dem Bereich Travestie.

129/366: Rose Tremain: Die Umwandlung, 1994

Ok, das ist keine Autobiographie, sondern ein Roman, trotzdem führe ich den hier mit auf. 1994 erschien erstmalig »Die Umwandlung« der britischen Schriftstellerin Rose Tremain, ein Roman über einen trans Mann im England der 50er bis 80er Jahre.

130/366: Rose Tremain: Die Verwandlung der Mary Ward, 2014

Es gab 2 Neuauflagen des Romans, zuletzt 2014 im Suhrkamp-Verlag unter dem Titel »Die Verwandlung der Mary Ward«. Dass der Verlag auch 2014 im Titel noch misgendert, ist allerdings traurig.

131/366: Anja Meister: Fremd im eigenen Körper, 1994

Ebenfalls aus dem Jahr 1994 stammt das Buch »Fremd im eigenen Körper« von Anja Meister, erschienen im Heyne-Verlag. Es geht um die Biographie eines trans Manns. Das Buch enthält alle Zutaten und Narrative der 90er. Der Deadname steht auf dem Titel, ebenso wie das Wort »Geschlechtsumwandlung«. Der Erfahrungsbericht ist »erschütternd«, »bewegend« und »schonungslos«, und trans zu sein ist eine Qual. In dieser Zeit bin ich trans-sozialisiert worden, und es ist angesichts dessen kein Wunder, dass ich so viele Jahre brauchte.

132/366: Judith Hodosi: Grenzgänge, 1995

Aber auch Selbst- und Kleinverlage waren bei den Autobiographien häufig. Ersteren merkt man durchaus das Fehlen eines Lektorats an, auch Schreibfehler und schlechte Typographie kommen häufiger vor. Auch beim Buch »Grenzgänge« von Judith Hodosi aus dem Jahr 1995 ist das tendenziell der Fall, doch diese Autobiographie einer trans Frau hatte es mir damals angetan. Zu einer Zeit, in der DDR-Vergangenheitsbewältigung zum großen Teil aus Ostalgie bestand, bot dieses Buch einen ganz anderen Blick auf die Verhältnisse, wenn man in der DDR nicht angepasst war.

133/366: Simone-Yvonne von Budzyn: Vom Supermann zur super Frau

Ganz anders kommt die Autobiographie »Vom Supermann zur super Frau« von Simone-Yvonne von Budzyn daher, die 1996 erschien. Schon der Titel ist eher Selbstvergewisserung, dass der trans Weg der richtige war.

134/366: Kai-Wolfgang Hansmann: Als Mann endlich glücklich, 1996

Eine weitere Autobiographie eines trans Manns ist »Als Mann endlich glücklich« von Kai-Wolfgang Hansmann von 1996.

135/366: Fernanda Farias De Albuquerque, Princesa, 1996

In Brasilien und Italien spielt die nächste trans Autobiographie. Für nicht wenige trans Frauen war Prostitution ein Weg, um zu überleben, dieses Buch von 1996 ist ein Beispiel dafür. Es trägt den Titel »Princesa«, die Autorin heißt Fernanda Farias De Albuquerque.

136/366: Beat Zemp: Mädchenjahre eines Mannes

Ebenfalls 1996 erschien die Lebensgeschichte des trans Manns Beat Zemps aus der Schweiz unter dem Titel »Mädchenjahre eines Mannes«, aufgeschrieben von Georges Winter.

137/366: Marion Holl: Seele im Spagat, 1997

In den trans* Bücherlisten der 90er Jahre hatte Marion Holls Autobiographie »Seele im Spagat« von 1997 einen festen Platz. Diese hatte es auch in einen etwas größeren Verlag geschafft, Gatzanis aus Stuttgart, die professionelle Gestaltung fällt gleich auf. Ich selbst hatte Ende der 90er die Gelegenheit, eine Lesung von Marion Holl in der Stuttgarter SHG zu besuchen.

138/366: Marion Holl: Seele im Abgrund, 2010

Marion Holl hat 2010 ein weiteres Buch »Seele im Abgrund« veröffentlicht, das die Flucht vor einer Verfolgung evangelikaler Hardliner beschreibt. Ich habe es bislang nicht gelesen, kann zum Inhalt daher nichts sagen.

139/366: Rosalin: Eine Frau, geboren im Op, 1997

Wieder alle Klischees bedient das Cover der Autobiographie »Eine Frau, geboren im Op« von Rosalin, erschienen in der Reihe »Erfahrungen« bei Bastei Lübbe. Entgegen der reißerischen Aufmachung habe ich den Inhalt aber als recht lesenswert in (dunkler) Erinnerung.

140/366: Saskia Schulz: Ich möchte wieder Eisblumen sehen, 1998

Die trans Autobiographie »Ich möchte wieder Eisblumen sehen« von Saskia Schulz aus dem Jahr 1998 habe ich in eher schlechter Erinnerung. Eben habe ich noch einmal darin herumgeblättert, meine einzige Empfehlung lautet: Finger weg! Unreflektiert, frei von Selbstkritik und v.a. sind immer die Anderen schuld. Darauf reagiere ich allergisch.

141/366: Jaquelin G.: Ich habe viel geliebt, 1999

Dieses Buch ähnelt von den Ausgangsbedingungen »Princesa«. »Ich habe viel geliebt« von Jaquelin G. erschien 1999, die trans Lebensgeschichte mit Stationen auf der Straße in Venezuela, Spanien und der Schweiz hat Verena Mühlberger aufgeschrieben.

142/366: Angelique Nagel: Wer wird als Frau denn schon geboren, 1999

Eine weitere Autobiographie einer trans Frau im Eigenverlag ist »Wer wird als Frau denn schon geboren. Man(n) wird zur Frau doch erst gemacht« von Angelique Nagel, erschienen 1999 und in der Titelwahl mit deutlichem Anklang an Simone de Beauvoir. An den Inhalt kann ich mich nicht mehr erinnern, aber Titelbild, Untertitel und die Ankündigung weiterer 3 Bände, die meines Wissens nie erschienen sind, erscheinen recht selbstbewusst.

143/366: Romy Haag: Eine Frau und mehr, 1999

Eine der bekannten Cabaret- und Showgrößen in (West)Berlin und Deutschland auf den Bühnen der 70er und 80er Jahre war vermutlich Romy Haag. Sie kam aus Den Haag, war Sängerin und Tänzerin, mit David Bowie liiert und mit Udo Lindenberg auf Tournee, sie hatte einen Nachtclub und trat in vielen Filmen auf. Und sie ist trans Frau. Ihre Autobiographie »Eine Frau und mehr« erschien 1999 im Quadriga Verlag.

144/366: Alexandra: Ich war ein Mann, 1992

Einen Nachzügler habe ich noch für die trans* Autobiographien der 90er, heute mit der Post eingetroffen und originalverpackt(!). 1992 erschien unter dem Pseudonym »Alexandra« der Lebensbericht »Ich war ein Mann«, laut Klappentext geht es um Trans*, Rotlicht, Drogen und Gefängnis.

145/366: Holde-Barbara Ulrich und Thomas Karsten: Messer im Traum, 1994

In den 90er Jahren sind neben Autobiographien auch etliche Sach- und Fachbücher zu trans* Themen erschienen, ungleich mehr als zuvor, und aus den unterschiedlichsten Gebieten. Den Anfang soll ein Klassiker machen, der irgendwo zwischen den Autobiographien und den Sachbüchern seinen Platz findet: »Messer im Traum« von Holde-Barbara Ulrich und Thomas Karsten, erschienen 1994 im Konkursbuch-Verlag. Im Buch werden 13 trans Personen mit ihren Lebensgeschichten in Text und Bild vorgestellt, berührend und würdevoll, aber keine leichte Kost. Auch 25 Jahre nach dem Erscheinen kann ich das Buch empfehlen, mehr unter http://lili-elbe.de/messerimtraum

90er Jahre: Wissenschaft

146/366: Wolf Eicher: Transsexualismus, 1992

Gleich mehrere Bücher zu Trans* (im Wesentlichen Transsexualität) erschienen in wissenschaftlichen Fachverlagen, v.a. von Sexualwissenschaftlern und Medizinern, i.d.R. mit sehr ähnlichen kurzen Titeln. Den Anfang macht »Transsexualismus« von Wolf Eicher, erstmalig 1984 erschienen, 1992 dann in einer 2. Auflage. Das Buch enthält auf knapp 200 Seiten ungefähr den damals üblichen »Wissensstand« mit einem Schwerpunkt auf den Operationstechniken. Es fand sich damals in jeder Literaturliste und hatte vermutlich wesentlichen Einfluss auf die Fachwelt und die Community.

147/366: Uwe Hartmann: Sexuelle Störungen, 1991

Im schmalen Band »Sexuelle Störungen« von Uwe Hartmann, 1991 erschienen, findet sich ein kleines Kapitel »Der Umgang mit Transsexuellen in der Praxis« der Psychiaterin Claudia Rüffel. 2002 ist Uwe Hartmann mit einem furchtbar pathologisch geprägten Buch zu Trans* noch einmal in Erscheinung getreten.

148/366: Friedemann Pfäfflin und Astrid Junge (Hrsg.): Geschlechtsumwandlung, 1993

Das Buch »Geschlechtsumwandlung«, herausgegeben von Friedemann Pfäfflin und Astrid Junge, erschien 1993 und versammelt auf 450 Seiten diverse Aufsätze von Autoren, die fast alle auch noch mit eigenen Büchern in Erscheinung traten: Maria-Sabine Augstein, Stefan Hirschauer, Gesa Lindemann, Annette Runte, Manfred Steinkühler und Michael R. Will. Der Schwerpunkt des Buches liegt im nichtmedizinischen Bereich, mit fast 300 Seiten geht der Löwenanteil davon auf eine kommentierte Literaturübersicht der (damals) letzten 30 Jahre.

149/366: Friedemann Pfäfflin: Transsexualität, 1992

Bereits 1992 erschien von Friedemann Pfäfflin das Buch »Transsexualität«, es könnte seine Habilitationsschrift sein. Zu dem Zeitpunkt hatte er schon fast 15 Jahre trans* Personen als Psychiater »behandelt«. Pfäfflin war in den 90ern einer der einflussreichsten Wissenschaftler zum Thema Trans* im deutschsprachigen Raum. Ich meine mich dunkel zu erinnern, dass ich Ende der 90er einen Vortrag von ihm in Stuttgart oder so gehört habe.

150/366: Ulrich Clement und Wolfgang Senf (Hrsg.): Transsexualität, 1996

Und noch ein oranges Werk aus dem Schattauer-Verlag, diesmal »Transsexualität«, herausgegeben von Ulrich Clement und Wolfgang Senf von 1996. Ähnlich wie das Werk von Eicher (#146), der auch ein Kapitel beisteuert, enthält das Buch auf ca. 120 Seiten einen Überblick zu etlichen trans* Fachthemen. Zielgruppe sind alle, die von Berufs wegen mit Trans* zu tun haben, d.h. Mediziner, Psychologen, Psychiater und Psychotherapeuten, Juristen. Auch das TSG und zum ersten Mal die Standards of Care (in englisch in einem Entwurf von 1990) sind abgedruckt.

151/366: Christiane Spehr: Probleme der Transsexualität und ihre medizinische Bewältigung, 1997

Das 1997 erschienene Büchlein »Probleme der Transsexualität und ihre medizinische Bewältigung« von Christiane Spehr möchte ich nicht unterschlagen, auch wenn es keine 40 Seiten stark ist. Christiane Spehr war Pionierin für die Techniken geschlechtsangleichender Operationen in Deutschland, sie gibt einen kurzen und durchaus empathischen Überblick über das Thema und skizziert die Operationsverfahren (mtf, ftm). Friedemann Pfäfflin steuert einen Beitrag zu rechtlichen und psychiatrischen Aspekten bei, und von der trans Frau Daniela Huber stammen ein paar autobiographische Zeilen.

152/366: Johannes Kemper: Sexualtherapeutische Praxis, 1992

Im Doppelband »Sexualtherapeutische Praxis« von 1992 gibt es ein Kapitel zu Trans*, geprägt von einem stark pathologischen Blick.

153/366: Volkmar Sigusch: Geschlechtswechsel, 1992

Bemerkenswert war 1992 der Band »Geschlechtswechsel« des Sexualwissenschaftlers Volkmar Sigusch. Erstmals äußerte sich jemand aus der Liga der »Professionellen« kritisch zum bisherigen Umgang mit trans* Menschen und geht mit seiner Profession deutlich ins Gericht. Selbstkritik ist in diesen Reihen ein rares Gut, das macht dieses Buch zu etwas Besonderem. Eine der ersten Stimmen wider die pathologische Sicht. 1995 erschien auch noch eine Taschenbuchausgabe.

90er Jahre: Ratgeber

154/366: Barbara Kamprad, Waltraud Schiffels (Hrsg.): Im falschen Körper, 1991

Schauen wir uns als nächstes die trans Ratgeber der 90er Jahre an. 2 Werke ragen heraus, sie waren vermutlich auf Jahre hinaus die beste Erstinformation für Betroffene und Interessierte (das Internet als Quelle gab es ja noch nicht). Der 1. Ratgeber erschien 1991 unter dem Titel »Im falschen Körper. Alles über Transsexualität«, herausgegeben von Barbara Kamprad und Waltraud Schiffels (siehe #123 bis #125). Auf 240 Seiten sind Lebensgeschichten und Infos zur juristischen Situation, medizinischen Maßnahmen und der therapeutischen Begleitung usw. von zahlreichen Autor*innen zusammengestellt. Auch für mich war das damals eines der ersten Bücher, die ich zu Trans\ las.

155/366: Birgit Bader, Ben Behnke und Christin-Susan Back: Das dritte Geschlecht, 1995

Der 2. relevante trans* Ratgeber der 90er war »Das dritte Geschlecht. Transsexuelle, Transvestiten und Androgyne» von Birgit Bader, Ben Behnke und Christin-Susan Back, erschienen 1995. Auch dieses Buch hat 240 Seiten, wovon etwa 2/3 für biographische Texte und 1/3 für den Ratgeberteil verwandt wurden. Interessanterweise haben beide Bücher einen Titel, mit dem wir uns heute doch sehr schwer tun würden.

156/366: Karin Hertzer: Mann oder Frau, 1999

Recht populär war das 1999 erschienene Sachbuch »Mann oder Frau. Wenn die Grenzen fließend werden.« von Karin Hertzer. Viele lobten es, ich mochte es nicht. Das bunte Potpourri von kurzen Abschnitten zu allen möglich Themen rund um Geschlechtsvarianz fand ich sehr oberflächlich. Auf durchschnittlich 2 Seiten geht es z.B. um Androgynität, Dana International, Berdaches, Päpstin Johanna, Intersex, die DDR, Bartentfernung, Coming Out uswusf. Ihr merkt vielleicht diese eher wahl- und lieblose Aneinanderreihung von Zutaten. Vielleicht hat(te) das Buch ja seinen Platz als Heranführung an Trans*.

157/366: Helma Katrin Alter: Gleiche Chancen für alle, 1999

Ebenfalls 1999 erschien »Gleiche Chancen für alle« von Helma Katrin Alter, damals Vorsitzende der dgti, soweit ich weiß. Es ist Ratgeber für Betroffene und Reflexion über Trans* in Deutschland. Auch dieses Buch mochte ich nicht so sehr. Den Ratgeberteil fand ich ganz ok, den Rest eher nicht. Mehr siehe http://lili-elbe.de/alter1999

158/366: Penelope: Lebensansichten einer gepflegten Tunte, 1997

Ganz anders kommt das Büchlein »Lebensansichten einer gepflegten Tunte« von Penelope daher, 1997 im Querverlag erschienen. Voll kluger Selbstironie und augenzwinkender Tipps stöckelt Penelope durch ein Dasein en femme. Die Lektüre habe ich als amüsant in Erinnerung, beim Durchblättern muss ich auch jetzt schmunzeln, das kann man immer noch gut lesen! Mehr siehe http://lili-elbe.de/penelope1997

90er Jahre: Weitere Sachbücher

159/366: Leon Kaplan: Das Mona Lisa Syndrom, 1990

Kommen wir zu weiteren Sachbüchern, jetzt eher querbeet. Die 90er Jahre waren eine Zeit, in der man für trans* und andere menschliche Eigenschaften Ursachen im Gehirn, hormonellen Prägungen und in den Genen suchte, und einer der Vertreter war Leon Kaplan, dessen Buch »Das Mona Lisa Syndrom. Männer, die wie Frauen fühlen.« 1990 erschien. Breiten Raum nimmt Homosexualität ein, die aus hormonellen Prägungen während der Schwangerschaft erklärt wird. Und auch Trans* kommt auf ein paar Seiten vor, mit einer ebensolchen Erklärung. Möglicherweise ist etwas daran, aber das ausschließliche Stochern in Genen, Hirnen und Hormonen kommt mir doch wie ein biologistischer Kurzschluss vor.

160/366: Stefan Hirschauer: Die soziale Konstruktion der Transsexualität, 1993

Aus der komplett entgegengesetzten Richtung argumentiert die Soziologie, da erschienen in den 90ern 2 wissenschaftliche Werke zu Trans*. Eines ist »Die soziale Konstruktion der Transsexualität« von Stefan Hirschauer, 1993 bei Suhrkamp erschienen. Zur Soziologie habe ich nie wirklich Zugang gefunden, daher kann ich nicht mehr dazu sagen. Das Buch ist auch heute noch erhältlich, siehe http://lili-elbe.de/hirschauer1993

161/366: Gesa Lindemann: Das paradoxe Geschlecht, 1993

Ebenfalls im Jahr 1993 erschien »Das paradoxe Geschlecht« von Gesa Lindemann, die sich auch aus Sicht der Soziologie mit Trans* auseinandersetzt. Hier gilt für mich das Gleiche: Die Disziplin ist mir fremd geblieben, daher kann ich nicht mehr dazu sagen. 2011 gab es eine Neuausgabe, ansonsten mehr Infos siehe http://lili-elbe.de/lindemann1993

162/366: Tonia Schachl: Transsexuell – eine sichtbare Bewegung ins Unsichtbare, 1997

Aus dem Jahr 1997 stammt das wissenschaftliche Werk »Transsexuell – eine sichtbare Bewegung ins Unsichtbare« von Tonia Schachl. Die Autorin reflektiert aus Sicht der Psychologie über Trans* und Interviews mit mehreren trans* Personen.

163/366: Marjorie Garber: Verhüllte Interessen, 1993

Ein ziemlicher Brocken ist das Buch »Verhüllte Interessen. Transvestismus und kulturelle Angst.« der amerikanischen Literaturwissenschaftlerin Marjorie Garber, 1993 in deutscher Sprache erschienen. Sie widmet sich auf über 600 Seiten Crossdressing in allen Facetten.

164/366: Susanne Benedek und Adolphe Binder: Von tanzenden Kleider und sprechenden Leibern, 1996

3 Jahre später, im Jahr 1996 erschien »Von tanzenden Kleider und sprechenden Leibern. Crossdressing als Auflösung der Geschlechterpolarität?« von Susanne Benedek und Adolphe Binder, ebenfalls eine literaturwissenschaftliche Reflexion zu Crossdressing, in einem kleinen Kapitel geht es auch um trans* Filme.

165/366: Rudolf Dekker und Lotte van de Pol: Frauen in Männerkleidern, 1990

Im Laufe der Geschichte gab es immer wieder Frauen (oder zumindest afab), die als Männer auftreten, oft um der engen weiblichen Rolle zu entfliehen. Das 1990 in deutscher Sprache erschienene Buch »Frauen in Männerkleidern. Weibliche Transvestiten und ihre Geschichte.« von Rudolf Dekker und Lotte van de Pol, Historiker*innen aus Rotterdam, beschäftigt sich mit ihnen. Das Personenverzeichnis zählt 120 Einträge.

166/366: Gertrud Lehnert: Wenn Frauen Männerkleider tragen, 1997

In Ihrem Buch »Wenn Frauen Männerkleider tragen« von 1997 beschäftigt sich Gertrud Lehnert mit Crossdressing und anderen trans* Phänomenen in Geschichte und Literatur, und auch hier gibt es ein (kleines) Kapitel zu Filmen.

167/366: Élisabeth Badinter: Ich bin Du, 1994, XY. Die Identität des Mannes, 1993

Die französische Philosophin und Feministin Élisabeth Badinter gehörte zu denen, die sich mit dem Anfang der 90er Jahre populären Thema Androgynität beschäftigte. So auch in den beiden hier vorgestellten Büchern »Ich bin Du«, 1994 in deutscher Sprache erschienen, und »XY. Die Identität des Mannes« von 1993.

168/366: Johanna Kamermans: Mythos Geschlechtswandel, 1992, Künstliche Geschlechter, 1995

In den 90er Jahren erschienen 2 Bücher der niederländischen trans Frau Johanna Kamermans, sie heißen »Mythos Geschlechtswandel« (1992) und »Künstliche Geschlechter« (1995). Kamermans vertritt darin die fragwürdige These, dass Transsexualität eine Strategie zur Homosexualitäts-Vermeidung sei.

169/366: Carla Meyer: Vertauschte Geschlechter – Verrückte Utopien, 1995

Aus dem Jahr 1995 stammt das Buch »Vertauschte Geschlechter – Verrückte Utopien. Geschlechtertausch-Phantasien in der DDR-Literatur der siebziger Jahre.« von Carla Meyer. Das ist zugegebenermaßen sehr speziell (wie es Dissertationen häufiger an sich haben), aber für meine Bibliothek allemal interessant 🙂. Und es zeigt, wie vielfältig Sachbücher zu Trans* in den 90er Jahren wurden.

170/366: Doris Claudia Mandel: Die Zähmung des Chaos', 1999

Ein Sachbuch zu Trans* aus den 90ern habe ich noch: »Die Zähmung des Chaos’« von Doris Claudia Mandel, erschienen 1999. Auf ca. 550 eng bedruckten Seiten (+ ca. 100 Seiten Fußnoten und Literatur) setzt sie sich philosophisch mit Transsexualität auseinander. Allerdings in völlig unlesbarer Form, jedenfalls für mich. Falls jemand von euch das Buch gelesen hat und mehr als ich sagen kann: Bitte melden! Dass auf dem Umschlag »Essay« steht, kann ich jedenfalls nur ironisch deuten.

90er Jahre: Kinder- und Jugendbücher

171/366: Peter Pohl: Nennen wir ihn Anna, 1991

Das 2. Jugendbuch heißt »Nennen wir ihn Anna« und stammt vom schwedischen Autor Peter Pohl. Es erschien ursprünglich 1986 in Schweden, 1991 dann in einer deutschen Übersetzung. Die Geschichte spielt in den später 50ern in einem schwedischen Sommerferienlager. In einer von pubertären Jugendlichen geprägten Atmosphäre hat es der schmächtige Andreas schwer, einige Jungs beginnen ihn »Anna« zu nennen. Das Mobbing entwickelt eine verhängnisvolle Dynamik. Das Buch ist bestürzend und auch heute noch gut zu lesen, für ein paar Euro ist es antiquarisch erhältlich. Mehr auf meiner Website: http://lili-elbe.de/pohl1991

172/366: Hisashi Yamanaka: Du bist ich und ich bin du, 1993

Nach den Biographien und Sachbüchern möchte ich mit trans* Belletristik der 90er Jahre weitermachen. Auch hier wurden Angebot und Vielfalt erheblich größer als in den Jahren zuvor. Zu Beginn 2 Jugendbücher, die im weiteren Sinn hier hineinpassen. Vom japanischen Schriftsteller Hisashi Yamanaka stammt »Du bist ich und ich bin du«, bereits 1980 in Japan erschienen, aber erst 1993 in deutscher Sprache. Die Story: Der 12-jährige Kazuo ist ein ganz durchschnittlicher Junge, aber nach einem Rempler sind plötzlich sein und der Körper der gleichaltrigen Kazumi vertauscht. Verwirrungen und Verwicklungen sind die Folge. Dabei werden ihnen allmählich die Rollenerwartungen an Jungs und Mädchen bewusst und entwickeln mehr Verständnis für das andere Geschlecht. Also eine typische Rollentausch-Komödie, jugendgerecht aufbereitet.

173/366: Anne Fine: Bills neues Kleid, 1993

Ein Kinderbuch (8+) aus den 90ern möchte ich heute vorstellen, »Bills neues Kleid«, von Anne Fine, 1989 im Original und 1993 in deutscher Sprache erschienen (von ihr stammt übrigens auch »Mrs. Doubtfire«). Bill Simpson wacht am Montagmorgen auf und stellt fest, dass er plötzlich ein Mädchen ist. Unter Protest zieht ihm seine Mutter ein rosa Kleid an, und er erlebt die Welt ganz anders, wird auf einmal ganz anders behandelt. Ein Fettnäpfchen folgt auf das nächste, und für Bill ist das alles ganz schön schwierig. Zum Glück hält dieser Spuk nur einen Tag an! In kindgerechter Weise und flotter Sprache zeigt uns das Buch ein Geschlechterstereotyp nach dem anderen, und wie schwer es ist, daraus auszubrechen. Wunderbar illustriert von Gabriele Kernke.

90er Jahre: Belletristik

174/366: Anne Fine: Mrs. Doubtfire, 1994

Wie das letzte Buch stammt auch das heutige mit dem Titel »Mrs. Doubtfire« von Anne Fine – offenbar hatte sie ein Faible für das Thema Trans*. Die meisten kennen sicher den gleichnamigen wunderbaren Film von 1993 mit Robin Williams in einer seiner Paraderollen. Er basiert auf Anne Fines Buch (wenn auch verändert).

175/366: Rita Mae Brown: Wie du mir, so ich dir, 1990

Bereits 1982 erschien das Buch »Southern Discomfort« von Rita Mae Brown in den USA, meine Taschenbuchausgabe mit dem deutschen Titel »Wie du mir, so ich dir« ist von 1990. Ein amüsanter Roman, der in den 20er Jahren in den US-Südstaaten spielt. Von den zwei Hauptfiguren ist eine trans*.

176/366: John Irving (2 Bücher)

In John Irvings Romanen tauchen fast immer trans* Figuren auf, beispielhaft seien hier genannt: »Garp und wie er die Welt sah«, 1979 erstmals erschienen, und »Zirkuskind« von 1994.

177/366: Sibylle Berg: Amerika, 1999

1999 erschien »Amerika« von Sybille Berg. 4 Figuren suchen das Glück. Eine davon, Bert, wollte eine Schönheits-Op im Gesicht, nach dem Aufwachen stellt sich aber heraus, dass er eine geschlechtsangleichende Op bekommen hat. Das ist eher mäßig lustig und zudem schon Plot eines Romans, der ein Jahr eher erschienen war (siehe 178/366).

178/366: David Thomas; Girl, 1999

Von David Thomas erschien 1998 der Roman mit dem kurzen Titel »Girl« (1995 im englischen Original, 1999 als Taschenbuch). Der Plot: Bradley sollten die Weisheitszähne gezogen, stattdessen erhielt er eine geschlechtsangleichende Op, und muss sich in ein neues Leben finden.

In der cis Logik wird er mit der Op zur Frau, und auch die Silikonbrüste dürfen für das Klischee nicht fehlen. Das war eine meiner ersten Begegnungen mit trans* Büchern, heute finde ich ich die Story … plump.

179/366: Leopoldo Azancot: Verboten, 1993

Erotische Literatur aus Spanien mit einer »Transvestitin« Esther (wohl eher eine trans Frau). Bereits 1980 im Original erschien »Verboten« von Leopoldo Azancot, das Buch war ein Teil der kulturellen Befreiung der Post-Franco-Ära Spaniens. Die deutsche Übersetzung erschien 1991 bzw. 1993 als hier gezeigtes Taschenbuch.

180/366: Mary Flanagan: Das Begehren der Anderen, 1997

»Das Begehren der Anderen« von Mary Flanagan von 1997 (englisches Original) bzw. 1998 (deutsche Übersetzung) ist ein weiterer Roman mit erotischem Anteil, diesmal geht es (laut Klappentext) im Paris der 30er Jahre um Adèle, die inter* ist. Letzteres ist vermutlich nur Projektionsfläche für die Phantasien der Autorin und hat nichts mit trans* oder inter* Realität zu tun (bitte korrigiert mich, wenn ich falsch liege, ich habe das Buch nicht gelesen).

181/366: Mário de Sá-Carneiro: Lucios Geständnis, 1997

Bereits 1914(!) erschien der Roman »Lucios Geständnis« des portugiesischen Schriftstellers Mário de Sá-Carneiro. Mit einer Femme Fatale, erotischen Phantasien und dem Spiel mit Geschlechterrollen (soweit ich es mir zusammenreimen kann). Die deutsche Taschenbuchausgabe stammt von 1997.

90er Jahre: Krimis

182/366: Juan Madrid: Der Schein trügt, 1993

Ursprünglich bereits 1981 erschien »Der Schein trügt« von Juan Madrid, die deutschsprachige Taschenbuchausgabe im Jahr 1993. der Klappentext nennt »Transvestiten« als Bestandteil des Madrider Nachtlebens, gemeint sind vermutlich trans* Frauen.

183/366: Michael Unger: Tod eines Paradiesvogels, 1993

Der Krimi »Tod eines Paradiesvogels« von Michael Unger erschien 1993. Neben den Nachwehen der deutschen Einheit geht es offenbar auch um Travestie in Berlin.

184/366: Magdalen Nabb: Tod einer Quuen, 1994

Von Magdalen Nabb erschien 1990 »Tod einer Queen«, 1994 dann die hier gezeigte deutschsprachige Taschenbuchausgabe. Offenbar sind trans Sexarbeiterinnen umgebracht worden, diesmal in Florenz. Im Buch wird von »Transvestitenmorden« gesprochen und misgendert. Das typische trans* Narrativ in Krimis, schrecklich.

185/366: Donna Leon: Venezianische Scharade, 1996

Donna Leon hat zahlreiche Krimis geschrieben und ist bekannt für ihre Brunetti-Romane. 1994 erschien »Venezianische Scharade. Commissario Brunettis dritter Fall.«, die deutschsprachige Übersetzung 1996. Hier werden Mord, Trans*, Prostitution und Drogen zusammengeworfen, diesmal in Venedig. Das Buch wurde 2000 verfilmt, mit Joachim Król in der Hauptrolle. Der Film ist genauso stereotyp.

186/366: Susan Geason: Fish vor die Hunde, 1997

Aus dem Jahr 1997 (übersetzt und als Taschenbuch) bzw. 1991 (Original) erschien »Fish vor die Hunde« der australischen Schriftstellerin Susan Geason. Wieder mal ist die trans Frau »Transvestit« (und zwar im ersten Satz des Buches) und mit Sexarbeit verbunden, im Unterschied zu anderen Krimis stirbt sie zur Abwechslung aber nicht sofort, und das Setting ist in Sydney angesiedelt. So allmählich frage ich mich bei den ganzen Krimis, ob die im Original schon eine so schreckliche Sprache verwenden, oder ob das die Übersetzer*innen zu verantworten haben.

187/366: Marele Day: Der letzte Tango der Dolores Delgado, 1997

Ebenfalls aus dem Jahr 1997 (übersetzt und als Taschenbuch) bzw. 1992 (Original) stammt »Der letzte Tango der Dolores Delgado« der australischen Schriftstellerin Marele Day. Auch dieser Krimi spielt in Sydney, und irgendwas mit Trans* ist Thema (was genau, weiß ich nicht).

188/366: Nicholas Blincoe: Acid Killers, 1998

»Acid Killers« ist der Debütroman von Nicholas Blincoe und ist von 1998 bzw. im englischen Original von 1995. Hier ist wohl eine trans Frau Auftragsmörderin, die Story spielt in Manchester.

189/366: Nino Filastò: Alptraum mit Signora, 1998

Ebenfalls 1998 erschien »Alptraum mit Signora« von Nino Filastò, einem italienischen Schriftsteller, das Original stammt von 1990. In seiner Reihe zu Avvicato Scalzi ist dies der 2. von 6 Krimis und spielt in Florenz. Und wie so oft dient die trans Frau nur als Opfer, ihr Tod ist die Ausgangssituation des Buches, im Klappentext als »schöner Transvestit« bezeichnet. Würg.

190/366: Alf Rolla: Die Eintagsfliege, 1999

Im Jahr 1999 erschien »Die Eintragsfliege«, der erste Roman von Alf Rolla, einem Kölner Autoren. Der Klappentext verweist auf »die Welt der Transsexualität«, Ausgangspunkt der Geschichte ein politisches Attentat in Köln. Es der einzige Krimi hier, der als Book on Demand veröffentlicht wurde.

191/366: Pernille Rygg: Der Schmetterlingseffekt, 1999

Aus dem hohen Norden stammt der nächste Krimi, »Der Schmetterlingseffekt« ist das Debüt der norwegischen Schriftstellerin Pernille Rygg von 1995, die Taschenbuchausgabe hier erschien 1999. Der Partner der Hauptfigur, der Psychologin Igi Heitmann, umgibt sich wohl gern mit trans* Menschen (was auch immer gemeint ist). Ich habe das Buch nicht gelesen.

192/366: Gail Bowen: Der Campus-Mord, 1999

Und jetzt greifen wir nochmal in die Klischeekiste. Von Gail Bowen, einer kanadischen Schriftstellerin, erschien 1996 im Original und 1999 in der Übersetzung der Krimi »Der Campus-Mord«. Und wie geht es los? Ein Professor einer kanadischen Universität wird tot und in Frauenkleidern aufgefunden.

90er Jahre: Historische Romane

193/366: Donna W. Cross: Die Päpstin, 1996

193/366 · In den 90er Jahren erschienen die ersten historischen Romane, die in irgendeiner Weise mit Trans* zu tun haben, meistens in Form eines Rollentauschs. (Zumindest habe ich bislang keine früher erschienenen entdeckt.) Die Legende um die Päpstin Johanna, die sich als Mann ausgab, wurde literarisch häufig verarbeitet. So auch im Roman »Die Päpstin« von Donna W. Cross von 1996. Der Stoff spielt im 9. Jahrhundert im Frankenreich.

194/366: Gary Jennings: Der Greif, 1995

Im Original von 1992 (bzw. die deutschsprachige Taschenbuchausgabe von 1995) stammt »Der Greif« von Gary Jennings. Im Europa des 6. Jahrhunderts ist der Gote Thorn, ein Hermaphrodit, unterwegs, sagt der Klappentext. Was sich dahinter verbirgt, kann ich nicht sagen, aber vielleicht hat jemand von euch die 800 Seiten gelesen und weiß mehr 😉

195/366: (Michael Stein): Die vertauschten Geschwister, 1994

Aus einer völlig anderen Ecke kommt der nächste Roman, »Die vertauschten Geschwister« erschien 1994, übertragen von Michael Stein. Er spielt im Japan des 12. Jahrhunderts, wo der Romanstoff ursprünglich bereits entstand. Der Name verrät bereits, worum es geht.

Vermischtes

196/366: Inea Gukema-Augstein: Der intime Blick, 2008

Über einen Text im Nollendorfblog stieß ich auf einen Artikel über Sabine Maria Augstein, die unschätzbar viel für die trans* Community in Deutschland geleistet hat (siehe https://www.welt.de/print-welt/article711929/Vom-Mann-zur-Frau-Maria-Sabine-Augstein.html und https://twitter.com/lilielbe/status/1396752804694405128).

Passend dazu möchte ich mit einem Bildband die Buchreihe #366transbuecher mit Nr. 196/366 fortsetzen. „Der intime Blick“ ihrer Partnerin Inea Gukema-Augstein ist der Begleitband zu einer Fotoausstellung über Sabine Maria Augstein von 2008. Neben 20 s/w-Fotografien enthält das Buch auch 2 Texte über Maria Sabine Augstein und über Trans* – beide wirken sprachlich schon ziemlich aus der Zeit gefallen, obwohl keine 15 Jahre alt.

197/366: Gilbert Oakley: Man into Woman, 1964

Den Weg über den Ärmelkanal hat jüngst dieses interessante alte Buch zu mir gefunden. Es heißt (wie auch Lili Elbes Buch aus den 30ern) »Man into Woman« (mit einem langen Untertitel, siehe Cover) und stammt von Gilbert Oakley, einem damals in Großbritannien wohl populären Ratgeberautor. Es ist wohl eine Mischung aus Sachbuch, fiktionaler Biographie und Ratgeber für und über trans* Personen – von 1964! Wenn ich es richtig verstehe, sind die Texte darin aus vielen Einzelfällen zusammengefasst. Und natürlich ist es voll mit den Klischees und Pathologisierungen der Zeit, aber grundsätzlich trans-positiv, würde ich sagen. Mehr habe ich noch nicht im Buch herumgelesen, da es leider ziemlich muffig riecht 😞

198/366: Kate Bornstein: Hello, Cruel World, 2006

Selbsthilfe für Menschen, die sich in der Gesellschaft nicht zu Hause fühlen, bietet Kate Bornstein im Büchlein »Hello, Cruel World. 101 Alternatives to Suicide for Teens, Freaks, and Other Outlaws.« von 2006 an. Nach dem furchtbaren Suizid einer trans Frau in Berlin vor einigen Tagen vielleicht eine Empfehlung, wenn es dir nicht gut geht. Kate Bornstein ist ein*e non-binary Künstler*in und Aktivist*in, they gehört zu den seit vielen Jahren profiliertesten und sichtbaren Vorkämpfer*innen für »unsereins«.

199/366: Ralph Pettow: Der krankhafte Verkleidungstrieb, 1922

Als 199. Buch möchte ich euch das 99 Jahre alte Werk »Der krankhafte Verkleidungstrieb. Beiträge zur Erforschung der Transvestie.« von Ralph Pettow vorstellen. Das Werk von 1922 stand schon einige Jahre auf meiner Suchliste, nun konnte ich endlich ein Exemplar finden. Mit gerade mal 77 Seiten ist es ein schmaler Band, aber etwas Besonderes: Nach Hirschfelds Pionierwerk »Die Transvestiten« ist dies das wohl einzige Buch in den 20er Jahren, das sich explizit Trans* widmet (daneben gab es noch einen Aufsatz von Lothar Goldmann von 1925, der in einem Sammelband erschien, wohl aber auch als eigenständiger Druck), damit wohl die 2. Monographie zu Trans* überhaupt (zumindest auf Deutsch).

Pettows Definition von Trans* am Anfang des Buches ist im Gegensatz zum Titel nicht mal pathologisierend: »Als Transvestie ist zu definieren das auf Grund eines psychologischen Zwangs erfolgende perpetuelle oder temporär-periodische Ablegen der dem Geschlecht oder der Altersstufe nach allgemeinem Brauch zukommenden und Anlegen einer diesen Voraussetzungen nicht entsprechenden Kleidung. […] Vor allem ist daran festzuhalten, daß von echter Transvestie nur dann die Rede sein kann, wenn sie auf Grund eines unwiderstehlichen, inneren Triebes auftritt und somit das in ihrer Macht befindliche Subjekt zur Vornahme der sonderbaren Kleidungsänderung psychisch zwingt, und zwar mit dem Effekt, daß der psychischen die physische Umwandlung entspricht. Das heißt, daß das betreffende Individuum sich nicht nur äußerlich, sondern ebenso seelisch mit jeder Faser verwandelt fühlt. Dies letztere ist der springende Punkt […]«

Die Sprache ist der Zeit entsprechend umständlich, und der Wechsel wird nur an der Kleidung festgemacht (mit körperliche Anpassungen fing man da erst in sehr experimentellen Maß an), aber ansonsten ist die Beschreibung doch sehr zutreffend.

Aufgrund des fragilen Zustands des Buches habe ich noch nicht viel darin gelesen, bin aber auf die Lektüre gespannt.

Graphic Novels

200/366: Peer Jongeling: Hattest du eigentlich schon die Operation?, 2021

Nach vielen älteren trans* Büchern möchte ich euch ein paar Graphic Novels vorstellen, die allesamt deutlich jünger sind. Bisher kenne ich fünf in deutscher Sprache, vielleicht habt ihr Ergänzungen?

Den Anfang macht das schmale, schön gestaltete Bändchen »Hattest du eigentlich schon die Operation?« von Peer Jongeling von 2021, herausgegeben im kleinen Jaja-Verlag. Auf ca. 30 Seiten sind verschiedene Kurzgeschichten zu trans* Themen und persönliche Erfahrungen sowie ein kleines Glossar von Begriffen zusammengestellt. Peer ist selbst trans*, daher sind die Geschichten frei von klischeehaften Fremdzuschreibungen.

Update: Nele Peer Jongeling ist inzwischen im "Lager" der Transfeinde ☹️ Also eher keine Empfehlung, die Person zu unterstützen.

201/366: Sarah Barczyk: Nenn mich Kai, 2016

Graphic Novel #2 ist »Nenn mich Kai« von Sarah Barczyk, 2016 im Egmont-Verlag erschienen. Das Buch ist ca. 75 Seiten stark und enthält die Coming Out-Geschichte eine trans Manns. Obwohl erst 5 Jahre alt, ist das Buch leider schon vergriffen.

202/366: Chloé Chruchaudet: Das falsche Geschlecht, 2014

Aus dem Jahr 2014 stammt die Graphic Novel #3 »Das falsche Geschlecht« von Chloé Chruchaudet aus dem avant-Verlag, das französische Original erschien ebenfalls 2014. Chruchaudet erzählt die wahre Geschichte von Louise und Paul Grappe aus dem ersten Weltkrieg nach. Paul desertierte 1915 von der Front und tauchte als Suzy unter. Die Bilder des 160 Seiten starken Buchs sind wunderschön, aber düster, in schwarzweiß mit roten Anteilen. Ein bisschen Hintergrund gibt es auf https://www.spiegel.de/geschichte/weltkriegsdrama-a-947280.html, auf Französisch erschien auch ein Buch darüber, das verfilmt wurde (»La garçonne et l’assassin«).

Zu beziehen für 25 € z.B. über die Buchhandlung eures Vertrauens, Amazon (https://amzn.to/3EwM7ly), Transfabel (https://www.transfabel.de/index.php?main_page=product_info&cPath=1_17&products_id=231) oder den Verlag selbst (https://www.avant-verlag.de/comics/das-falsche-geschlecht/

203/366: Lee Lai: Steinfrucht, 2021

Ebenfalls im avant-Verlag ist ganz frisch Graphic Novel #4 »Steinfrucht« von Lee Lai erschienen, 2020 im englischen Original, 2021 auf Deutsch. Auf satten 230 Seiten in schwarzweiß mit ein wenig Blau geht es um ein queeres Beziehungsporträt von Bron (trans*) und Ray.

Zu beziehen für 28 € z.B. über die Buchhandlung eures Vertrauens, Amazon (https://amzn.to/3ziZLEN), Transfabel (https://www.transfabel.de/index.php?main_page=product_info&cPath=1_17&products_id=1329) oder den Verlag selbst (https://www.avant-verlag.de/comics/steinfrucht/).

204/366: Steven Appleby: Dragman, 2021

Und schließlich Graphic Novel #5: »Dragman« von Steven Appleby, ebenfalls ganz frisch im Jahr 2021 erschienen, im Schaltzeit-Verlag. Das Setting ist ziemlich sympathisch: Wenn August Crimp Frauenkleider anzieht, wird er zu Dragman und bekommt Superkräfte! Auf über 300 wunderschön gezeichneten Seiten muss sich Dragman nun gegen den Aufruhr verteidigen, den er als trans Superheld auslöst. Der in England sehr bekannte Künstler Steven Appleby hat viele Bücher geschrieben und gezeichnet, und ist selbst Crossdresser und hat viel Autobiographisches in dem Buch verarbeitet.

Zu beziehen für 29 € z.B. über die Buchhandlung eures Vertrauens, Amazon (https://amzn.to/3zpDZiG), oder den Verlag selbst (https://www.schaltzeitverlag.de/graphic-novels/dragman/).

Crossdressing im Militär

205/366: Julia B. Köhne, Britta Lange und Anke Vetter (Hrsg.): Mein Kamerad – Die Diva, 2014

In meiner Bücherreihe möchte ich fortfahren mit 2 Büchern zu einem recht speziellen geschichtlichen Thema: Crossdressing in der Armee. Im Militär, bis vor kurzem eine reine Männerwelt, entstanden offenbar immer wieder Nischen für Crossdressing und ähnliche Phänomene, ob nun als Ausdruck einer trans* Identität, Travestiekunst auf der Bühne, Zeichen unterdrückter Homosexualität oder aus anderen Motiven. 2 recht unterschiedliche Bücher beschäftigen sich damit im 1. und 2. Weltkrieg.

Zunächst »Mein Kamerad – Die Diva«, herausgegeben von Julia B. Köhne, Britta Lange und Anke Vetter von 2014. Das Buch geht auf eine Ausstellung des Schwulen Museums in Berlin von 2014 zurück, und beschäftigt sich mit Theatern an der Front und in Gefangenenlagern des 1. Weltkriegs. Mehrere wissenschaftliche Aufsätze beleuchten das Thema des Buchs aus unterschiedlichen Perspektiven, reich illustriert mit Fotografien aus der Kriegszeit.

Das Buch war für mich nicht leicht zu beschaffen, aber mein lokaler Buchladen konnte es über den Verlag ordern.

206/366: Martin Dammann: Soldier Studies, 2019

Inhaltlich ähnlich, aber doch ganz anders ist das 2. Buch dazu: »Soldier Studies« von Martin Dammann von 2019 (deutsch/englisch). Hier haben wir einen Bildband zum Crossdressing in der Wehrmacht, entstanden aus Funden eines Sammlers und Künstlers. Am Ende des Buchs ist ein kurzer Text von Harald Welzer enthalten, der die Bilder einordnet.

Aufmerksam geworden war ich durch einen Artikel im Spiegel: https://www.spiegel.de/geschichte/wehrmacht-und-crossdressing-soldaten-in-frauenkleidern-a-1238147.html

Historische Personen

207/366: Jean de Préchac: L’Héroïne Mousquetaire, 1681

Dieser bibliophile Neuzugang ist eine schöne Gelegenheit, meine seit etlichen Monaten vernachlässigte Serie mit trans* Büchern fortzuführen. »L'Héroïne Mousquetaire« von Jean de Préchac ist eine Erzählung in frz. Sprache über eine Frau(?), die als Mann in den Krieg zog, um zu kämpfen. Inwieweit es »nur« um Crossdressing geht oder um eine darüber hinaus gehende trans* Identität, vermag ich nicht zu sagen, aber es ist natürlich spannend, so eine Erzählung aus dem 17. Jahrhundert vor sich zu haben! Der Text erschien in 4 Bänden erstmals von 1677 bis 1678, das gezeigte Büchlein vereinigt diese 4 Bände auf 576 kleinen Seiten und stammt von 1681. Mein mit Abstand ältestes Buch bisher!

1727 erschien eine deutsche Übersetzung mit dem Titel »Fräuleins Christinen, Baronesse de Meyrac, Lebens-Liebes- Und Helden-Geschichte«, die sich digitalisiert nachlesen lässt (die Sprache erscheint uns heute jedoch sehr fremd): https://digital.slub-dresden.de/werkansicht/dlf/28117/1

Ob es spätere Fassungen des Stoffes gibt und damit neuere Bücher über Christine, habe ich nicht herausfinden können.

208/366: Abbé Choisy: Aus meinem Leben, 1924

Ich möchte einige historische trans* Personen vorstellen, über die oft mehrfach Bücher erschienen. Es ist natürlich schwierig, unsere heutigen Begriffe auf diese Menschen anzuwenden, kann mir aber gut vorstellen, dass sie sich heute als trans* identifizieren würden. Trotzdem bleibt es spekulativ (ein qualifizierteres »queering history« überlasse ich gern den Historiker*innen unter euch).

Den Anfang soll Abbé de Choisy (1644-1724) machen. Er(?) trug für viele Jahre Mädchen-, später Frauenkleidung und verfasste später viele religiöse Texte. Ein ausführliches Porträt hat Jula geschrieben: https://www.julaonline.de/abbe-de-choisy/

Posthum erschienen 1736 die Memoiren Choisys, deren historische Korrektheit aber ungesichert ist. Eine deutsche Übersetzung gab es erstmals(?) 1924 in diesem überaus hübschen Büchlein mit dem Titel »Aus meinem Leben«. Ein Schmuckstück für Freund*innen der Buchkunst! Die wunderbaren Illustrationen stammen von Elisabeth Wrede.

209/366: Der Abbé de Choisy in Frauenkleidern, 1969

1969 erschienen die Memoiren Choisys erneut, diesmal in der Insel-Bücherei mit dem Titel »Der Abbé de Choisy in Frauenkleidern. Memoiren.« und mit komplett anderer Übersetzung. Im ergänzenden Nachwort werden noch weitere Texte zu Crossdressing erwähnt, aber abgedruckt ist leider nichts davon.